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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Olivia Jones "Ich bin auf keinen Fall ein CDU-Wähler"
Bislang hat Olivia Jones ihr Privatleben streng geheim gehalten. In ihrer Biografie "Ungeschminkt" macht sie damit Schluss – und spricht im Interview mit t-online über Hass, Einsamkeit und heuchlerische Promis.
Olivia Jones liebt das Rampenlicht, die Bühne und die ungeschönte, zuweilen auch schonungslose Sprache. Blumige Schönrederei lehnt die 51-Jährige ab. Der Titel ihrer Biografie, "Ungeschminkt", ist nicht zufällig gewählt. Sie möchte Einblicke in ihr Leben gewähren, aber nichts schönreden. Wenn sie über ihr Leben schreibe, dann müsse das auch "echt" sein, sagt sie im Interview mit t-online.
Im Gespräch berichtet die Hamburger Dragqueenlegende, wie sie seit ihrer Kindheit mit Hass und Anfeindungen zu kämpfen hat, erzählt, warum die Schönheitsindustrie verlogen agiere, und sagt auch: "Ich finde Leute albern, die so tun, als hätten sie nichts machen lassen." Olivia Jones erklärt, warum ausgerechnet sie, die sich selbst "alle vier Wochen Botox spritzt", Kritik am Schönheitswahn äußert – und nennt konkrete Verbesserungsvorschläge.
t-online: Sie schreiben in Ihrer Biografie, dass Sie schon als Kind in den Kleidern der Mutter posierten, und nennen sich in Ihrem Buch selbst einen "Paradiesvogel". Was an Ihnen ist denn tatsächlich "ganz normal" und vielleicht sogar "bürgerlich"?
Olivia Jones: Ich glaube vieles. Erst mal schon die Art, wie ich lebe. Ich bin sehr diszipliniert. Ich muss auf mich achten, immer wieder meine Batterien aufladen, Sport treiben und mich gut ernähren, sonst würde mein Lebensstil – abends auf der Reeperbahn umherzuspringen – gar nicht funktionieren. Das finde ich alles schon sehr spießig oder wie Sie es sagen: normal.
Ein ganzes Kapitel haben Sie über "Mein Kampf gegen Angst und Hass" geschrieben. Schon in Ihrer Schulzeit in den Siebzigern und Achtzigern wurden Sie gemobbt, auch von Lehrern. Der "Hass tat weh", erklären Sie. Wie ist es, ein ganzes Leben angefeindet zu werden?
Ich kenne mein Leben gar nicht ohne Intoleranz und Ausgrenzung, weil ich das eben schon sehr früh erlebt habe, wie Sie richtig sagen. Schon einige meiner Lehrer sind mir mit Abneigung begegnet, das hat mich sehr verletzt. Aber auch auf der Straße musste ich Angst haben. Mich haben Nazis verfolgt, mir mit Gewalt gedroht und Beschimpfungen muss ich auch immer wieder erleiden.
Was haben Sie dagegen unternommen?
Ich habe mir schon sehr früh einen dicken Panzer angelegt und versucht, diesen Gegenwind in Rückenwind umzuwandeln. Ich lasse mir nicht diktieren, wie ich zu leben habe. Frei nach dem Motto: jetzt erst recht.
Das klingt mühsam.
Das kostet sehr viel Kraft, Energie und Mut. Daher weiß ich auch, dass nicht alle diese Kraft und diesen Mut haben. Deswegen setzen wir uns auch mit der Olivia-Jones-Familie aktiv für Toleranz und Diversität ein und ich spreche mich immer wieder gegen Mobbing und Intoleranz aus.
Sie sprachen soeben von realer Gewalt. In Ihrem Buch beschreiben Sie eine Prügelei mit einem Stalker, in deren Folge Sie eine "Trümmernase" davongetragen haben. War das der Moment in Ihrem Leben, der Ihnen am meisten Angst gemacht hat?
Es hat mir schon Angst gemacht, dass jemand plötzlich so übergriffig ist und meine Nase dabei zu Bruch geht. Das sind alles so Sachen, die ich mir niemals hätte vorstellen können, aber mit denen ich immer konfrontiert bin. Ich kann das auch nicht verstehen, warum Leute mich zusammenschlagen wollen, nur weil ich anders aussehe und homosexuell bin. Umso wichtiger ist der Kampf für eine tolerante Gesellschaft.
