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Warum Kerstin Ott nicht immer was zu lachen hatte


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Süchtig und obdachlos
Warum Kerstin Ott nicht immer was zu lachen hatte

InterviewVon Maria Bode

04.10.2018Lesedauer: 7 Min.
Kerstin Ott: In der Vergangenheit hatte die Musikerin kaum etwas zu lachen.Vergrößern des Bildes
Kerstin Ott: In der Vergangenheit hatte die Musikerin kaum etwas zu lachen. (Quelle: nona-photography)

"Sie ist die eine, die immer lacht, die immer lacht, die immer lacht, die immer lacht" – Ohrwurm? Bitteschön! Heute erscheint die Autobiografie von Interpretin Kerstin Ott. Nicht immer hatte sie was zu lachen. Ganz im Gegenteil.

Spielsucht, Obdachlosigkeit und eine Kindheit in einer Pflegefamilie mit strengen Regeln. Kerstin Ott ist 36 Jahre alt. Eher durch Zufall startete sie Anfang 2016 mit ihrer Single "Die immer lacht" durch. Bis dato machte sie mehrere schwierige Phasen durch und auch den plötzlichen Erfolg konnte sie nicht direkt genießen. Vor ihren ersten Auftritten konsumierte Kerstin häufig Alkohol, wollte dadurch die Nervosität unterdrücken. Mit t-online.de hat sie darüber gesprochen, wie sie den Absprung geschafft hat und wie sie mittlerweile auf die Vergangenheit blickt.

Heute ist Kerstin Ott zufrieden, in unserem Interview zeigt sie sich gut gelaunt. Im Buch "Die fast immer lacht" aber nimmt sie Leserin und Leser mit auf ihren Weg durch heftige Zeiten, die ihr jetziges Leben aber auch positiv geprägt haben. Nicht nur darüber sprach sie mit t-online.de. Sie erzählte auch, wie die gemeinsame Arbeit mit ihrer Frau Karolina, die ihre Tourmanagerin ist, die Beziehung beeinflusst und was sie glücklich macht.

t-online.de: Wie kamst du dazu, dein Leben in einem Buch festzuhalten? Wie lange hast du daran geschrieben?

Kerstin Ott: Ich wollte meine Geschichte einfach selber erzählen. Als "Die immer lacht" rausgekommen ist, hab ich noch keinen Sinn darin gesehen, mein Privatleben auszubreiten. Jetzt haben die Leute Interesse daran. In dem Buch kann ich alles so darstellen, wie es tatsächlich war. Für "Die fast immer lacht" habe ich ungefähr ein halbes Jahr gebraucht.

Du hast für das Buch auf dein ganzes Leben zurückgeblickt. Kamen dir da mal die Tränen?

Nein, ich habe mich in den vergangenen Jahren sowieso viel mit mir selbst beschäftigt. Von daher war keine große Überraschung dabei, wo ich dachte: 'Oh, das schmerzt noch.' Ich glaube, alle wichtigen Themen habe ich für mich gut bearbeitet und habe damit Frieden geschlossen.

Als Kind kamst du aus Berlin zu einer Pflegefamilie in Schleswig-Holstein, lebst dort noch immer. Könntest du dir ein Leben in einer Großstadt vorstellen?

Ich könnte auf gar keinen Fall in eine Großstadt ziehen. Mir ist das zu laut und zu wühlig. Ich bin gerne mal übers Wochenende da und genieße das auch. Aber die Ruhe auf dem Land und das Meer – das ist es, was ich brauche.

Was hat das mit dir gemacht, dass dein Pflegevater früher immer deinen kompletten Tag durchgeplant hat?

Ich kann mir dadurch heute schlecht vorschreiben lassen, wie mein Tag auszusehen hat. Ich übernehme das ganz gerne alles selbst. Wenn ich den Sinn in einer Sache nicht sehe, kann ich schlecht mitmachen. Ich glaube, das ist etwas, das ich tatsächlich aus der frühen Kindheit mitgenommen habe.

Zu den durchgeplanten Tagen gehörte auch Bibelunterricht. Den beschreibst du im Buch als "Höhepunkt der To-do-Liste des Schreckens". Wie ist heute deine Beziehung zur Kirche?

Ich habe meine ganz eigene Art, an den lieben Gott zu glauben. Mir ist irgendwann mal ein Spruch eingefallen: Der liebe Gott ist Natur in Bildern. Ich glaube an das, was ich sehe und muss dafür keine Kirche besuchen. Das ist mein Standpunkt.

