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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Als Kind verprügelt Michelle: "Ich kann meinem Vater vergeben"
Früher litt sie unter ihrem Vater, heute kann Sängerin Michelle ihm verzeihen. Warum Vergebung und Liebe so wichtig sind, verrät der Schlagerstar im Interview mit t-online.
Mit "Anders ist gut" meldet sich Michelle eindrucksvoll zurück. In den Songtexten steckt viel Herzblut der Schlagersängerin. Auch so manch unschöne Erinnerung wird da nun aufgearbeitet.
t-online: Auf der letzten Tour traten Sie beim letzten Song immer ohne Make-up auf. Die neuen Songs klingen recht persönlich, ungeschminkt. Zeigen Sie jetzt die "echteste" oder authentischste Michelle aller Zeiten?
Michelle: "Echt" war ich schon immer, ich bin aber schon authentischer. Ich gehe mit den Texten tiefer. Ich habe noch nie einen Song auf der Bühne gesungen, den ich nicht nachempfinden könnte.
Die Texte wirken sehr persönlich. Wie viel haben Sie selbst mitgeschrieben?
Wir haben sehr viele Stunden damit verbracht, was mich beschäftigt. Der Peter Plate ist ein Naturtalent für sowas. Das hat man ja auch bei Rosenstolz gesehen und gehört. Das hatte auch eine ganz eigene Sprache, die einen berührt hat. Er kann mir die Texte auf den Leib schneidern und trotzdem können Menschen sich damit auseinandersetzen und darin wiederfinden.
Mit "Brief an meinen Vater" haben Sie aber einen sehr persönlichen Song über Ihre Kindheit und Ihren aggressiven Vater eingesungen.
Gerade bei so einem Song habe ich viel mit Peter gesprochen. So entsteht die Geschichte zu dem Song.
In dem Lied singen Sie "Ich will vergeben". Geht das? Können Sie Ihrem Vater vergeben?
Ja, ich kann meinem Vater mittlerweile verzeihen. Ich glaube, dass wir alle auf die Welt gekommen sind und unsere Geschichte selbst vor der Geburt geschrieben haben. Er hatte die Rolle des Vaters bekommen und ich bin davon überzeugt, dass wir unsere Rollen und Aufgaben im Leben selbst aussuchen. Als Kind habe ich mir die Rolle des Opfers ausgesucht, mein Vater die des Täters. Ich frage mich noch immer, was die schwerere Rolle ist. Die sich die des Täters auszusuchen, ist sicherlich schwer. Was mir lange im Leben gefehlt hat, ist, dass ich verzeihen kann. Wenn ein Körper lange in Wut und Trauer bleibt, dann ist das nicht gesund. Das ist nicht unsere Aufgabe im Leben. Es sollte eher darum gehen, nach vorne zu gehen und Liebe zu schenken.
Das merkt man dem Lied an. Es ist keine Abrechnung, sondern eher ein Frieden finden, oder?
Genau. Ich habe meinen Frieden gefunden, sonst könnte ich das gar mit einem Song verarbeiten. Generell bin ich kein Mensch, der mit irgendwem abrechnet. Abrechnung wäre Hass und das wäre Wut. Das lasse ich nicht zu. In so einem Song spricht meist das innere Kind, nicht die Erwachsene. Wunden müssen heilen. Heute bin ich eine erwachsene Frau und sehe es aus einer anderen Perspektive.
Ist Ihr neues Album noch Schlager oder ist das schon Pop?
Früher gab es Schlager, Volksmusik und vielleicht Popmusik. Man wird immer in Sparten gedrückt, aber es ist für mich unwichtig. Mir geht es darum, dass ich tolle Musik machen kann. Trotzdem kann man die neuen Songs gerne als Schlager bezeichnen. Viele Künstler wollen sich aktuell von diesem Begriff distanzieren. Ich stehe aber zu dem, was ich mache und das ist nun einmal Schlager.
Also sollte man heute gar nicht mehr in Genres denken?
Ich finde, dass sich die Musikarten aktuell eh viel mischen. Es gibt da keine Schubladen mehr. Als ich angefangen habe, war das noch anders. Da wurde richtig in Schubladen gedacht. Als meine zweite Single "Prinz Eisenherz" erschien, gab es an einer Stelle eine E-Gitarre. Dem Rundfunk hat das gar nicht gefallen, die haben sich geweigert den Song zu spielen, weil E-Gitarren nicht zum Schlager passen würden. Am Ende mussten wir stattdessen ein Glockenspiel in den Song bauen, damit er gespielt wurde.
Wann, wo und wie haben Sie das neue Album "Anders ist gut" aufgenommen?