Ist unsere Gesellschaft denn wirklich toleranter geworden?
Ich denke, unsere Gesellschaft ist etwas liberaler als früher und es ist nicht mehr ganz so schwierig für Außenseiter wie zu meiner Schulzeit. Aber ich muss schon mit den Augen rollen, wenn ich sehe, dass es heute noch viele gleiche Probleme wie vor 40 Jahren gibt. Die Suizidrate bei Homosexuellen ist immer noch höher als die bei Heterosexuellen. Ausgrenzung ist ein reales Problem. Es gibt auch im Jahr 2021 noch Menschen, die sich nicht trauen, sich zu outen. Deswegen müssen wir uns das jeden Tag aufs Neue erkämpfen, auch wenn das ermüdend und zermürbend ist.
In Ihrem Buch heißt es: "Schließlich wohne ich seit dem Auszug vor 30 Jahren von zu Hause alleine und komme so auch sehr gut zurecht." Fühlen Sie sich denn nie einsam bei all den Anfeindungen und dem medialen Wirbel, wenn Sie nach Hause kommen und niemand ist da?
Nein, ich bin ein glücklicher Single. Einsam fühle ich mich nicht. Der Preis meines Erfolgs war wirklich, dass sich mein ganzes Leben um Olivia Jones dreht. Ich habe ein tolles Team, ich habe viele Künstler um mich herum, meine bunte Olivia-Jones-Familie, auf die ich sehr stolz bin. Es ist auch schwierig mit mir zusammen zu sein, denn ich brauche total viele Freiheiten.
Wann war denn Ihre letzte Beziehung und wie lange hat die gehalten?
Mindestens seit 15 Jahren bin ich Single. Und meine längste Beziehung? Die hat drei Jahre gehalten.
Wenn Sie als Oliver unterwegs sind, möchten Sie keine Brüste haben. Das habe ich im Buch erfahren und mich gefragt: Wie sehr trennen Sie zwischen diesen zwei Persönlichkeiten und wo fällt es Ihnen am schwersten?
Das kann man schwer trennen. Viele denken immer, Olivia ist eine Kunstfigur, aber das stimmt nicht. Sie ist ein Teil von mir: die extrovertierte, weibliche Seite von Oliver. Deswegen verschwimmt das. Ich schminke mich und werde zu Olivia: Das ist dann vom Effekt her ähnlich wie bei einem Clown, der seine Pappnase aufsetzt. Olivia hat ab dann auch eine gewisse Narrenfreiheit, kann sich Dinge trauen, die sich Oliver nie trauen würde und dürfte. Sobald ich mich abschminke, bin ich wieder Oliver. Das hat mit Schizophrenie nichts zu tun, das läuft alles automatisch.
Ein potenzieller Partner müsste also mit Oliver und Olivia zugleich zurechtkommen?
Ja, so eine Dreierbeziehung ist schwer, ich weiß. Und dazu adoptiert man ja auch noch Deutschlands schrillste Patchworkfamilie. Die Olivia-Jones-Family. Aber im Grunde genommen ist es ja etwas Schönes: Man bekommt zwei Personen zum Preis von einer plus Familie. (lacht)
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Sind Sie noch auf der Suche nach einem Partner fürs Leben?
Nein, auf der Suche bin ich längst nicht mehr. Aber die Hoffnung habe ich trotzdem nicht vollständig aufgegeben. Ich weiß zwar, dass ich kein Beziehungsmensch bin, aber vielleicht funktioniert es trotzdem irgendwann noch einmal.
Anderes Thema: Was an Ihnen ist eigentlich noch echt?
(lacht) Der Witz ist: Ich dachte immer, ich habe gar nicht so viel an mir machen lassen. Dann habe ich angefangen, für das Buch alle Eingriffe zu sammeln, und plötzlich wurde das zu einer never ending story.
Das dazugehörige Kapitel "Pimp my Body – oder warum Olivia immer 29 Jahre alt bleibt" zieht sich über 16 Seiten.
Mir sind immer wieder neue Dinge eingefallen, die ich habe machen lassen. Bei Schönheitseingriffen muss man echt aufpassen, dass es nicht zur Sucht wird.
Sind Sie denn süchtig danach?
