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Luke Mockridge: Warum sein Fall die gesamte #MeToo-Bewegung erschüttert


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Hetze im Netz
Der Albtraum des Luke Mockridge


Aktualisiert am 07.06.2022Lesedauer: 11 Min.
Jagd auf Luke Mockridge: Jorinde Wiese hat die Kampagne gegen den Sat.1-Comedian losgetreten.Vergrößern des Bildes
Jagd auf Luke Mockridge: Jorinde Wiese hat die Kampagne gegen den Sat.1-Comedian losgetreten. (Quelle: Future Image/imago images/seidLAUT/leer)

Luke Mockridge ist zurück auf der Bühne, und eine Kampagne mit unbelegten Vergewaltigungsvorwürfen holt ihn ein. Der Umgang mit der Unschuldsvermutung sowie Kritik hat die gesamte #MeToo-Bewegung erschüttert.

#TeamJohnny oder #TeamAmber? Was sich in den USA beim Prozess zwischen dem Hollywoodschauspieler Johnny Depp und seiner Ex-Frau Amber Heard abspielt und Menschen weltweit emotionalisiert, ist kein rein amerikanisches Phänomen. Es geht um Karrieren und Macht. Die Vorwürfe wiegen schwer, aber die Beweislage ist dünn – und das bei einem Thema, das 2016 mit der #MeToo-Bewegung aufgeploppt ist: sexualisierte Gewalt.

Für viele Opfer war #MeToo ein Akt der Befreiung. Unter dem Hashtag #MeToo posteten vor allem Frauen in den sozialen Netzwerken millionenfach ihre Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen. Sie waren jetzt nicht länger ohnmächtig. Sie holten sich die Deutungshoheit über ihre Geschichte zurück.

Mit dem Fall Mockridge wurde alles anders. Plötzlich tauchte das Gerücht auf, der Komiker Luke Mockridge habe versucht, seine Freundin zu vergewaltigen. Was auf den ersten Blick ins Bild zu passen schien, wurde zum Wendepunkt für die deutsche #MeToo-Bewegung. #MeToo wurde zum Instrument einer Gruppe von Menschen, die den Hashtag nutzten, um Aufmerksamkeit für sich selbst zu generieren und Jagd auf vermeintliche Täter zu machen.

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"Narzisstische Kriegstreiberin"

An die Spitze der Bewegung setzte sich eine Frau, über die ein früherer Mitstreiter von #MeToo, der Schauspieler Andrim Emini, sagt, sie sei eine "narzisstische Kriegstreiberin": Jorinde Wiese. Wiese ist Studentin, Bloggerin, Aktivistin und nach eigenen Angaben mit 19 selbst Opfer sexualisierter Gewalt geworden. Sie hat eine LGBTQ-Community um sich geschart, die in den sozialen Netzwerken aggressiv Stimmung macht – gegen vermeintliche Täter, aber auch gegen alle, die ihre Arbeit kritisieren.

Unter dem Hashtag #KonsequenzenfuerLuke tritt sie im Frühjahr 2021 einen Shitstorm gegen den Sat.1-Comedian los. Sie fordert, einen Mann abzustrafen, gegen den bis heute keine belegten strafrechtrechtlichen Vorwürfe erhoben werden. Erst durch ihre Kampagne entstand der Eindruck, er sei ein Täter, ein Vergewaltiger.

Keine Verantwortung gegenüber mutmaßlichen Tätern

Schauspieler Emini, der nach eigenen Worten selbst Opfer sexualisierter Gewalt geworden ist, sagt heute, dass er auch unter denen war, die Stimmung gegen Mockridge gemacht hatten. Auch er habe ihn in einem Post vorverurteilt. Das bedauere er. Bevor man jemanden an den Pranger stelle, müsse man recherchieren. "Sonst wird’s gefährlich." Doch mit der Suche nach Beweisen habe sich Jorinde Wiese nicht aufgehalten. Und diese Methode habe dazu geführt, dass sich Unterstützer von #MeToo von der Bewegung getrennt hätten.

