Arena-Rocker Biffy Clyro "Es ist wichtig, etwas Positives an der Situation zu finden"
Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Sie zählen zu den größten Rockbands Europas: Biffy Clyro. Im Interview mit t-online.de spricht James Johnston über die Auswirkungen von Corona auf die Musikszene, Nirvana und 25 Jahre Bandgeschichte.
Spätestens mit der Powerballade "Many of Horror" mauserten sich Biffy Clyro 2010 vom Kritikerliebling zu waschechten Rockstars. Das schottische Trio spielt seitdem auch in Deutschland nur noch in Arenen (im UK reicht es auch mal für ein Stadion), sie headlinen Festivals und bringen nun ein neues Album, "A Celebration of Endings", auf den Markt. Im Gespräch mit t-online.de erzählt Bassist James Johnston, wie die Corona-Krise die Band getroffen hat, berichtet über durchzechte Nächte und erklärt, wie es ist 25 Jahre in der gleichen Band, wie der Zwillingsbruder zu spielen.
t-online.de: In Deutschland sind aktuell 35 Grad. Definitiv zu heiß für mich. Wie ist es bei Ihnen in Schottland?
James Johnston: Wir haben zum Glück nie so Temperaturen. (lacht) Es sind komische Zeiten, aber mir geht es gut.
Sie sprechen es an: die Corona-Krise. Deswegen haben Sie auch das neue Album "A Celebration of Endings" von Mai auf diesen Freitag geschoben. Wie kam es zu dieser Entscheidung?
Es war nicht möglich das Album, also CDs und Vinyl, zu pressen. Wir hätten einen Download und Streams anbieten können, aber wir wollten keine zwei Jahre an einem Album arbeiten, um dann nur einen Download anzubieten. Jetzt haben die Menschen wieder etwas mehr Freude am Leben und es ist zumindest ein bisschen normaler. Es war eine schwierige Zeit. Wir saßen auf einem fertigen Album und konnten dieses nicht veröffentlichen. Aber die Menschheit hat sicherlich größere Probleme als ein verschobenes Album.
Ein großes Problem für die Musikwelt ist jedoch, dass es diesen Sommer keine Konzerte und Festivals gab. Wie kann eine Rockband einen Sommer ohne Festivalgigs überstehen? Was haben Sie mit all der freien Zeit gemacht?
Das war echt hart! Wir wollten einen tollen Sommer mit einigen Shows verbringen und den Leuten die neuen Songs näherbringen. Aber ich denke, dass es aktuell wichtig ist, nicht den Dingen nachzutrauern, die wir nicht haben, sondern etwas Positives an der Situation zu finden. Als Band muss man andere Wege finden. Wir werden diesen Samstag eine Show streamen, wo wir das komplette neue Album von Anfang bis Ende spielen werden. Ich hoffe, dass das den Fans ein bisschen Abwechslung bringt.
Wie ist denn die aktuelle Lage in Schottland?
Es ist okay. Es gibt viele beunruhigende Nachrichten von der Regierung, aber ich denke, wir müssen jetzt halt Atemmasken tragen und uns ein bisschen isolieren, damit es besser wird.
Wie ging es Ihnen innerhalb der Band? Wie bleiben Sie in Kontakt?
Es gab ein paar Wochen, in denen wir uns gar nicht gesehen haben. Das war wirklich komisch. Wir drei haben in unserem Leben so viel Zeit zusammenverbracht und das war nicht mehr möglich. Wir haben uns zumindest per Videochat miteinander unterhalten. Das war wichtig, damit wir alle den Kopf über Wasser halten. Es war zeitweise echt nicht einfach.
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Wir haben es schon angesprochen: das neue Biffy-Clyro-Album "A Celebration of Endings". Wenn man sich im Internet umschaut, liest man oft, dass einige Fans mit dem Vorgänger "Ellipsis" nicht zufrieden waren. Haben Sie das auch mitbekommen? Und erhöht das den Druck beim Machen einer neuen LP?
Damals wurde "Ellipsis" schon gut angenommen, aber man kann nicht jeden Fan mit jedem Album glücklich machen. Man will immer das Beste rausholen. Das kann schon eine Herausforderung sein. Man kann das Musikmachen mit der Architektur vergleichen. In den Skizzen sieht alles nach einem schönen Haus aus, aber dann muss man dieses Haus auch so bilden können. Wir selbst machen uns schon etwas Druck, fühlen uns gleichzeitig im Studio aber auch völlig frei.
Woher nehmen Sie die Einflüsse? Es passiert so viel auf dem Album. Von Alternative zu Prog und sogar etwas Metal kann man raushören. Auch mit Elektronik haben Sie dieses Mal nicht gegeizt.
Man muss immer ein paar Risiken eingehen. Wir werden immer eine Gitarrenband sein, aber wir wollen anderen Sounds so offen wie möglich sein. Moderne Musik ist so frei und hat eigentliche keine Grenzen mehr. Ich glaube auch Rockbands sollten öfters mal ein Risiko eingehen und etwas unerwartetes machen.