Nein, ich würde sagen: Ich bin nicht süchtig nach Schönheitseingriffen. Aber wenn man etwas optimieren kann, dann bin ich auch immer ganz vorne dabei. Wichtig ist mir die Transparenz. Ich finde Leute albern, die so tun, als hätten sie nichts machen lassen – dabei sieht man ihnen sofort an, dass sie sich unters Messer gelegt haben. "Viel Wasser trinken und viel schlafen" ist oft das Motto dieser Menschen: Das finde ich absurd und bescheuert. Zu seinen Operationen sollte man stehen!
Ihr Schönheitsideal liegt bei 29 Jahren. Außerdem ziehen Sie Vergleiche zu Heidi Klum. Warum?
Das gehört einfach zu Olivia. Aber ich persönlich habe gar kein großes Problem mit dem Älterwerden. Ich bin ja Dragqueen und kein Topmodel. Und trotzdem denke ich mir: Heutzutage kann man so viele Sachen machen lassen, das ist doch super. Wenn man sich ein bisschen konservieren kann, na warum denn nicht?
Gibt es denn auch Eingriffe, die Sie bereuen?
Also ich habe so Narben hinten den Ohren, das muss nicht unbedingt sein. Aber grundsätzlich: Nein, ich stehe zu meinen Eingriffen. Klar hat das auch oft wehgetan und ich habe Anrufe bekommen, meine Nase sei abgesackt und ich würde aussehen wie eine billige Version von Michael Jackson. Das ist ein zweischneidiges Schwert. Man muss vorsichtig sein und aufpassen, was genau gemacht wird.
Aber oft ist das Bild, das gezeichnet wird, ein anderes: Da heißt es dann gerne von der Schönheitsindustrie, alles sei unproblematisch, alles sei möglich.
Die Schönheitsindustrie vermittelt ein falsches Bild. Ganz junge Mädchen, die sich die Lippen, den Po oder die Brüste aufspritzen lassen, das ist wirklich gefährlich. Da sind Grenzen für mich erreicht.
Wann war denn Ihr erster Eingriff?
Das fing mit Botox an, die Einstiegsdroge quasi. Das war vor etwa 18 Jahren.
Sie haben also damit angefangen, als sie Anfang 30 waren. Doch heute werden die Kundinnen bei Beauty-Docs immer jünger. Sehen Sie das mit Sorge?
Ich sehe das schon mit Sorge. Vor allem die Vorbilder besorgen mich sehr: die Kardashians zum Beispiel. Diese ganzen Bilder voller Photoshop-Effekte sind sehr gefährlich. Junge Frauen, die heutzutage aussehen wollen wie so Gummipuppen. Furchtbar!
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Schönheitsideale, die auf retuschierten Photoshop-Bildern bei Instagram basieren…
Ja, diese Ideale existieren in Wirklichkeit überhaupt nicht. Eigentlich nur gut gephotoshoppt, aber das Idealbild transportiert sich leider Gottes. Es gibt Fälle von 15-jährigen Mädchen, die sich vom Weihnachtsmann neue Brüste wünschen. Wahnsinn!
Nun würden Kritiker einwenden: Sie lassen sich alle vier Monate Botox spritzen und taugen nicht gerade als Vorbild. Was würden Sie dem entgegenhalten?
Ich bin in einem ganz anderen Alter. Außerdem macht die Dosierung das Gift. Das ist mit Alkohol das Gleiche wie mit Schönheitseingriffen. Es muss jeder für sich selbst wissen, aber die Dosierung sollte schon stimmen. Dafür wäre es vor allem wichtig, mehr Aufklärungsarbeit zu betreiben.
Wie meinen Sie das?
Es muss deutlich mehr über die Gefahren aufgeklärt werden. Es darf nicht immer nur heißen: Du kannst dir das operieren lassen. Ständig wird davon geredet, dass jeder sich operieren lassen kann und dann aussieht wie Marilyn Monroe und zack: Schon ist derjenige glücklich. Aber man sieht an den Leuten, die extrem operiert sind, die sind nicht glücklich. Ganz im Gegenteil.
Haben diese Leute also ganz andere Probleme?
Na logisch. Oftmals müssten diese Menschen zum Psychologen gehen und nicht zur Schönheits-OP. Es gibt doch Grenzen. Und eine davon ist ganz eindeutig, dass junge Mädchen einem Schönheitsideal hinterherrennen, mit dem sie unglücklich werden. Denn sie wollen etwas entsprechen, dem sie niemals entsprechen können. Das führt zu Problemen.