Zur Person
Kerstin Ott wurde im Jahr 1982 in West-Berlin geboren. Schon als kleines Mädchen kam sie aus der Großstadt in eine Pflegefamilie in Heide (Schleswig-Holstein), wo sie mittlerweile auch mit ihrer eigenen Familie lebt. Als Teenagerin outete sich Ott als homosexuell. 2017 heiratete sie ihre langjährige Freundin Karolina, deren zwei Kinder ebenfalls Otts Nachnamen annahmen.

"Das Gefühl, dass über Weihnachten so eine Schwere hängt, habe ich bis heute", schreibst du, weil du Weihnachten immer bei der Pflegefamilie verbringen musstest. Wie äußert sich das? Wie feiert ihr dann Weihnachten, sodass es dir auch gefällt?

Dadurch, dass wir zwei Kinder haben, hat sich das mittlerweile geändert. Mir liegt sehr am Herzen, dass meine Familie ein tolles Weihnachtsfest hat. Deshalb setze ich auch meine Prioritäten anders: Dass wir uns zusammensetzen, ein schönes Essen haben, schöne Gespräche. Ich finde es schön, wenn ich sehe, dass meine Frau und meine Kinder sich wohlfühlen und eine tolle Zeit haben.

Du bist lärmempfindlich, hast auch gerade gesagt, dass dir die Dauerbeschallung in der Großstadt zu viel sei. Wie klappt es mit der extremen Lautstärke bei deinen Konzerten?

Ein Auftritt dauert maximal zwei Stunden. Da kann ich gut mit umgehen. Aber ich könnte es nicht dauernd und ständig. Dann hätte ich keinen Platz mehr, mir Gedanken zu machen, weil dann alles immer auf mich einprasseln würde. Ich fahre zum Beispiel auch gerne mal ohne Radio Auto. Das können sich viele nicht vorstellen, aber dann sprudeln meine Ideen besser.

Was für Musik hörst du am liebsten?

Am allerliebsten höre ich Tracey Chapman. Die mag ich schon, seitdem ich denken kann. Ich mag gerne ruhige Musik. Zum Abfeiern geht aber auch House klar. Ich bin da nicht so festgelegt. Ich höre auch gerne Schlager, Oldies und Charts.

Als Kind hast du mit Rolf Zuckowski gesungen, hast ihn mal beim Echo wieder getroffen. Habt ihr seitdem noch Kontakt? Wollt ihr wirklich etwas zusammen machen?

Wir sehen uns immer mal wieder, aber da ist noch nichts, was spruchreif wäre. Wir haben auch noch nichts in Planung, wir sind ja beide viel unterwegs. Aber wenn irgendwann mal Zeit ist, dann wird es noch ein Projekt geben.

Du warst drei Monate lang obdachlos. Denkst du oft an diese Zeit zurück? Was hat das mit dir gemacht?

Es ist einfach ein Teil, der in meinem Leben stattgefunden hat. Aber es ist nichts, was mich im Nachhinein belastet. Es war – auf gut Deutsch gesagt – einfach eine beschissene Zeit. Ich kam gerade von der Polizeischule, musste kündigen, weil ich das Kasernenartige da nicht ausgehalten habe. Wir haben nicht so schnell eine neue Wohnung gefunden und es haben sich Schulden angehäuft. Auf einmal ging alles ganz schnell.

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Nach Depressionen und Mental-Training hast du eine beeindruckende Fahrradtour durch Deutschland gemacht. Wie sehr spiegelt diese dein Leben wider?

Das ist echt mal eine gute Frage, die hat mir noch keiner gestellt. In dieser Fahrradtour war alles drin, was man in meinem Leben auch findet und in meinem Buch. Höhen und Tiefen. Ich habe viel geweint auf der Strecke, aber auch viel gelacht. Ich habe unwahrscheinlich viel mitgenommen an Erfahrung, habe tolle Leute getroffen. Ich denke heute sehr gerne daran. Ich bin darauf immer noch stolz.

Würdest du das – mit besserer Planung und besserer Ausrüstung – heute gerne noch mal machen?

