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Felicitas Woll kritisiert: "Wir sind so verwöhnt"


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Felicitas Woll
"Wir sind so verwöhnt"

InterviewVon Janna Halbroth

Aktualisiert am 23.09.2020Lesedauer: 9 Min.
Felicitas Woll: Die Schauspielerin findet, dass auch behinderte Kinder ein Recht auf das Leben haben.Vergrößern des Bildes
Felicitas Woll: Die Schauspielerin findet, dass auch behinderte Kinder ein Recht auf das Leben haben. (Quelle: imago images / Mary Evans)
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Im neuen Film mit Felicitas Woll geht es um krumme Pharma-Geschäfte in der DDR. Im Interview spricht sie über ihre Rolle, ihre Familie und die Folgen der Corona-Pandemie.

Viele kennen Felicitas Woll wegen ihrer Rolle als Lolle in der ARD-Serie "Berlin, Berlin". Doch das ist mittlerweile lange her: Vor 18 Jahren wurde die erste Folge ausgestrahlt. Woll war damals 22 Jahre alt, der Hype um ihre Person war nicht immer leicht für die Schauspielerin.

Inzwischen spielt sie auch ernsteren Rollen. Am 28. September ist die heute 40-Jährige im ZDF-Film "Kranke Geschäfte" zu sehen, der schreckliche Machenschaften des DDR-Regimes thematisiert. "Das kann immer wieder passieren, wenn man nicht aufpasst“, sagt die Schauspielerin über das damalige Regime. Was sie von der aktuellen Bundesregierung hält und warum sie sich über Kommentare, die ihren Bruder betreffen, gewaltig ärgert, verrät sie im t-online-Interview.

t-online: Frau Woll, was ist das Besondere am Film "Kranke Geschäfte"?

Felicitas Woll: Es ist ein gewisses Mitgefühl von etwas Unglaubwürdigem. Das schwingt, wie ich finde, in dem Film die ganze Zeit mit. Man versucht, sich in die Situation hineinzuversetzen, aber man merkt, dass diese schwierig ist und war. Es ist zum Teil eine Fiktion, die aber auf wahren Ereignissen beruht. Man muss sich dieser Realität stellen und wissen, dass das tatsächlich zum Teil noch so passiert.

Sie spielen die Mutter einer chronisch kranken Tochter. Wie war es für Sie, sich über einen so langen Zeitraum in diese Situation hineinzuversetzen. Sie sind selbst Mutter, hat Sie das stark belastet?

Es ist ein Drahtseil, auf dem man während der Drehzeit balanciert. Man lässt sich aber bewusst darauf ein, wenn man vier bis fünf Wochen dreht. Ich weiß dann schon, dass es eine Zeit wird, die einen mitnimmt. Man muss zulassen, sich emotional hinzugeben, um der Figur eine Tiefe zu geben. Ich bin bereit, ihr meine Empfindsamkeit und meine Erschrockenheit über das Ganze mitzugeben. Es ist eine Trainingssache, nach Drehschluss auch abschließen zu können. Ich weiß dann: Ich gehe jetzt in mein Leben zurück und versuche nicht mehr darüber nachzudenken. Ich lasse los, das ist ganz wichtig, um so eine Drehzeit auch zu schaffen. Sonst ist man in so einem emotionalen Tief, in dem man keine Kraft mehr bekommt. Und die braucht man für so einen Dreh.

Das klingt kräftezehrend.

Ja, aber das ist das, was ich so liebe an meinem Beruf. Ich weiß, ich gehe jetzt mit dieser Figur diesen Weg. Ich weiß, der wird nicht einfach. Ich werde viel mit meinen Gedanken und Gefühlen zu tun haben, aber ich weiß, ich kann sie dann auch ganz gut wieder verabschieden.

Sie haben ja schon sehr früh mit der Schauspielerei angefangen. Als 17-Jährige war es sicher nicht leicht, Gefühle auf Knopfdruck abzustellen, oder?

