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Matthias Freihof zum Massen-Coming-Out: "Aktion wünsche ich mir seit Langem"


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"Ahnungslosigkeit"
Schauspieler Matthias Freihof kritisiert ARD und ZDF

  • Steven Sowa
InterviewVon Steven Sowa

Aktualisiert am 06.02.2021Lesedauer: 5 Min.
Matthias Freihof: Der Schauspieler formuliert Kritik an ARD und ZDF im Zuge der #actout-Kampagne.Vergrößern des Bildes
Matthias Freihof: Der Schauspieler formuliert Kritik an ARD und ZDF im Zuge der #actout-Kampagne. (Quelle: Ingo Woesner)
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Das Massen-Coming-Out in der Filmbranche hat hohe Wellen geschlagen. Kritik gab es derweil auch am öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Im t-online-Interview fordert Matthias Freihof von ARD und ZDF mehr Haltung.

In einem der bedeutendsten deutschen Filme mit homosexueller Thematik, "Coming Out" von 1989, spielte Matthias Freihof die Hauptrolle. Seit Jahrzehnten steht der Schauspieler zu seiner sexuellen Orientierung – und hat sich nun dem Coming-Out von 184 Kolleginnen und Kollegen aus der Branche angeschlossen. Im Interview mit t-online kritisiert er vor allem die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten und ihre Redaktionsstrukturen im Hinblick auf fehlende Diversität.

t-online: Sie haben ihr Coming-Out schon viele Jahre hinter sich. Warum jetzt diese Teilnahme an der abgestimmten Aktion?

Matthias Freihof: Das ist eine Aktion, die ich mir seit den Neunzigern wünsche. Wenn man Einzelkämpfer ist, und so habe ich mich ein paar Jahre gefühlt, bis Maren Kroymann, Ulrike Folkerts und einige andere dazukamen, freut man sich über ein solches Signal. In die Gesellschaft, aber noch viel wichtiger aus meiner Sicht: in die Branche.

Was genau ist das für ein Signal?

Es geht um Sichtbarkeit! Aber wir wollen auch die Sicht- und Verhaltensweisen in der Branche ändern.

Was läuft denn schief? Was haben Sie konkret schon erlebt?

Es gab eine Casterin, die sagte vor einigen Jahren: Ein renommierter Schauspieler in Deutschland, der sich outet, kann nicht mehr "love interest" sein. Das ist eine sehr kühne Behauptung, die durch nichts, aber auch gar nichts gedeckt ist.

Wo hakt es im System genau: Bei den Redakteuren der Sender, bei den Castern oder bei den Regisseuren?

Die Regisseure verlieren immer mehr an Macht. Es gibt nur wenige, die so renommiert sind, dass sie mit ihren persönlichen Besetzungswünschen das letzte Wort haben und sich durchsetzen können. Ansonsten entscheiden die Redaktionsabteilungen – und diese übergehen oft die Wünsche der Regie.

Gilt das nur für Regisseure? Schließlich hängen an einem Film unzählige Menschen, inklusive Produktion und Castingabteilung.

Auch die Produzenten und die Caster verlieren an Einfluss. Es ist die Redaktion, die sich einen Hauptcast wünscht und entscheidet, wer am Ende vor der Kamera steht.

Bezweifeln Sie, dass Redakteure diese Kompetenzen besitzen?

Ich habe das bereits bei einer Serie Anfang der Neunziger erlebt: Da haben drei junge Redakteure nacheinander an einer Produktion mitgearbeitet und die Ahnungslosigkeit war nicht zu überbieten. Es ist oft so, dass Redakteure nicht mal ein abgeschlossenes Studium oder eine dramaturgische Berufsausbildung genossen haben.

Ist das bei Ihnen anders?

Ich habe vier Jahre studiert und einen Diplomabschluss für Schauspiel und Theatergeschichte. Bei uns an der Schauspielschule Ernst Busch haben wir neben dem Handwerk auch sehr viel über Theatertheorie und Dramaturgie gelernt. Wir sind nicht nur die Gaukler, die den Leuten die Wäsche von der Leine nehmen!

Aber Inkompetenz gilt doch nicht für alle Redakteure. Dieser Beruf ist an keine strengen Voraussetzungen gebunden. Dementsprechend vielfältig und unterschiedlich sind die Qualitäten der Mitarbeiter in den Sendern und Produktionsfirmen.

Klar, denn es gibt ja keine Einstellungskriterien für diesen Beruf. Aber es gibt oft eine eklatante Diskrepanz zwischen den Entscheidern und den Kreativen. Vor allem in Bezug auf das Storytelling, also: Wie wollen wir eine Geschichte erzählen. Bei den Geschichten wird sich im Zweifel immer auf den kleinsten gemeinsamen Nenner geeinigt, mit dem Argument: Unsere Zuschauer verstehen das nicht oder das Publikum ist dafür nicht bereit. Das beschneidet die Kreativität und schafft eine Arbeitsgrundlage, bei der nur mutlose Filme herauskommen.

Haben Sie noch nie einen guten Redakteur kennengelernt?

