Nach Vorstoß von Tom Buhrow Was sich bei ARD und ZDF sofort ändern muss
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Der WDR-Intendant hat eine bemerkenswerte Rede zur Zukunft von ARD und ZDF gehalten. Wir nehmen den Ball auf und benennen fünf Baustellen, die der öffentlich-rechtliche Rundfunk dringend schließen sollte.
Am vergangenen Mittwoch hat der WDR-Intendant und aktuelle ARD-Vorsitzende Tom Buhrow im Hamburger Übersee-Club eine bemerkenswerte Rede zur Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gehalten, die in gekürzter Form in der "FAZ" abgedruckt wurde. So radikal bis revolutionär fielen seine Reformvorschläge aus, dass der Medienmanager es für nötig hielt vorauszuschicken, dass er nicht als Amtsträger, sondern "in meinem eigenen Namen und auf mein eigenes Risiko" spreche. Für diese Einschränkung, die Wahl des Ortes und manche rhetorische Floskel hat Buhrow, der bisher eher als Spitzenverdiener unter den ARD-Chefs denn als Visionär auffiel, einige Häme erfahren.
Das sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der frühere "Tagesthemen"-Moderator, der sogar den Fortbestand von ARD und ZDF in der bisherigen Form in Zweifel zog, mit seinem Beitrag viele richtige Punkte angesprochen und mit seiner Kritik an macht- und standortfixierten Medienpolitikern einen Nagel auf den Kopf getroffen hat. Dass es in der großen öffentlich-rechtlichen Senderlandschaft allerhand Einspar- und Verbesserungs-Potenzial gibt, ist offensichtlich. Und wenn 2023 nach jahrelanger Diskussion der neue Medienstaatsvertrag in Kraft tritt, können die Rundfunkanstalten selbst entscheiden, ob sie Spartenkanäle wie ZDFneo oder Tagesschau 24 aus dem Fernsehen ins Netz verlagern.
Wir nehmen Buhrows Anstöße auf und nennen fünf Baustellen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die dringend geschlossen werden sollten.
ARD und ZDF sind sich zu ähnlich
Die Hauptprogramme der Senderfamilien ARD und ZDF zielen mit verwechselbaren Inhalten auf dasselbe Publikum und sind sich darüber viel zu ähnlich geworden. Oder wüssten Sie aus dem Stegreif, bei wem Erzgebirgs- und Usedom-Krimi, "Nord Nord Mord" und "Morden im Norden", "WaPo"- und "SOKO"-Folgen, Kroatien- oder Schwedenkrimis laufen?
Das Programm, mit dem Das Erste und Das Zweite sich allabendlich Einschaltquoten-Konkurrenz auf Augenhöhe machen, besteht aus einem weitgehend identischen Cocktail voller Krimis und Schmonzetten, Comedy-, Quiz- und Talkshows sowie, klar, auch Politmagazinen, Dokus und Nachrichten äußerst ähnlicher Machart.
Der Gedanke, dass Konkurrenz das Geschäft belebt, hat hier vielleicht mal gestimmt. Inzwischen aber berichten die Nachrichtenmagazine "Tagesthemen" und "heute-journal" an vielen Abenden über fast genau die gleichen Themen. Dass sie dabei unterschiedliche Perspektiven einnehmen oder in Kommentaren unterschiedliche Meinungen äußern, kommt selten vor.
Die Anzahl von Sandra Maischbergers Talkshows verdoppelte die ARD im Frühjahr unumwunden auf zwei pro Woche, weil Markus Lanz im ZDF mit seiner Talkshow dreimal pro Woche erfolgreich ist. Seither talkt Maischberger mit ziemlich genau den Gästen, die an anderen Abenden zur gleichen Stunde bei Lanz sitzen. Das kann nicht der "publizistische Wettbewerb" sein, den ZDF-Intendant Norbert Himmler in seiner Antwort auf Buhrow ins Feld führte.
Sinnlose Mediatheken-Konkurrenz
Seit die Mediennutzung nicht nur junger Leute zusehends nonlinear, also auf Abruf, stattfindet, zeigt sich der Überfluss an verwechselbaren Inhalten noch deutlicher – bei einem Blick in die Mediatheken. Im Sommer 2021 rauften sich ARD und ZDF zu technischer Zusammenarbeit hinter den Kulissen bzw. den "Nutzeroberflächen" zusammen. Nun findet, wer in der ZDF-Mediathek nach dem ARD-Zugpferd "Tatort" sucht, den Hinweis "Zu 'Tatort' gibt es ein Angebot der ARD: Möchten Sie in der ARD Mediathek weiterschauen?".
