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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Nachtsicht" fesselt Bremer "Tatort" zieht mit Brutalität und Psycho-Drama in seinen Bann
Zerfetzte Leichen, ein Elektro-Auto als Tatwaffe und ein psychisch kranker Serienmörder: Im Bremer "Tatort: Nachtsicht" versuchten die Kommissare Inga Lürsen (Sabine Postel) und Nils Stedefreund (Oliver Mommsen), die bittere Fassade einer verzweifelten Familie zu durchdringen. Fesselnd bis zum Schluss.
Brutaler und sadistischer ging es 2017 bei Deutschlands favorisierter Sonntagabendserie noch nicht zu. Ein Elektro-Auto – versehen mit einem Dorn und einem Plexiglasfenster im Unterboden – wird zur Mordwaffe. Der Täter ergötzt sich dadurch an seinen leidenden Opfern. Das Ergebnis: übel zugerichtete Leichen, bei denen selbst erfahrene Kommissare wegschauen müssen.
Sensationeller Cast und Drehbuch
Der Plot, geschrieben von den Drehbuchautoren Stefanie Veith und Matthias Tuchmann (†), überzeugt: Kristian Friedland bringt auf brutale Art und Weise mehrere junge Männer um, indem er sie mit einem eigens dafür umgebauten Elektro-Auto überfährt. Das wird schnell klar.
Im Film geht es anschließend viel mehr um das Familien-Drama, das sich dahinter verbirgt; den dominanten Vater, der seinen Sohn deckt, um seine krebskranke Frau vor den Konsequenzen zu schützen.
Das Motiv wird im Laufe des "Tatorts" deutlich: Nur hinter dem Steuer des mörderischen Wagens kann sich Kristian ausleben. Schon seit der Jugend leidet er unter seinem kontrollsüchtigen Vater, malte unheimliche Bilder, die schon auf seine zukünftige Tat hinzuweisen schienen. Am Ende kann man für den Täter fast Mitleid empfinden.
Viel mehr noch überzeugen die Schauspieler. Moritz Führmann, Rainer Bock und Angela Roy stellen den fast 40-jährigen Sohn Kristian Friedland, der noch immer unter den Fittichen des Familienoberhauptes steht, als erwachsener Mann von seinen Eltern "unser Großer" genannt wird; Vater Jost und die todkranke Mutter Leo sensationell gut dar. Ruft hier schon die nächste Grimme-Preis-Nominierung für den "Tatort"?
Hoher Ekel- und Gruselfaktor
Mehrmals wird der Zuschauer an die Ekelgrenze getrieben. Die schrecklichen Morde sind sehr detailliert inszeniert. Das Knacken beim Überfahren der Opfer, das erregte Atmen des Täters – der gesamte Film bietet ein starkes Spiel mit Soundeffekten, immer wieder sind Motorengeräusche eingebaut, die für Gänsehaut sorgen.
Und dann gibt es da noch diesen völlig unerwarteten Grusel-Moment: Wer keinen Schrecken bekommen hat, als Jost von hinten seinen Sohn betäubt, den kann wirklich gar nichts umhauen.
Es gibt auch was zum Schmunzeln
So fesselnd und brutal der "Tatort" auch ist, scheuten sich die Macher dennoch nicht davor, einen kleinen Lacher einzubauen. Bei der genaueren Untersuchung der blutig-ekligen Trophäensammlung des Mörders kann nicht mal mehr der erfahrene Gerichtsmediziner Katzmann (Matthias Brenner) an sich halten. Da kommt das Mittagessen glatt wieder oben raus – und anschließend ein herzliches Lachen.
Kleiner Wermutstropfen
Der starke Fokus auf den Sound, insbesondere auf die Motorengeräusche, ist gelungen, genauso wie die Kameraführung bei den Autoszenen – zumindest, wenn es sich dabei um das Mörder-Auto handelt. Wenn die Kommissare allerdings mit gefühlten 70 km/h durch ein Wohngebiet oder in eine Einfahrt fahren, wirkt das Ganze doch etwas überzogen, erinnert schon fast an "Alarm für Cobra 11". Authentizität: Fehlanzeige!
Trotzdem ein gutes Fazit: 9 von 10 Punkten.
Man wollte keinen klassischen "Who done it"-"Tatort", sondern ein Psycho-Drama mit Thriller-Elementen rund um eine Familie, die auf heile Welt spielt – und genau das ist gelungen. Dank packender Erzählweise und einem brillanten Cast.
Übrigens…
Es ist bereits bekannt: 2019 läuft der letzte Bremer "Tatort" mit Sabine Postel und Oliver Mommsen in den Hauptrollen Lürsen und Stedefreund. Über mögliche Nachfolger wurde noch nicht gesprochen – aber wie wäre es denn mit Luise Wolfram in der Rolle von Linda Selb? Ein passendes Gegenstück für die Affäre von Stedefreund ist doch bestimmt schnell gefunden.