Wiese reagiert verständnislos, wenn ihr Vorgehen und ihre öffentlichen Angriffe hinterfragt werden: "Ich denke an Verantwortung nicht gegenüber mutmaßlichen Tätern, sondern gegenüber Betroffenen", sagte sie dem NDR-Medienmagazin "Zapp" im Februar. Dass unbelegte Vorwürfe Karrieren zerstören können, dafür gibt es genug Beispiele. Andreas Türck oder Jörg Kachelmann sind die prominentesten. Wiese sagt, ihr sei kein einziger Fall bekannt. Ihr Satz bringt das Dilemma der Bewegung auf den Punkt.

Kein Freispruch, aber auch kein Schuldspruch

Wiese war Luke Mockridge nie persönlich begegnet, als sie zur Jagd auf ihn blies. Beweise hat sie keine. Mockridges Ex-Freundin Ines Anioli hatte ihn 2019 wegen versuchter Vergewaltigung angezeigt. Das Verfahren wurde von der Staatsanwaltschaft mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt. Die Behörde erklärte das auch mit Widersprüchen in den Aussagen von Anioli. Das ist kein Freispruch, aber eben auch kein Schuldspruch. Im Gegenteil: Mockridge gilt damit als unschuldig.

Die Frage, was zwischen ihm und seiner Ex-Freundin geschah, wird vermutlich nie geklärt werden. Mit ihrer Kampagne rollte Wiese den Prozess wieder auf – nur dass er jetzt nicht von einem Gericht verhandelt wird, sondern in den sozialen Medien. Sie bedrängt Mockridge, er solle Stellung zu den Vorwürfen nehmen.

Karriere als "die Ex von Luke"

Auf der Suche nach Mitstreitern ist sie Tag und Nacht auf Twitter und Instagram unterwegs. Mit Erfolg. Prominente wie Thomas Spitzer, Stefanie Giesinger oder Carolin Kebekus springen auf den Zug auf: Sie machen Stimmung gegen Kritiker, die auf die Unschuldsvermutung pochen. Schlecht für Mockridge, gut für Wiese.*

Im Fall Mockridge verbreitet sich der Name viral im Internet. Niemand stoppt Jorinde Wiese. Von ihrem Hashtag #KonsequenzenfuerLuke will Anioli erst erfahren haben, als ihr Handy plötzlich explodiert sei. Das Echo habe sie überrollt, sagt sie in einem Podcast. Sie sei nassgeschwitzt gewesen – vor Angst.

Kampf gegen sexualisierte Gewalt als Geschäftsmodell

Wieses Name wird durch die Kampagne bekannt. Auf Instagram wächst ihre Reichweite zwischenzeitlich bis auf 50.000 Follower an, sie präsentiert sich als Klassensprecherin der #MeToo-Bewegung. Bis dahin war sie eine weitgehend unbekannte Sinologie-Studentin, die von einer Karriere als Comedienne träumt.

Erst der Fall Mockridge öffnet ihr Türen zu den Medien. Zeitungen fragen sie jetzt für Interviews an. Sie wird auch eines der Gesichter von "Hate Aid", einer Organisation, die Opfer von Hass im Netz berät. Amnesty International lädt sie als Expertin ein zu Fragen zum Thema Internethetze – als Opfer.

Ihre Anhänger bewundern sie für ihren Widerstandsgeist: Wer gegen sexualisierte Gewalt kämpft, dem weht mitunter ein rauer Wind entgegen. Wiese wird im Internet als "Butch-Lesbe" oder als "Sektenguru" beschimpft. Ihr werden Fake-Follower gekauft, um ihren Account zu diskreditieren, sie muss Kommentare zu ihrem Übergewicht ertragen. Trotzdem fragen sich jetzt auch Mitstreiter, was sie antreibt. Der Kampf gegen sexualisierte Gewalt, er ist jetzt auch zum Geschäftsmodell geworden.