Sonst aber ist vom damals pompös angekündigten "gemeinsamen Streaming-Netzwerk" nichts zu sehen. Im Gegenteil, selbst im Segment Kultur, das in beiden öffentlich-rechtlichen Hauptprogrammen eine Nische darstellt, rivalisieren die Anstalten lieber: Ende Oktober startete die Onlineplattform "ARD Kultur", um die gar nicht so wenigen, bloß im Gesamtangebot oft untergehenden ARD-Inhalte mit Kultur-Zusammenhang besser auffindbar zu machen. Bereits seit 2019 bemüht sich die Plattform "ZDF Kultur" um das gleiche Ziel – allerdings beschränkt auf Inhalte der ZDF-Programmfamilie.
Viel zu viele Hörfunkwellen
"21 Fernsehprogramme und 73 Hörfunkwellen" zählte jüngst die ehemalige Gruner+Jahr-Chefin Julia Jäkel in einem "Zeit"-Gespräch mit Buhrow. "64 Hörfunkwellen allein in der ARD. Plus die Wellen des Deutschlandradios" – führte der WDR-Intendant in seiner Rede selbst an. Die Vielzahl öffentlich-rechtlicher Radiosender springt noch mehr ins Ohr als die der Fernsehsender ins Auge, zumal alle ARD-Anstalten sich um ein ähnliches Portfolio bemühen: einen Pop-Sender, der mittelaltes Publikum mit den Hits seiner Jugend versorgt, einen fürs junge Publikum, ein Info- und ein Kultur- oder Klassikradio. Das hat technik-historisch nachvollziehbare Gründe.
Via Ultrakurzwelle konnten ursprünglich wirklich keine großen Landstriche versorgt werden, Kurz- und Mittelwelle werden wegen solcher Probleme nicht mehr genutzt. Längst aber macht das Deutschlandradio bundesweite Programme. Und im digitalen Antennenradio DAB+, das im zähen Konkurrenzkampf mit der analogen UKW und dem Internet steckt, lancieren private Anbieter ebenfalls zahlreiche bundesweite Programme. Der ARD ist bundesweites Radio "schlicht verboten", klagt Buhrow. Tatsächlich hätte der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit mehr profilierten bundesweiten Programmen viel zu gewinnen und einzusparen – freilich nicht zuletzt auf Kosten der Mitarbeiter.
Verzichtbare Kleinstaaten-Anstalten
Eine der Stärken Deutschlands ist manchmal auch eine der großen Schwächen: der Föderalismus. Radio Bremen und Saarländischer Rundfunk benötigen zum Überleben den sogenannten Senderfinanzausgleich, so wie die jeweiligen Bundesländer den Länderfinanzausgleich. Dennoch sind die kleinen Anstalten bundesweit mit eigenen Sendungen kaum noch präsent.
Zwar laufen pro Jahr ein oder zwei neue "Tatorte" aus Bremen und Saarbrücken. Aber die gibt es aus Städten wie Münster, Dortmund, Göttingen und Nürnberg auch – ohne dass dort Rundfunkanstalten sitzen. Um die unbestreitbaren Vorteile des Föderalismus auf Sendung zu bringen, braucht es keine Kleinstaaten-Anstalten, sondern gut gemachte Regionalberichterstattung.
Verwechselbare Beiboote statt eines profilierten Nachrichtenkanals
Zur Fairness gehört die Feststellung: Einiges, was große Teile der Öffentlichkeit als klare Verbesserung empfinden würden, durften die Öffentlich-Rechtlichen nie anbieten, weil privatwirtschaftliche Konkurrenz protestierte und die Politik es nicht gestattete. Ein echter Nachrichtensender à la BBC World News oder CNN wurde immer mal wieder gefordert und könnte die Vorzüge des großen Korrespondenten-Netzes von ARD und ZDF ideal ausspielen.
Doch die privaten Nachrichtensender n-tv (RTL-Gruppe) und N24 (heute: WELT) hatten, aus ihrer Sicht zu Recht, gegen solche beitragsfinanzierte Konkurrenz argumentiert. Stattdessen entstanden Beiboot-Sender wie der "Ereigniskanal" Phoenix und Tagesschau24, das sich manchmal fast wie ein Nachrichtensender anfühlt, aber auch die verwechselbaren "Markt"-Sendungen der Dritten Programme wiederholt. Sprich: Beide Programme leiden unter mangelndem Profil – so wie der "Kultursender" 3sat, der gern auch ZDF-Krimis wiederholt, und die Dritten, die mit regionalen Sendungen ihrer Bestimmung nachkommen, aber auch mit "Tatort"-Wiederholungen um bundesweite Einschaltquoten wetteifern.
Fazit
Eine insgesamt kleinere Zahl von dafür schärfer konturierten Radio- und Fernsehsendern sowie nonlinearen Internetangeboten, die alle öffentlich-rechtlichen Inhalte zusammenführen, würde aus dem jahrzehntelang in alle Richtungen gewachsenen, inzwischen verkrusteten öffentlich-rechtlichen Rundfunk einen echt "gemeinnützigen" machen, wie Buhrow nun sagt. Aber dafür bräuchte es außer einem "Runden Tisch" (Buhrow) auch viel Reformwillen dort, wo davon bisher wenig zu sehen war.