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"Lindenstraße" am Ende: Erfinder Hans W. Geißendörfer kritisiert ARD


Eine Ära geht zu Ende
"Lindenstraßen"-Erfinder kritisiert ARD für Absetzung scharf

afp, Ralf Isermann

Aktualisiert am 16.11.2018Lesedauer: 3 Min.
Seit der ersten Stunde dabei: Joachim Hermann Luger verlässt die "Lindenstraße".Vergrößern des Bildes
Seit der ersten Stunde dabei: Joachim Hermann Luger verlässt die "Lindenstraße". (Quelle: WDR/dpa-bilder)
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Drogenhandel, Aids und den ersten schwulen TV-Kuss – all das gab es bei der "Lindenstraße". 2020 soll damit Schluss sein. Erfinder Hans W. Geißendörfer sagt sehr deutlich, wie er das findet.

Aus Sicht der "Lindenstraßen"-Fans muss es im Nachhinein als böses Omen erscheinen, dass Hans Beimer Anfang September plötzlich in einer Waldhütte zusammensackte und seinen letzten Atemzug tat. Wenige Wochen nach dem Tod dieser zentralen Figur kündigte der WDR am Freitag nun das Ende der ganzen Serie an – der am längsten laufenden des deutschen Fernsehens.

"Wir sind bestürzt"

Die letzte Folge wird im März 2020 über den Bildschirm gehen, nach mehr als 34 Jahren. Produzent Hans W. Geißendörfer und seine Tochter und Nachfolgerin Hana reagierten verärgert: "Wir sind bestürzt und können nur unser Unverständnis zum Ausdruck bringen, dass die ARD es offenbar nicht mehr als ihren Auftrag sieht, die Serie fortzusetzen, zu deren Kern es gehört, diese Haltung zu vertreten." In Zeiten von Rechtsruck und Ausländerfeindlichkeit sei die Serie "wichtiger denn je".

Gerüchte über das bevorstehende Aus hatte es schon seit Jahren gegeben, aber am Ende war der Produktionsvertrag doch immer wieder verlängert worden. Schließlich ist die "Lindenstraße" eine "Ikone im deutschen Fernsehen", wie es Volker Herres, der Programmdirektor für das Erste, ausdrückt.

"Wir haben ja gerade erst angefangen!"

Als die Serie am 8. Dezember 1985 begann, war Helmut Kohl gerade mal drei Jahre Kanzler, im Osten saß Erich Honecker fest im Sattel. Und in der "Lindenstraße"? Da musizierte Familie Beimer bei Kaffee und Kuchen zum 1. Advent. "Hör'n wir jetzt auf?", waren die ersten Worte der Serie aus dem Munde von Benni Beimer (gespielt von Christian Kahrmann). Worauf Vater Hans entgegnete: "Wir haben ja gerade erst angefangen!" Prophetische Worte.

Dabei wurde die Serie anfangs scharf kritisiert. Auch der WDR selbst räumte Anlaufschwierigkeiten ein, sie gehe zu langsam voran. Geißendörfer war anderer Meinung: "Die Serie spielt im normalen Lebensrhythmus. Wenn Hans Beimer eines Tages Amok laufen sollte, dann kann man die Zuschauer sechs, acht Jahre darauf vorbereiten."

In der "Lindenstraße" war die Hölle los

Die "Lindenstraße" fungierte fortan als Spiegel bundesrepublikanischer Sitten- und Sozialgeschichte. Die Traum-Ehe von Helga und Hans Beimer ging in die Brüche, nachdem er seine "Taube" für Nachbarin Anna verlassen hatte. Der Schreiner Benno Zimmermann starb an Aids. 1990 wurde erstmals in einer deutschen Serie gezeigt, wie sich zwei schwule Männer küssen. Drogenhandel, Alkoholismus, Spielsucht, Selbstmord und sogar ein getötetes Kaninchen – verglichen mit den "Wicherts von nebenan" oder dem ZDF-"Landarzt" war in der "Lindenstraße" die Hölle los.

Aber auch die große Politik schlug sich nieder: 1998 mischte sich die Lindenstraße mit in den Wahlkampf ein, indem sie einen Vietnamesen als alternativen Kanzlerkandidaten zu Helmut Kohl (CDU) und Gerhard Schröder (SPD) aufstellte. Am Sonntag der Bundestagswahl im vergangenen Jahr reagierten die Bewohner sogar auf das erst kurz zuvor bekannt gewordene Ergebnis: Die Macher hatten dafür verschiedene Szenarien gedreht und die passende Variante aktuell eingefügt.

Geißendörfer verfolgte von Anfang an das Ziel, dass die Zuschauer die Bewohner der "Lindenstraße" als Nachbarn sehen sollten. Die Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit verschwamm. Irene Fischer-Probst, die Darstellerin von Heins Beimers Freundin Anna Ziegler, wurde im Supermarkt als "Ehebrecherin" beschimpft. Der CSU-Politiker Peter Gauweiler verklagte 1988 die "Lindenstraße", weil ihn eine Bewohnerin als "Faschisten" bezeichnet hatte. Manche Zuschauer wollten sich sogar einmieten in der Münchner Vorortstraße, die doch nur als Kulisse auf einem WDR-Gelände am ausgefransten Stadtrand von Köln existiert.

Das Ende der "Lindenstraße"

Und nun doch das Ende – wie konnte das geschehen? Es hat eben auch mit der Geschichte der Bundesrepublik zu tun. Als die "Lindenstraße" startete, hatten die Öffentlich-Rechtlichen gerade erst Konkurrenz bekommen, RTL war noch ganz jung. Damals, in den 80ern, sahen im Schnitt zwölf Millionen Menschen zu. Zum Schluss waren es nur noch gut zwei Millionen.


Immerhin, ein gutes Jahr wird die Serie noch weitergehen, so lange läuft der aktuelle Produktionsvertrag. Und dann ist es natürlich so: Erst wenn eine Serie Geschichte ist, wird sie wirklich zum Kult. Es ist fast, als habe Vater Beimer das alles vorausgesehen. Seine letzten Worte kurz vor seinem Tod vor weniger Wochen lauteten: "Das ist kein Ende, das ist erst der Anfang."

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur AFP
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