Kronzeugen für den "Spiegel"

Über ein Fundraising-Portal sammelt sie Geld für Sticker mit der Aufschrift #KonsequenzenfürLuke. Über ein eigenes Internetportal verkauft sie Sticker oder Beutel. "Seid laut!", heißt die Kampagne. Eine Illustratorin hat das Motiv gestaltet. Man sieht gesichtslose Frauen verschiedener Hautfarbe, die Fäuste in die Luft gereckt. Das Geschäft scheint nicht gut zu laufen. Inzwischen gibt es diese Artikel nur noch als "Dankeschöns" für Spender.

Wiese kämpft jetzt noch an einer anderen Front gegen Mockridge: t-online liegt der Screenshot einer Direktnachricht auf Instagram vor, der belegt, dass sie für den "Spiegel" vermeintliche Zeuginnen gesucht hat. Es geht um eine Enthüllungsgeschichte über den Fall Mockridge im September 2021. Weite Teile mussten später zwar nach einem Gerichtsbeschluss geändert werden, aber der Bericht hatte das Bild verfestigt, das schon Wiese mit ihrer Kampagne #Konsequenzenfuerluke gezeichnet hatte: Erfolgreicher Comedian nimmt sich, was er braucht. Er benutzt Frauen, auch gegen ihren Willen.

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Anruf bei Simon Bergmann. Er ist der Anwalt von Luke Mockridge, neben seinem Partner Christian Schertz einer der profiliertesten Anwälte für Persönlichkeitsrechte in Deutschland. Er sagt, sein Mandant habe einen Fehler gemacht, als dieser im August 2021 an die Öffentlichkeit ging und die Vorwürfe in einem Video bestritt – gegen seinen Rat.

Mockridge-Anwalt klagt über "Twitter-Wahnsinn"

Aber Mockridge habe Druck von seinem Sender Sat.1 bekommen. Zuschauer hatten gefordert, der Comedian müsse sich endlich positionieren. Es war eine Folge der Kampagne "Konsequenzen für Luke". Das Drama um seinen Mandanten habe mit Wiese begonnen. Bergmann atmet tief durch. Die Kampagne gegen Mockridge zerrt auch an seinen Nerven. Er sagt, er werde künftig nicht mehr zögern, Aktivisten zu verklagen, wenn sie Mandanten mit unbewiesenen Vorwürfen verleumdeten. Er spricht vom "Twitter-Wahnsinn".

Mit seinem Instagram-Video hatte Mockridge für die Berichterstattung grünes Licht gegeben. Medien durften jetzt über ihn schreiben. Bis dahin hatte es nur Gerüchte gegeben. Seine Ex-Freundin Ines Anioli hatte sie in ihrem Sex-Podcast selbst gestreut. Einen Namen hatte sie nicht genannt. Aber wer sie kannte, wusste, wer gemeint war. Es war Jorinde Wiese, die die Vorwürfe öffentlich machte.

Von einer Klage gegen Anioli hatte Bergmann seinem Mandanten abgeraten. Den Prozess, da ist er sich sicher, würde Ines Anioli zwar verlieren. "Aber es wäre wie bei Amber Heard und Johnny Depp. Es würde alles noch mal in der Öffentlichkeit ausgebreitet."

Den Ball flach halten, das war seine Taktik. Er sagt: "Wenn man Aktivistinnen und Aktivisten angreift, kann das zu einem Bumerang werden." Sie würden dann Solidarität im Internet organisieren und sich selbst als Märtyrer inszenieren. Inzwischen hat er Wiese für Mockridge abgemahnt, als sie ihn in einem Interview mit watson.de als "mutmaßlichen Täter" bezeichnete.

Auch die Kronzeugen von "Spiegel" haben keine Beweise

Dazwischen lag der "Spiegel"-Artikel. Der sei eine "Zäsur” gewesen, sagt Anwalt Bergmann. "In dem Moment haben auch die, die noch zu ihm gestanden haben, gesagt: Oh Gott. Wenn der 'Spiegel' das schreibt, muss ja was dran sein." In der Geschichte standen Details aus Ermittlungsakten im Fall Mockridge – für den Anwalt eine "schwerwiegende Persönlichkeitsverletzung, (...) weil trotz eines eingestellten Ermittlungsverfahrens der Verdacht noch mal aufgemacht wurde."

