Stille Nacht Alice Schwarzer mag es an Weihnachten traditionell
Köln (dpa) - Alice Schwarzer weiß genau, auf welchem der zahlreichen Kölner Weihnachtsmärkte sie sich mit dem Reporter treffen möchte. Es ist der direkt am Dom.
Die Begründung liefert die 76-Jährige sofort mit: "Das ist doch dramatisch schön, diese Kulisse! Und dann gibt's hier die besten Raclettebrötchen." Wenn es um Weihnachten geht, hält es Deutschlands bekannteste Frauenrechtlerin mit dem CDU-Wahlkampfmotto von 1957: "Keine Experimente!"
Zielstrebig steuert sie auf den Raclette-Stand zu. Der Betreiber kommt aus Graubünden. Dabei fällt Schwarzer sofort ein, dass sie als Kind großer "Heidi"-Fan war. "Da gibt es ja starke Parallelen. Heidi lebt beim Großvater - ich bin auch bei den Großeltern aufgewachsen. Sie lebt erst auf dem Land - das war bei mir genauso. Und als ich dann in die Großstadt kam, nach Wuppertal, habe ich mich zurückgesehnt."
Die am 3. Dezember 1942 geborene Schwarzer verbrachte die Jahre 1943 bis 1949 in Oberlauringen und Stadtlauringen in Franken. "Dort habe ich auch zum ersten Mal das Christkind getroffen", sagt sie. Als sie drei Jahre alt war, hing plötzlich Silberhaar am Fenster. "Das ist meine früheste Weihnachtserinnerung."
Im Rückblick scheinen all ihre Weihnachten in Franken weiß gewesen zu sein, "aber ich weiß nicht, ob die Erinnerung mir da einen Streich spielt". Als sie sechs Jahre alt war, zogen die Großeltern mit ihr zurück nach Wuppertal. "Da entsinne ich mich - und das wird vielen ähnlich gehen - dass es an Weihnachten auch gerne mal Stress gab, weil die Erwartungen so hoch waren und alle dachten: "Jetzt müssen wir aber glücklich sein.""
Um Geld zu sparen, kaufte ihr Großvater den Weihnachtsbaum möglichst spät. "Meine Großmutter hatte dann immer etwas zu meckern: Mal waren die Zweige nicht gleichmäßig genug, mal war die Spitze krumm. Und einmal hatte er wirklich Pech: Da waren alle Weihnachtsbäume schon weg."
Schwarzer spaziert über den abendlichen Markt zu einem riesigen Weihnachtsbaum, von dem aus sich ein Sternenzelt über die Stände spannt. Sie genießt das Lichtermeer. "Was Weihnachten betrifft, bin ich sehr traditionell", räumt sie ein. Das wisse sie seit den 60er und 70er Jahren, als sie jeweils mehrere Jahre in Paris lebte. "Da wurde ich Anfang Dezember immer unruhig. Für die Franzosen ist Weihnachten heiter und lustig. Bemalte Scheiben in den Restaurants, man geht aus und ist fröhlich. Mir fehlte da die deutsche Besinnlichkeit, die deutsche Seele."
Zum Fest ist sie deshalb immer heimgefahren. "Ich war an Weihnachten noch nie außerhalb von Deutschland. Es gibt ja Leute, die fahren an Weihnachten in die Sonne - ich wäre da todunglücklich. Niemals."
Heute verbringt sie Heiligabend in ihrem Haus in einem Dorf auf dem Land. "Romantisch? Ich weiß nicht, ob es das trifft. Man kommt zur Ruhe, man kommt zum Wesentlichen. Da steht eine große Linde, da ist die Katze. Und über mir der Sternenhimmel. Es ist einfach Ruhe. Rummel hatte ich in meinem Leben schon genug."
Ihr Weihnachtsbaum trägt Bienenwachskerzen und Schmuck, den sie im Laufe ihres Lebens zusammengetragen hat. Dazu große rote Kugeln vom Weihnachtsmarkt. Manchmal besucht sie eine Andacht oder eine Messe in einer kleinen Kirche in der Nähe. Oder sie geht zum Weihnachtssingen, das ein palästinensischer Christ seit einigen Jahren auf freiem Feld veranstaltet. "Da werden dann Zettel verteilt mit den Weihnachtsliedern, und dann singe ich fröhlich mit. Angeblich treffe ich keinen einzigen Ton, aber in der Menge fällt das nicht auf."
Ihr Lieblingslied ist "Stille Nacht", "weil man da schlucken muss". Ganz traditionell eben. Nur in einem einzigen Punkt macht Alice Schwarzer ihr ganz eigenes Ding: "Ich zünde schon am ersten Advent alle vier Kerzen an. Sieht doch viel schöner aus!"