Ich will auf keinen Fall alle verurteilen. Es gibt hervorragende Beispiele, die von Anfang an am Prozess beteiligt sind. Ich erinnere an "Dr. Klein" vom ZDF, wo eine kleinwüchsige Darstellerin besetzt wurde und es gab "People of Color" und einen schwulen Arzt. Dann wurde die Serie eingestellt mit dem Argument, die Geschichte sei zu Ende erzählt. Da war ich unglaublich wütend! Es gibt unzählige Formate im deutschen Fernsehen, die sind seit Jahrzehnten auserzählt, und werden weitergeführt.

Sie kritisieren, dass solche Formate, weil sie mutmaßlich nicht Mainstream-tauglich sind, frühzeitig eingestellt werden?

Ja, das denke ich. Jedenfalls hab ich nirgendwo eine plausible Erklärung gelesen.

Entscheidungsträger bevormunden die Kreativen der Filmbranche? Ist es das, was Sie sagen wollen?

Das breite Spektrum der kreativen Möglichkeiten, gemeinsam eine Geschichte zu erzählen, wird nicht genutzt. Drehbuchautorinnen und -autoren, Regisseurinnen und Regisseure, Darstellerinnen und Darsteller werden bewusst engagiert und dann wird ihnen das Vertrauen in ihre Kompetenz entzogen. Das ist doch absurd. Dadurch geht sehr viel an Möglichkeiten verloren, um eine spannende Geschichte zu erzählen.

Stehen vor allem ARD und ZDF in der Verantwortung, daran etwas zu ändern?

Absolut. Diese Sender werden primär nicht über Werbung finanziert, sondern über den Rundfunkbeitrag. Sich in dem Zusammenhang auf die TV-Quote zu berufen, halte ich also für vollkommen blödsinnig. Private Sender müssen sich gegenüber ihren Werbepartnern rechtfertigen, aber das öffentlich-rechtliche Fernsehen hat diesen ökonomischen Druck gar nicht. Und dann stehen ARD und ZDF auch noch in Konkurrenz zueinander, obwohl sie über unser aller Gebühren finanziert werden.

Beitrag, wohlgemerkt. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk legt großen Wert darauf, dass es eben nicht Gebühr genannt wird. Da es als Beitrag zum Gemeinwohl gesehen wird, der staatsfern und unabhängig ein Programm, explizit auch für Minderheiten, gestaltet.

Alles schön und gut, aber meine Lesart ist auch, dass mit dem ZDF ein Gegengewicht zu einem deutlich bunteren Programm der ARD-Anstalten geschaffen werden sollte, weil es den Leuten von der CDU/CSU und den katholischen Vertretern in den Fernsehräten nicht konservativ genug war. An der Zusammensetzung dieser Fernsehräte gibt es schon seit Jahren Kritik.

Wie trifft das nun Sie und Ihre Kampagne #actout, die von 185 weiteren Schauspielerinnen und Schauspielern getragen wird?

Ganz massiv, denn Kirchenvertreter haben einflussreiche Positionen bei den Sendern. Die katholische Kirche hat ein ganz heftiges Problem mit Homosexualität, das ist ja nicht neu. Auch wenn katholische Würdenträger öffentlich die sexuelle Orientierung mit Pädophilie in Verbindung bringen, ist das doch eine Farce. Die Kirche ist nun wirklich keine Institution, die sich zum Moralapostel aufschwingen darf.

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Aber wie lautet dann konkret Ihre Forderung: Was würden Sie ändern, um diese Strukturen aufzubrechen?

Das ist ein wichtiger Punkt, denn es stimmt: Ich habe Angst, dass diese Aktion verpufft ohne konkrete Verbesserungsvorschläge. Einer davon ist, dass unsere Queer Media Society ihre Kräfte bündelt und als Organisation auftritt, dann können wir direkt an Redaktionsleitungen und Sender herantreten. So können wir Ideen artikulieren, Vorschläge machen und helfen, Geschichten anders zu erzählen. Wir wollen unsere kreative Kraft ganz konkret einbringen. Vielleicht wie ein 'queerer Ethikrat', der in den Institutionen an Entscheidungen beteiligt wird.

Geht das mit der Forderung nach einer Quote einher?

Da bin ich vorsichtig. Wir müssten uns immer mit dem Argument auseinandersetzen, dass wir unsere sexuelle Orientierung vor unsere schauspielerische Qualität stellen – daraus könnte man uns zu leicht einen Strick drehen, wie man an unzähligen Kommentaren zu unserer Aktion jetzt bereits im Netz sehen kann. Leider haben sehr viele Kommentatorinnen und Kommentatoren in den sozialen Netzwerken nicht verstanden, dass es uns weder um Nabelschau, PR oder Job-Akquise geht. Schauen wir mal auf die Oscars: Dort hat sich in letzter Zeit einiges bewegt, was die Vorgaben für mehr Diversität angeht. Will man wirklich "Rosamunde Pilcher", "Das Traumschiff", "Inga Lindström" und viele andere Formate immer so weitererzählen? Es soll um eine selbstverständliche Sichtbarkeit gehen, ohne dass thematisiert wird, warum wer schwul, schwarz oder trans ist. Das wird einfach nicht abgebildet im deutschen Fernsehen – und genau das muss sich ändern.

Verwendete Quellen
  • Telefoninterview mit Matthias Freihof
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