Der "Spiegel" sprach eigenen Angaben zufolge mit mehr als zehn Frauen, die Vorwürfe gegen Mockridge erhoben. Vier von ihnen warfen Mockridge letztlich in dem Text detaillierter vor, er sei in der Öffentlichkeit bei Anmachen übergriffig geworden, blieben aber anonym. Beweise haben sie keine, allerdings gab nach t-online-Recherchen mindestens eine eine eidesstattliche Versicherung ab. Von den ursprünglichen Vorwürfen im "Spiegel"-Bericht ist nach mehreren Gerichtsentscheidungen jetzt wenig übrig. Trotzdem bleibt der Verdacht an Mockridge kleben. Mit ihrer Kampagne hat Jorinde Wiese den Rahmen für die Verdachtsberichterstattung geschaffen.

Sagen, was gewesen sein könnte

Fehler räumt das Magazin nicht ein. In einer Mail der "Spiegel"-Pressestelle an t-online heißt es, die im Eilverfahren verhängten Untersagungen seien nur vorläufig und noch nicht rechtskräftig. "Unserer Berichterstattung ist nichts hinzuzufügen. Wir werden auch in Zukunft unabhängig, sorgfältig und der Bedeutung entsprechend über #MeToo-Themen berichten.” Getreu dem Credo von Rudolf Augstein: "Sagen, was ist." In dem Fall ist es aber ein "Sagen, was gewesen sein könnte."

Was macht das mit einem Mann, wenn ihn die Öffentlichkeit als Vergewaltiger abstempelt? Bergmann sagt, es sei eine "sehr, sehr schlimme Zeit" für seinen Mandanten gewesen. Der Spießrutenlauf in der Öffentlichkeit. Der Rückzug in eine psychiatrische Klinik. Der finanzielle Verlust durch die TV-Pause. Er sei gerade dabei, zu ermitteln, wie hoch der Schaden für Mockridge sei, sagt Bergmann. "Es könnte ein siebenstelliger Betrag werden", den er dem "Spiegel" in Rechnung stellen werde.

"Der Drive der Bewegung ging in Richtung Rufmord"

Ein Kollerateralschaden, der auf das Konto von #MeToo Germany geht? Die Bewegung hatte Wiese zu diesem Zeitpunkt bereits ausgeschlossen, sagt der Schauspieler Andrim Emini. Sie sei vielen zu radikal gewesen. Trotzdem passierte danach etwas, wovor Frauen wie Catherine Deneuve oder Ingrid Caven schon 2018 gewarnt haben, als die Bewegung aus den USA nach Deutschland übergeschwappt ist: Der Kampf gegen Machtmissbrauch hatte sich in sein Gegenteil verkehrt.

"Der Drive der Bewegung ging in Richtung Rufmord", bilanziert die Berliner Autorin Barbara Sichtermann, eine Feministin der ersten Generation. In den siebziger Jahren demonstrierte sie für sexuelle Selbstbestimmung und gleiche Bezahlung. Heute warnt sie aber auch vor einer Überbetonung des Weiblichen beim Gendern. "Wenn Fälle nicht geklärt werden können, weil Aussage gegen Aussage steht, muss man sie zu den Akten legen. Dieses Recht sollte für uns Feministinnen genauso unverletzlich sein wie die Würde und der Körper der Frau."

"Lösch das sofort!"

Der Fall Mockridge ist so ein ungeklärter Fall. Aber nach der "Spiegel"-Geschichte eskalierte er. Im Herbst 2021 wird dem Kölner die Nominierung für den Comedypreis aberkannt, die Feier gerät zum Scherbengericht. In einer Rede fordert die Kabarettistin Maren Kroymann: "Ich hätte gerne gehabt, dass Verantwortliche hier für diesen Preis und auch von dem Sender die Eier gehabt hätten, zu sagen: Wir solidarisieren uns nicht nur mit unserem beliebten Künstler, sondern mit den Frauen, die betroffen sind."