Ja, auf jeden Fall. Vor 20 Jahren, habe ich mich manchmal so tief in Figuren reingefühlt, dass Tränen geflossen sind, als ich dann fertig mit dem Projekt war. Ich konnte nicht ganz loslassen und habe noch nicht verstanden, dass man das muss. Mit der Erfahrung lernt man dann dazu. Heute bin ich dankbar, dass ich so viele unterschiedliche Dinge erfahren darf und trotzdem wieder verschwinden kann in mein eigenes Leben.

Was macht Ihnen grundsätzlich mehr Freude: diese lustigen Rollen, von denen Sie ja viele gespielt haben oder die ernsteren Rollen?

Ich möchte auf keinen Fall auf eines von beiden verzichten. Ich bin total froh, dass sich die Rollen so abwechseln. Man darf nicht unterschätzen: Die Menschen zum Weinen zu bringen ist leichter, als sie zum Lachen zu bringen. Das Lachen ist so ein reflexartiges Gefühl. Das muss stimmen, das muss auf den Punkt sein. Es ist das schwierigere Fach, obwohl man das gar nicht denkt. Aber ich bin ein sehr tief fühlender Mensch und ich mag es, mit einer Figur in eine absolute Tiefe zu gehen und in Dinge reinzuschauen, die mir selber fremd sind. Dinge, die ich selber nicht erlebt habe. Dinge, vor denen ich vielleicht doch Angst habe oder über die ich im Privaten gar nicht weiter nachdenken möchte.

Der Film, in dem Sie jetzt zu sehen sind, spielt in der DDR. Was denken Sie über die DDR und das damalige Regime?

Das ist für mich schwierig zu beantworten. Ich bin einer ganz anderen Zeit groß geworden. Als die Mauer fiel, war ich neun Jahre alt. Da war ich viel zu klein, um das alles zu verstehen. Verständlicher wurde es mir dann ein bisschen in der Schulzeit, weil man da dann darüber gesprochen hat. Aber auch da wurde nicht alles beleuchtet. Da wurden bestimmte Hauptthemen angesprochen, und dann war es das. Das Ganze ist unsere Geschichte, beruht aber auf Dingen, die schon so viele Jahrzehnte zurückliegen. Das ist alles sehr unwirklich.

Ich kann mir diese Dinge, die passiert sind, kaum vorstellen. Die Medikamententests zum Beispiel, die auch im Film thematisiert werden. Da denke ich, ich bin froh, dass ich auf der anderen Seite aufgewachsen bin. Andererseits gibt es viele Menschen, die sind in der DDR groß geworden und die haben auch schöne Dinge erlebt. Die Leute haben in dieser Zeit gelernt, mit der Situationen umzugehen. Und die war auch oft sehr bedrohlich, nicht schön und sehr traurig. Aber es ist eine Zeit in unserer Geschichte und ein Resultat, aus dem, wie Menschen sich in einer bestimmten Zeit verhalten haben.

Darum geht es in "Kranke Geschäfte"
DDR 1988: Armin Glaser (Oberleutnant der Stasi) lebt mit seiner Frau Marie und seiner Tochter Kati in Karl-Marx-Stadt. Plötzlich wird bei Kati Multiple Sklerose diagnostiziert. Eine neuartige Behandlung soll dem Kind helfen. Doch bald treten Ungereimtheiten im Behandlungsverlauf auf. Armin beginnt, die Therapie zu hinterfragen. Schnell kommt er auf eine dramatische Theorie: Westdeutsche Pharmakonzerne testen heimlich Medikamente an ostdeutschen Bürgern.

Glauben Sie, eine Zeit wie in der DDR, könnte sich wiederholen?

Das kann immer wieder passieren, wenn man nicht aufpasst. Wenn man einfach nicht bewusst ist miteinander. Menschen kommen immer wieder in die Situation, dass sie sich abgrenzen, sich nicht verstehen und nicht auf einer Kommunikationsebene miteinander sind. Solche Verhältnisse oder auch Kriege entstehen, wenn Menschen auseinandergehen, wenn Grenzen gezogen werden. Das ist der Lauf der Menschheitsgeschichte, das war schon immer so, dass sich abgegrenzt wurde. Wenn man jetzt in meiner Generation aufgewachsen ist und keinen Krieg oder keine Situationen erlebt hat, die einen an das Maximum bringt, ist es immer ganz schwierig, darüber zu spekulieren, weil man das Ganze aus einem anderen Blickpunkt betrachtet.