Es kann vor allem gesundheitsschädigend sein. Wie ist das bei Ihnen, haben Sie gesundheitliche Beeinträchtigungen durch die Eingriffe zu spüren bekommen?
Nein, ich denke nicht. Aber ich habe natürlich gemerkt, dass die Eingriffe oft schmerzhaft waren. Nehmen wir nur mal eine Fettabsaugung: Wenn man sich das vor Augen führt, was dort passiert, ist das schon eklig. Dann sollte man lieber auf gesunde Ernährung achten und Sport machen – damit wird man glücklicher.
In der Corona-Pandemie scheint das jedenfalls zum großen Trend zu werden: So viele Eingriffe wie aktuell gab es noch nie.
Natürlich! Die Masken sind dafür auch ideal: Dahinter kann man sich Nase oder Lippen machen lassen, ohne dass jemand Notiz davon nimmt. Außerdem spart man in der Pandemie privat Geld, kann nicht reisen, kaum etwas erleben: Also verschleudern viele Promis derzeit ihr Geld beim Beauty-Doc. Ich bin mit einem Schönheitschirurgen befreundet, der bestätigt mir diesen Corona-Trend.
Was ist dennoch total verpönt, was wäre für Sie ein No-Go?
Extrem gefährliche Eingriffe sind tabu. Diese Arschimplantate sind furchtbar. Oder der operative Eingriff, bei dem die Rippen entfernt werden, damit eine Wespentaille à la Sophia Wollersheim entsteht. Das geht gar nicht. Finger weg von allem, was irreparabel ist.
Sie bezeichnen sich als "politischer Mensch". Was fasziniert Sie an Politik und mit welchen Gefühlen blicken Sie auf die Bundestagswahl 2021?
Dieses ganze Machtgehabe stößt mich ab. Ich persönlich bin für die Politik nicht gemacht. Aber ich bin der festen Überzeugung: Jeder kann seinen Teil dazu beitragen, dass wir in Deutschland friedlich zusammenleben. Wir haben eine Demokratie, um die uns viele Menschen aus anderen Ländern beneiden. Und mein Anspruch ist es, Unterhaltung mit Haltung zu machen.
Eine Sache, für die uns andere Länder auch beneidet haben, ist unsere Bundeskanzlerin. Auch Sie bewundern Angela Merkel. Jetzt tritt Sie ab. Was werden Sie am meisten an ihr vermissen?
Ich bewundere es vor allem, wie sie es als Frau geschafft hat, sich bei all diesen Alphamännchen durchzubeißen. Erdoğan, Putin, Trump auf internationaler Ebene, aber auch CDU-intern mit diesen ganzen Machos. Ihr "dickes Fell" ist vor allem bewundernswert und etwas, das ich so in der Art nicht habe. Ich denke, dass wir Angela Merkel auch deswegen vermissen werden: Weil sie sich nie hat aus der Ruhe bringen lassen und weil alles an ihr so teflonartig abgeprallt ist.
Politisch stehen Sie aber dennoch den Grünen näher, oder?
Jedenfalls bin ich auf keinen Fall ein CDU-Wähler. Mein Respekt gilt vor allem Angela Merkels strategischem Talent, wie sie sich bis an die Spitze hochgearbeitet hat, und ihrer ruhigen, unaufgeregten Art, selbst in unruhigen Zeiten.
Sie haben mir erzählt, dass Sie sich aus dem Bauch heraus eher für Robert Habeck als Kanzlerkandidat für die Grünen entschieden hätten. "Er ist ein glaubhafter Politiker, hat frischen Wind in die Partei gebracht und kann sich durchsetzen", sagten Sie. Nun ist es anders gekommen: Annalena Baerbock ist es geworden. Was denken Sie darüber und welche Chancen räumen Sie den Grünen im September ein?
Da ging es nicht um persönliche Sympathien, sondern darum, dass ich aus dem Bauch heraus einfach gedacht hätte, dass er am Ende das Rennen machen wird. Aber ich finde es toll, dass die beiden sich jetzt gemeinsam ohne viel Trara auf Annalena verständigt haben. Das ist uneitel, sachorientiert und damit genau das Richtige in dieser verrückten Zeit. Die beiden sind ein tolles Team und davon brauchen wir mehr in der Politik. Ich schreibe ja nicht umsonst auch in der Widmung zu meiner Biografie: Demokratie ist anstrengend, aber Kompromiss darf kein Schimpfwort sein.
- Interview mit Olivia Jones