Von der Unschuldsvermutung ist da keine Rede mehr. Dabei ist Wiese von Anfang an mit dieser Forderung konfrontiert worden. Im Mai 2021 schreibt sie auf Instagram: "Die Stimmen, die UNSCHULDSVERMUTUNG rufen, sind laut." Sogar in ihrem Umfeld regt sich jetzt Protest. Aber namentlich traut sich kaum einer, ihr zu widersprechen. Wer auf der Unschuldsvermutung beharrt, ist ein "misogyner Täterschützer" oder "falsch abgebogen". Den herrscht sie an: "Lösch das sofort!"

Dauerbeschuss auf Twitter

t-online hat ihr Fragen geschickt, warum sie die Unschuldsvermutung im Fall Mockridge ignoriert, wie sie Aktivismus definiert und ob dazu auch gehört, Kritiker in den sozialen Medien verächtlich zu machen. Die Antwort erscheint wenige Minuten später auf Twitter: "Diese Anfrage ist ein schlechter Scherz, oder?" Der Post wird kurze Zeit später wieder gelöscht. Von Wiese kommt noch eine E-Mail, in der sie auf ihre Anwältin verweist. Die meldet sich nie zurück. Stattdessen postet die Aktivistin Screenshots vom Twitter-Account der Autorin dieses Beitrags, um sie der Lächerlichkeit preiszugeben. Das übliche Spiel.

Dauer-Beschuss auf Twitter und Instagram. Der YouTuber Unico weiß, wohin das führen kann. Er sagt, ihn hätten die monatelangen Angriffe irgendwann gelähmt. "Ich lag auf der Couch und konnte mich plötzlich nicht mehr bewegen." Er ist einer der wenigen, die Kritik an Wiese öffentlich gemacht haben. Mit einem Video zum Fall Mockridge fing es an. Er hatte darin Empathie für die Opfer sexueller Gewalt gefordert, aber auch Verständnis für Beschuldigte. "Wer will in einer Gesellschaft leben, in der er seine Unschuld beweisen muss?" Den Namen Jorinde Wiese erwähnte er nicht.

YouTuber wehrt sich gegen Video-Sperre und Abmahnung

Vielleicht war das sein Fehler. Seither habe sie auf Insta und Twitter über ihn gelästert, sagt er. Mal habe sie ihn als "Antisemiten", mal als "Täterschützer" bezeichnet. Unico sagt, er sei als Kind selbst Opfer sexueller Gewalt geworden. Mit jeder Insta-Story habe sie in seiner Wunde gebohrt. Irgendwann sei er zusammengebrochen.

Über seine Erfahrungen mit Jorinde Wiese veröffentlichte er ein 41-minütiges Video. Titel: "Täterin Jorinde": Es kommt inzwischen auf 140.000 Abrufe. Unico bezeichnet sie darin als "Lügnerin" oder "emotionale Terroristin". Er fragt nach Belegen für Spenden, die sie mehrfach gesammelt hat, mal für Anwaltskosten, mal für Opfer von sexualisierter Gewalt. Nach Recherchen von t-online dürften sich diese Spenden inzwischen zu einem fünfstelligen Betrag summiert haben. Zuletzt hatte Wiese im April auf gofundme um 5.000 Euro gebettelt.

Unicos Video wurde in Deutschland nach einer Beschwerde von Wieses Anwältin gesperrt, der YouTuber erhielt eine Abmahnung und eine Rechnung über Anwaltskosten. Sein Anwalt hat beides erfolgreich abgewehrt. Trotzdem ist das Video hierzulande nicht mehr abrufbar. Es verstoße gegen das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, heißt es auf Anfrage von t-online bei YouTube. Wogegen genau, will der Pressesprecher nicht sagen.

t-online liegen ein Dutzend Aussagen von Menschen vor, die der Aktivistin vorwerfen, sie habe ihre Geschichte für PR-Zwecke missbraucht und sie im Internet abgewatscht. Trotzdem tritt sie als Referentin für Amnesty International auf. Im Februar spricht sie in Räumen der Volkshochschule Freiburg über Hate Speech im Internet. Aber warum gerade Wiese? Menschen, die sie kennen, sind entsetzt. Unter der Ankündigung erscheinen knapp 100 kritische Kommentare. Sie werden gelöscht, die Nutzer blockiert. Eine Anfrage von t-online, ob Amnesty die Vorwürfe gegen die Expertin für Hass und Hetze bekannt sind, bleibt unbeantwortet. Wenig später tritt Wiese als Referentin bei Amnesty in Zürich auf.