Zwischen "Ellipsis" und "A Celebration of Endings" haben Sie letztes Jahr noch einen Soundtrack für den Film "Balance, Not Symmetry" veröffentlicht. Entstanden die neuen Songs gleichzeitig mit den Soundtrack-Beiträgen oder waren das zwei getrennte Projekte?
Ja, genau, das waren zwei unterschiedliche Projekte. Aber es war wichtig, diesen Soundtrack zu machen. Wir hatten so viel Freiheit im Studio und konnten viel ausprobieren, da es sich nicht um ein reguläres Album handelte. Das war wichtig für das neue Album.
Auch wenn Sie mit der neuen LP scheinbar das Ende feiern, feiert Biffy Clyro als Band dieses Jahr auch seinen 25. Geburtstag. Das heißt auch, dass sie 25 Jahre mit Ihrem Zwillingsbruder Ben zusammenarbeiten. Ist es ein großes Plus, dass Sie ein Familienmitglied bei sich haben?
Absolut. Ich denke, dass es für diese Band absolut wichtig ist, dass ich mit meinem Bruder und auch mit unserem Sänger Simon aufgewachsen bin. Wir kennen uns eigentlich schon unser gesamtes Leben lang. Wir haben bei Biffy Clyro alles zusammenerlebt und haben eine besondere Verbindung. Auch musikalisch. Wir wissen, dass wir uns immer auf den anderen verlassen können.
Bei Diskussionen innerhalb der Band: Sprechen Sie mit ihrem Bruder anders, als sie es mit Simon machen würden?
Natürlich vertrete ich in der Band auch meine eigene Meinung. Ich denke, dass meine Sprache gegenüber Ben da auch mal anders sein kann, als gegenüber Simon. (lacht) Aber wir streiten nie allzu lange. In der Band steckt so viel Liebe und Freundschaft.
Wie haben Sie sich in den 25 Jahren als Persönlichkeiten entwickelt?
Was sich in all den Jahren nicht verändert hat, ist, dass wir unseren Traum leben können. Allerdings sind in den letzten Jahren immer mehr Menschen dazugekommen, die in das Bandgeschehen involviert sind. Seien es Crewmitglieder, Manager oder Leute von der Plattenfirma. Mittlerweile haben wir seit einigen Jahren ein stabiles Team, welches zur Band gehört und wir ziehen noch immer alle am gleichen Strang. Bei uns ist es so: Dinge verändern sich, wenn man älter wird. Andere bleiben gleich. Auch Prioritäten können mal wo anders liegen, aber es geht uns mit jedem Album darum, die beste Musik zu machen, die in unserer Macht steht.
Was haben Sie vor 25 Jahren für Musik gehört?
Wir alle standen schon immer auf Gitarrenmusik. Wir finden mit Bands wie Nirvana, Soundgarden oder Guns N' Roses an. Ich war großer Fan von der Grunge-Welle in den 90ern. Vieles davon zählt bis heute zu meinen Lieblingsbands.
Hören Sie die Musik noch immer oder hat sich Ihr Geschmack verändert?
Ich liebe noch immer Pearl Jam oder Nirvana. Wenn ich da heute eine Platte von höre, transportiert mich das immer zurück zu meinem 14-jährigen Ich. Aber mit dem Alter hat sich mein Geschmack schon verändert. Ich gehe heute auch mal in der Zeit zurück und entdecke Bands von damals, die ich vor 25 Jahren nicht gehört habe, wie den Wu-Tang-Clan. Oder Kanye West. Das ist so eine popularisierende Figur. Um ehrlich zu sein: Als Person ist er komisch, aber einiges von seiner Musik ist super und geht Risiken ein.
Vor 18 Jahren kam Ihr Debüt "Blackened Sky" raus. Das klingt total anders, als Ihr neues Album. Hätten Sie damals gedacht, dass Sie sich mal in diese Richtung entwickeln würden?
Die musikalische Vision hat sich von Platte zu Platte entwickelt. Wir hätten niemals vom Debüt zum neuen Album springen können. Wir mussten dafür viel üben und Erfahrungen sammeln. Wir hätten uns vieles von dem neuen Zeug nicht einmal vor zehn Jahren vorstellen können.
Mittlerweile spielen Sie in Arenen, haben Nightliner und eine viel größere Produktion. Wie hat sich Ihr Tourleben sonst noch verändert?
Wir sind schon ruhiger geworden. (lacht) Wir feiern keine Partys mehr nach den Shows. Es gab schon Zeiten, wo wir nach jedem Gig die Sau rausgelassen haben. Aber das holt einen ein. Wir hatten echt super Zeiten, aber es kommt der Punkt, wo der Körper Partysfeiern und Konzertespielen nicht mehr beides mitmacht. Zudem leidet die Show einfach von durchgezechnten Nächten. Mittlerweile liegen wir im Bus und gucken uns eine Serie zusammen und führen Gespräche an.
- Eigenes Gespräch mit James Johnston