Netflix-Doku über Royals Harry und Meghan drehen den Spieß um
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Die neue Serie "Harry & Meghan" wirft einen Blick hinter die schmutzigen Fassaden des Mediengeschäfts – und entlarvt damit die Methoden des Boulevards.
Sie lästern. Sie lästern, wenn Harry und Meghan ein anderes Leben wollen. Sie lästern, wenn sie ihre Geschichte erzählen. Was auch immer das Paar macht: Für den Boulevard ist es falsch. Alles wird zerlegt, jeder einzelne Schritt. Jetzt rechnet das Paar mit der Heuchelei ab – und das völlig zu Recht.
Schon bevor die "Harry & Meghan"-Doku überhaupt auf Netflix erschien, wetterte die britische Klatschpresse. In Ankündigung und Trailer der Doku suchten königshaustreue Journalistinnen und Journalisten vermeintliche Fehler und traten diese breit.
Denn wer nicht nach dem höfischen Protokoll tanzt, ist für diese Medien nichts mehr wert und wird zu Freiwild. Das mussten Harry und Meghan in der Vergangenheit zuhauf erfahren. Das erfahren sie noch immer.
In der Doku zeigen sie nun, wie dieses schmutzige Geschäft funktioniert. Es ist die Retourkutsche für den britischen Boulevard. Eine Notwehr, die sich das Paar verdient hat.
Parteiisch ist vor allem der Boulevard
Einige royale Berichterstatterinnen klagten, die Netflix-Doku sei parteiisch. Das ist Unsinn: "Die Royal Family weigerte sich, den Inhalt der Serie zu kommentieren", heißt es zu Beginn der Serie. Tatsächlich ziemt sich das in königlichen Kreisen nicht. Selbst schuld.
Parteiisch berichtet dagegen der britische Boulevard – seit Prinz Harry und Meghan Markle 2016 zusammenkamen. Oder war je Negatives über Prinzessin Kate zu lesen? Man müsste es mit der Lupe suchen. Meghan wurde hingegen fast täglich in Großbuchstaben verunglimpft. Mehr dazu lesen Sie hier.
In der Doku macht das Paar die Boulevardpresse für seinen Weggang aus dem Königshaus mitverantwortlich. Wer will es ihnen bei diversen Schmutzkampagnen verübeln? Zumal Harry durch den Tod seiner Mutter Diana weiß, was aufgeregtes Blitzlichtgewitter für Folgen haben kann.
Das ist respektlos
Der britische Boulevard ist hart. Der britische Boulevard kennt keine Grenzen. In der Doku erklärt Lucy Fraser, eine Freundin von Meghan, sie habe die 41-Jährige gewarnt: "Die britischen Medien sind dafür berühmt, dass sie alles tun würden, um eine Story zu bekommen. Sie werden versuchen, deine Konten einzusehen. Sie tun alles, um an einer Exklusivstory zu verdienen."
So kam es dann auch. Als bekannt wurde, dass Harry und Meghan ein Paar sind – publik gemacht durch den Boulevard – gab es in "Daily Mail", "The Sun", "Express" und Co. täglich Schlagzeilen über Meghan, ihre Herkunft, ihren Werdegang. Von "Royal Shame" (Deutsch: Royale Schande) war etwa zu lesen. Eine Schande ist jedoch, wie verbal gewalttätig sich der Boulevard jahrelang an dem Paar abgearbeitet hat – trotz verlorenem Rechtsstreit.
"Naiverweise rechnete ich nicht mit dem, was kam. Aber im Oktober 2016 änderte sich alles." Paparazzi umstellten Meghans Haus in Toronto, wo sie lebte und für die Serie "Suits" drehte. Sie umlagerten den Set, es konnte kaum gefilmt werden. Die Ex-Schauspielerin erzählt: "Mein Leben wurde immer abgeschotteter. Ich musste alle Jalousien zulassen, das war beängstigend. Mein Gesicht war überall. Die Boulevardpresse hatte alles an sich gerissen."
Und sie hörte nicht damit auf: Vor der Hochzeit im Mai 2018 suchte die Presse fieberhaft nach Informanten, bot viel Geld für ein starkes Zitat über Meghan. Sensationslüsterne Schlagzeilen waren zu lesen – über Vater, Halbschwester und kleinste Kleinigkeiten. "Hinter den Kulissen zog ich mich immer mehr zurück", sagt Meghan heute.