Im Film sieht man deutlich, dass der Staat die Leute missbraucht oder ausnutzt, die schwach sind, die krank sind. Denken Sie, unser Staat kümmert sich genug um diejenigen, die hilfsbedürftig sind?

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Ich denke, dass wir in dem Land leben, das schon eine Menge tut und auch durch die eigene Geschichte realisiert hat, dass gewisse Dinge nicht mehr gehen und man sich füreinander statt gegeneinander einsetzen muss. Es ist nicht förderlich für die Menschheit oder für nachkommende Generationen, wenn man sich nicht umeinander kümmert. Ein Land kann nicht funktionieren, wenn man sich nicht umeinander kümmert. Global gesehen gibt es aber noch so viele Punkte, in denen wir uns gegenseitig zu wenig unterstützen und zu wenig auf die schauen, die viel weniger haben als wir. Wir leben auf so einem hohen Standard. Uns geht es so gut, wir sind so verwöhnt. Es sind so viele Sachen selbstverständlich für uns. Gerade die Zeit, die wir jetzt haben, mit so einer Pandemie, rüttelt uns auf. Und man lernt, von sich selbst wegzuschauen.

Sie sind jetzt seit ein paar Monaten 40. Können Sie denn bestätigen, dass 40 das neue 30 ist?

Absolut. Mein Beruf trägt auch dazu bei, dass ich mich oft kindlich verhalten darf. Ich sitze nicht fest in einer Form, die ich nach außen hin, haben muss. Ich fühle mich sehr frei und entspannt. Ich fühle mich alterslos. Auch wenn ich weiß, ich gehe nicht mehr auf die 40 zu. Ich gehe jetzt auf die 50 zu. Das ist schon was anderes. Aber es ist nur eine Zahl! Ich laufe weiterhin mit Shorts rum, ich trage meine Haare lockig, ich habe große Ohrringe, schminke mich, mache laute Musik an und fühle mich immer noch wie 20.

In dem Alter ist ja auch Ihr kleiner Bruder. Sie haben kürzlich ein Foto mit ihm zusammen gepostet. In der Bildunterschrift haben Sie erklärt, dass er nicht unter dem Downsyndrom leidet. Müssen Sie das oft erklären?

Leider ja. Ich hatte das Bild gepostet und es schrieb jemand dazu: "Oh, ihr Bruder leidet unter dem Downsyndrom." Das ärgert mich tatsächlich sehr, weil es Menschen sind, die davon auch wenig Ahnung haben und sich damit nicht wirklich beschäftigen. Beim Downsyndrom gibt es unterschiedliche Grade, was die Behinderung angeht. Ganz oft leiden Menschen oder Kinder mit Downsyndrom nicht darunter, sondern sie leben ihr Leben genauso wie jeder andere auch. Sie sind so im Hier und Jetzt und sind so oft auch ein Geschenk für die Familien.

Ich lese häufig von jungen Müttern, die Gott sei Dank noch Kindern mit Downsyndrom zur Welt bringen und die merken, was das für ein Geschenk ist. Ich musste das einfach mal klar zum Ausdruck bringen. Damit klar wird, dass niemand darunter leidet.

Inwiefern ist dieses Aussortieren ein Problem für unsere Gesellschaft?

Viele stellen sich über diese Menschen. Das kritisiere ich stark. Wir werden auch einfach nicht aufgeklärt, wissen zu wenig. Heute sortiert man viel zu schnell aus, das finde ich schrecklich. Man wird zu schnell von einem Gefühl geleitet, dass alles gleich und alles perfekt sein muss. Diese Angst vor dem ausgegrenzt sein, wenn man anders ist, ist so tief verwurzelt in uns Menschen. Ich finde es unheimlich, dass wir die Möglichkeit haben, so früh festzustellen, ob ein Kind eine Behinderung hat oder anders ist als die Norm.

Was genau finden Sie daran unheimlich?