Plötzlich taucht gelöschte Kritik an Wiese wieder auf

Sie sei als Frauenrechtsaktivistin eingeladen, die sexualisierte Gewalt erlitten und sich für eine Reform des Sexualstrafrechts in der Schweiz einsetze, sagt die Pressesprecherin von Amnesty auf Anfrage von t-online. "Amnesty International verfolgt oder bewertet nicht das weitere Engagement oder Äußerungen der Aktivistinnen, die auf ihrer eigenen Initiative und Verantwortung beruhen."

Merkwürdig nur: Kurz nach dieser Anfrage von t-online tauchen die gelöschten Kommentare wieder auf: Es waren keine "Beleidigungen" und "Anfeindungen", wie die Organisation in einer ersten Stellungnahme behauptet hatte. Es waren Hinweise, dass da jemand den #MeToo-Gedanken missbrauche.

Was sagen Menschen dazu, die sich im Vorstand von #MeToo-Germany engagiert haben? Im Impressum von #MeToo Germany standen im Laufe der Zeit 27 Namen von Gründungsmitgliedern. Ob die Schauspielerinnen Tina Ruland und Floriane Daniel oder die Netzfeministin Anne Wizoreck, Erfinderin des Hashtags #Aufschrei – niemand von ihnen meldet sich zurück.

Die Angriffe auf Mockridge gehen weiter

Jetzt steht im Impressum nur noch der Name der Frau, die #MeToo gegründet hatte: Jany Tempel. Sie lebt heute in Thailand. Für Presseanfragen steht sie nicht zur Verfügung. 2017 hatte sie den Starregisseur Dieter Wedel beschuldigt, er habe sie 1996 vergewaltigt. Das "Zeit"- Magazin fand noch andere Frauen, die Wedel nach zwanzig Jahren sexueller Übergriffe bezichtigten.

Im März 2021 erhob die Staatsanwaltschaft München Anklage. Ein Verfahren wurde zwar bis heute nicht eröffnet. Die große Öffentlichkeit ist aber ein Erfolg für #MeToo. Die Bewegung hat das Bewusstsein für das Thema geschärft. Sie hat eine wichtige Diskussionen angestoßen und Opfern Mut gemacht.

Der Fall Mockridge überschattet diesen Erfolg. Im Mai feierte der Comedian sein Comeback auf der Bühne. Ein t-online zugespielter Live-Mitschnitt zeigt, wie eine junge Aktivistin zur Bühne stürmt. Sie fordert, was auch Dutzende Feministinnen der Stadt fordern: "Keine Show für Täter!" Jorinde Wiese ist nicht unter den Demonstrantinnen. Im April hat sie ihren Rückzug vom Aktivismus verkündet. Im Internet merkt man davon nichts. Die Angriffe auf ihre Kritiker gehen weiter.

Ihre Anwesenheit bei den Mockridge-Shows ist aber auch gar nicht mehr erforderlich. Die Kampagne geht auch ohne sie weiter. Mit ihrem Hashtag hat sie das Fundament dafür geschaffen. #MeToo ist da angekommen, wo die Bewegung nie hinwollte.

Anmerkung der Redaktion: Der Text wurde an mehreren Stellen nachträglich geringfügig geändert.

*An dieser Stelle hatte t-online über Erkenntnisse aus den Ermittlungen im Fall Mockridge berichtet, die im vergangenen November durch einen Medienbericht an die Öffentlichkeit gelangt waren. t-online hat die Passage nach juristischen Schritten von Ines Anioli – ohne Anerkennung einer rechtlichen Verpflichtung, da uns gegenteilige Informationen vorliegen – entfernt.

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