Die Songs entstanden so im letzten halben, dreiviertel Jahr. Ich habe mit Peter Plate und Ulf Sommer gearbeitet in Berlin gearbeitet. Die Streicher wurden in den berühmten Hansa Studios aufgenommen, weil da genug Platz ist. Das haben wir natürlich in der Corona-Zeit gemacht. Die Situation haben wir für uns genutzt, um uns tiefergehende Gedanken über unsere Musik zu machen.
Ihr letztes Album "Tabu" war ein großer Erfolg und wurde mit ihrer ersten goldenen Schallplatte seit Jahren ausgezeichnet. Wie geht man nach so einem Hit an ein neues Album ran?
Ich mache mit jedem Album Musik. Ich lasse mir aber keinen Druck machen, dass ein Album mindestens so erfolgreich sein muss wie sein Vorgänger. Ich denke auch, dass man es Musik anhört, wenn sie nach so einer Intention kreiert wurde. Für mich muss das Gefühl stimmen, dass ich ein mega Album gemacht habe. Am Ende erreicht es ja auch nur die Menschen, die es auch erreichen soll. Man kann keine Hits zaubern.
Inwiefern?
Ich bin kein Mensch, der urteilt, aber ich habe das Gefühl, dass viele Musiker es falsch machen. Da machen Leute ein Album und schauen zu sehr auf Trends. Das ist für mich die falsche Intention. Da muss beim Hörer doch ein Gefühl ankommen und den Künstler widerspiegeln.
Insofern ist das große Thema dieses Albums etwas schöner. Es dreht sich um Liebe in allen Facetten. Wie schaffen Sie es heute noch immer neue Geschichten zu erzählen?
Ich habe zum Glück keine Probleme damit neue Geschichten zu suchen, denn mein Leben schenkt mir so viele davon. Mein Leben hat Höhen und Tiefen. Irgendwie sollte es so sein, dass man eine gewisse Reife erlangt, um auch einen Song wie "Brief an meinen Vater" schreiben zu können. Das ist natürlich etwas, was lange in mir drin ist. Dennoch war ich nie wirklich bereit dazu. Jetzt ist aber der richtige Zeitpunkt, um mich zu öffnen. Ich will das auch nicht als traurige Geschichte erzählen, sondern ich möchte den Leuten zeigen, dass man vergeben sollte.
"Vorbei vorbei" klingt wie eine Nummer über zweite Chancen in der Liebe. Geben Sie gerne zweiten Chancen?
In der Liebe gebe ich keine zweiten Chancen. (lacht) Im Leben aber schon. Zweite Chancen gehören zum Vergeben.
Der Titel "Anders ist gut"…
… Ich meine damit nicht den Thomas. (lacht)
Achso! Nun, was wollen Sie dann damit aussagen? Das ist ja eine Phrase, über die man viel nachdenken kann.
Für mich heißt es, dass wir heute in einer Gesellschaft leben, in der man das einfach sagen muss. Bei vielen Menschen ist es so, dass anders sein nicht gut ist, weil sie selbst glauben, dass ihre Ansichten oder ihre Art zu leben die einzig richtigen wären. Ich bin jemand, der sagt, dass alles richtig ist, und anders oder anders sein, ist gut. Heute wird vieles einfach nicht wirklich akzeptiert – ob jemand nun schwul oder lesbisch ist oder eine andere Hautfarbe hat.
Was würden Sie denn gerne an der Welt ändern, dass sie anders, besser oder gar gut ist?
Ich bin niemand, der urteilt. Ich glaube, dass alles so sein soll, wie es ist. Trotzdem bin ich mit vielem in der Welt nicht zufrieden, weil ich mir Gedanken für mich selbst mache und der Meinung bin, dass vieles nicht gut ist. Ich finde es etwa nicht gut, wie die Menschen mit der Natur, mit Tieren, aber auch mit anderen Menschen umgehen. Der Mensch hat die Liebe – nicht nur die in einer Partnerschaft, sondern in der Gesellschaft – vergessen. Dabei entstehen Menschen doch aus Liebe. Irgendwie denkt man zu viel über die Arbeit und Geld nach. Schon Kinder werden so erzogen, dass man gut in der Schule sein muss, damit sie einen guten Job und somit ein gutes Gehalt bekommen. Wir denken zu oft, dass Geld auch Macht bedeutet.
Das klingt so, als wenn Sie selbst mit sich ganz zufrieden sind.
Genau. Ich möchte gar nichts an mir ändern, weil ich gelernt habe, mich so zu akzeptieren, wie ich bin. Auch meine Fehler gehören zu mir und ich kann diese akzeptieren. Die habe ich, um daraus etwas zu lernen.
- Persönliches Interview mit Michelle in Berlin
- Instagram-Profil von Michelle