Dadurch neigen wir dazu auszusortieren. Ich empfinde das nicht als den richtigen Weg. Ich finde es immer noch gut, wenn auch das Schicksal entscheiden darf. Nur das Schicksal lehrt uns, zu leben und Mensch zu sein. Das ist mir ganz wichtig. Für mich ist es so normal, mit einem Menschen zu leben, der das Downsyndrom hat und es ist mir so wichtig zu zeigen, dass er nicht darunter leidet. Wir müssen anfangen, uns wieder neu zu sortieren und neu zu finden. Vielleicht ist dieses Jahr ganz gut dafür.

Sind Sie stark von der Corona-Krise betroffen?

Ich habe bemerkt, dass Stopp wirklich Stopp bedeutet! Da war plötzlich gar nichts mehr. Man geht nach Hause und wartet darauf, dass es vielleicht irgendwann wieder losgeht und dass alles so ist, wie man es gewohnt ist. Das hat mich schon ganz schön wachgerüttelt. Ich habe realisiert: Okay, für mich als Schauspielerin ist das eine heftige Nummer, wenn alles wegbricht und man nicht weiß, was dann kommt. Ich verlasse und stütze mich ja auf meinen Beruf. Ich habe versucht, loszulassen und mich der Situation hinzugeben. Was anderes bleibt mir letztendlich nicht übrig. Ich glaube, gerade im künstlerischen Bereich ist es schwierig, wenn plötzlich alles wegfällt. Die Theater und die Kinos sind geschlossen. Die Konzerte gibt es nicht mehr. Das ist ein großer Einschnitt.

Gibt es Momente, in denen Sie sich dann wünschen, Sie hätten etwas anderes gelernt?

Es gibt ja trotzdem tausend Möglichkeiten, was man auch sonst noch machen könnte. Es ist nicht so, dass ich denke: Warum hast du keine Ausbildung gemacht. Mein Leben ist so gelaufen. Mit 17 wusste ich, ich will das machen. Ich bin in dieses kalte Wasser gesprungen und bin immer noch sehr dankbar. Ich möchte nicht auf meinen Beruf verzichten.

Vor vielen Jahren wurden Sie in der Anfangszeit von "Berlin, Berlin" auf Ihre Vorbildfunktion angesprochen. Vor allem junge Menschen haben Sie bewundert und wollten so sein wie Sie. Damals war Ihnen das extrem unangenehm. Wie sieht es heute aus?

Ich habe meinen Beruf damals angefangen, weil ich spielen wollte. Das war für mich immer das Größte. Ich bin nie in diesen Beruf gegangen, um berühmt zu werden oder um ein Vorbild zu sein. Das passierte einfach alles. Aber das war mir überhaupt nicht bewusst. Dadurch, dass es damals Social Media noch nicht gab, hat man nicht so ein riesiges Feedback bekommen, wie heute. Ich habe zwar Interviews gemacht und Fanpost bekommen oder Leute auf der Straße getroffen, die mal kurz "durchgedreht" sind (lacht), aber das war es dann auch. Ich glaube, sonst wäre mir das vielleicht noch mal ganz anders bewusst gewesen. Das war aber auch ganz gut so damals. Das war schon echt ein Riesending, von einem Tag auf den anderen so bekannt zu sein. Das war mit 20 auch nicht einfach für mich. Ich musste erstmal lernen, damit umzugehen.

Sie haben Instagram. Bekommen Sie da viele Nachrichten und wie fühlt sich das dann an?

Ich habe zwar Instagram, aber das mache ich eher so nebenbei. Ich freue mich immer, wenn Leute mir dort schreiben. Aber zum Teil ist das für mich auch immer noch unrealistisch. Ich liebe es, Schauspielerin zu sein. Aber berühmt sein ist eigentlich nicht das, was ich möchte. Aber es ist viel entspannter, als zu "Berlin, Berlin"-Zeiten. Dadurch, dass ich jetzt nicht mehr 20, sondern 40 bin, hat sich der damalige heftige Fankult um mich auch gelegt und ich kann damit viel entspannter umgehen.

Vielen Dank für das Gespräch, Felicitas Woll.

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