Das Problem erläutert in der Doku die Journalistin und Autorin Afua Hirsch: "Es herrscht die Vorstellung, dass wir den Royals erlauben zu existieren – unter der Bedingung, dass wir ein Recht auf ständige Informationen über ihr Privatleben haben." Dabei scheint ein Motto zu gelten: Wir enthüllen – nicht ihr! Die Royals sollen brav Teil des Theaters bleiben, als Marionetten, die nach Belieben von den medialen Strippenziehern zur Unterhaltung der Massen eingesetzt werden dürfen. Es ist eine perfide Doppelmoral, die Harry und Meghan nun selbstbestimmt infrage stellen und damit auch die eingeübten Muster zwischen Boulevard und Königshaus.
Harry und Meghan wollen Wahrheit zeigen
Meghan und Harry drehen erneut den Spieß um, wenden sich als ehemalige hochrangige Mitglieder der Königsfamilie nicht nur gegen tradierte Normen der britischen Monarchie, sondern vor allem gegen zu verurteilende Medienmechanismen. Die königliche Familie ist zwar sehr darauf bedacht, wie sie nach außen wirkt, äußert sich bei Krisen aber nicht bis selten. Das mag traditionell sein, richtig ist es deshalb nicht.
Das Paar ist am Anfang der Doku in selbst aufgenommenen Handyclips zu sehen, in einer Art Videotagebuch. Freunde hätten ihnen dies empfohlen, nachdem sie 2020 ihren Rückzug angekündigt hatten, da Lügen und Fehlinformationen in den Medien kursierten. Harry sagt: "Es geht nicht nur um unsere Geschichte, es war schon immer so viel größer als wir. Kaum jemand kennt die ganze Wahrheit, die Institution kennt sie, wir kennen sie und die Medien kennen sie, weil sie mit drinstecken."
Meghan sagt: "Angenehm ist das nicht, aber wenn man schon so lange das Gefühl hat, dass die Leute nicht wissen, wer man ist, ist es schön, ihnen einen besseren Eindruck davon zu geben, was passiert ist und wer wir sind." Das ist gelungen, und es reißt mit, obwohl Harry und Meghan seit ihrem Rückzug schon mehrfach über ihr Leben im "Goldenen Käfig" gesprochen haben.
Das ist rassistisch
Die Sussexes erzählen in der Doku nicht nur ihre Geschichte. Von Expertinnen und Experten lassen sie auch Englands Kolonialismusgeschichte, die Zeiten des Empire, erklären – ungeschönt. Denn nur zu gerne wird dies von der Königsfamilie vergessen.
Auch der Boulevard hat seinen Anteil am Rassismus. Meghan sagt, sie war nie zuvor wie eine schwarze Frau behandelt worden, hatte nie das N-Wort gehört. Doch direkt als bekannt wurde, dass Harry und Meghan liiert sind, schrieb die "Daily Mail": "Harrys Freundin kommt (fast) direkt aus Compton." Compton ist ein Vorort von Los Angeles, in dem zum Großteil Latinos und Schwarze leben. Meghan und Harry war klar, worauf das anspielte: "Meine Familie war damals der Ansicht, dass das, was Meg durchmachen musste, alle anderen auch durchmachen mussten. Ich sagte, der Unterschied ist, hier geht es um die Hautfarbe", sagte Harry.
James Holt, ehemaliger Palastsprecher und heutiger Geschäftsführer der Archewell Foundation, sagt: "Es ist ein knallhartes Geschäft und bei Meghan gab es keine Grenzen mehr. Sie war wie Freiwild." Der Boulevard schrieb weiter rassistisch – und bekommt das jetzt zu Recht mit einer Lehrstunde vor Augen geführt.
Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.
Die Royals können es diesen Medien kaum recht machen, es sei denn, sie tun nichts, außer sich zu zeigen, zu lächeln, zu posieren. Wie es der ungeschriebene Vertrag besagt. Meghan und Harry haben diesen Vertrag gebrochen und wurden deshalb zur Zielscheibe – mehr als etwa ein Prinz Andrew, dem Missbrauch vorgeworfen wird.
James Holt fasst es passend zusammen: "Stellen Sie sich vor, sie müssen für diejenigen, die schreckliche Dinge, über Sie, Ihre Familie und Ihre Mutter geschrieben haben, funktionieren."
Eigentlich unglaublich, dass Harry das so lange mitgemacht hat – gut, dass er jetzt den Mut hat, das öffentlich zu machen.
- Netflix: "Harry & Meghan"
- Twitter-Suche
- eigene Recherchen