Ja, auf jeden Fall. Ich habe mir damals überlegt, dass ich gerne mit dem Fahrrad zum Nordkap fahren würde. Heute würde ich vielleicht eher mit dem Bus hinfahren und dort campen – eine Strecke von 3.000 Kilometern sind schon eine Nummer. Außerdem habe ich jetzt gerade ein Haus mit meiner Familie gekauft. Ja, die Prioritäten sind einfach andere.

Früher hast du vor deinen Auftritten immer wieder zu alkoholischen Getränken gegriffen. Mit welchem Gefühl gehst du mittlerweile auf die Bühne?

Das war ein Zeitraum von drei Monaten, da hatte ich sechs Auftritte pro Woche. Ich musste mir dann irgendwann sagen: Jetzt ist Schluss, das kann so nicht weitergehen. Von da an habe ich einfach nichts mehr getrunken. Der erste nüchterne Auftritt war fies, weil man einfach anders ist und schüchterner. Es hat aber gut geklappt. Heute trinke ich manchmal was, wenn ich Lust dazu habe, aber bei 95 Prozent der Auftritte bin ich klar im Kopf. Das ist mir wichtig. Und anders hält man das auch nicht durch.

Kannst du es auch genießen, wenn du auf der Bühne stehst?

Auf jeden Fall. Es gibt Momente, die ich mittlerweile genießen kann. Das hat echt lange gedauert. Das erste Dreivierteljahr war gemein und fies, schlecht reden möchte ich es aber nicht. Heute werde ich natürlich sicherer: Ich habe ja auch schon einige Hundert Auftritte gehabt, habe Routine. Die bringt mich dann nicht mehr ganz so aus dem Konzept wie am Anfang – Gott sei Dank!

Materielle Dinge stehen für dich nicht im Vordergrund. Gab es trotzdem etwas, das du dir geleistet hast, als du gemerkt hast: Jetzt läuft es?

Ich habe einen Tourbus gekauft, das ist die größte Anschaffung. Da kann man hinten sitzen und arbeiten, während man auf dem Weg zum Auftritt ist. Das ist sehr komfortabel. Natürlich sind wir auch mit den Kindern in den Urlaub gefahren. Aber das waren jetzt keine High-End-Urlaube, einfach nur mal, um rauszukommen. Ich genieße es, dass ich mir gerade keine Sorgen um Geld machen muss. Das ist ein schönes Gefühl, das ich so noch nicht kannte. Aber ich bin vorsichtig, weil ich auch weiß, wie es von der anderen Seite aussieht.

Du weißt es wahrscheinlich viel mehr zu schätzen.

Ja, ich weiß das total zu schätzen. Ich bin sehr dankbar. Ich bin auch dankbar dafür, dass meine Familie, Karolina und die beiden Kinder, das miterleben und die zwei so aufwachsen dürfen.

Karolina hat für deine Karriere ihren Job gekündigt und managt dich jetzt, oder?

Sie ist die Tourmanagerin. Ich habe einen Manager, der macht die ganzen Bookinggeschichten und Karolina ist die Tourmanagerin. Sie kommt immer mit. Und meine beste Freundin fängt jetzt auch bei mir an. Wir sind das kleine Team.

Dass du und Karolina dadurch ständig aufeinander hängt, macht eurer Beziehung aber nichts?

Na ja, manchmal schon. Wenn wir zwei Wochen am Stück 24 Stunden am Tag unterwegs sind, dann nehmen wir auch hin und wieder getrennte Hotelzimmer. Man will doch auch einfach mal in Ruhe im Bett rumlümmeln und in der Nase popeln. Aber dann freut man sich umso mehr auf den nächsten Morgen.

Du und Karolina, ihr seid beide tätowiert. Da gibt es doch sicherlich auch ein Liebestattoo?

Ja, sie hat ein J an der Hand, ich habe ein A. Zusammengehalten ist das unser Hochzeitstattoo.

Du bist happy, schreibst aber, dass du dich zu dick findest und abnehmen willst. Hast du schon mal Diät gemacht?

Mit Diäten bin ich auf Kriegsfuß. Immer wieder habe ich mal eine angefangen und danach hatte ich fünf Kilo mehr auf der Waage. Entweder stelle ich jetzt tatsächlich etwas um, aber eine Diät mache ich nicht mehr. Das bringt nichts und macht mir nur schlechte Laune. Es ist ja auch mental eine Katastrophe, wenn man es wieder nicht geschafft hat. Das ist eine Sache, die bei mir im Kopf ist.

Das Buch "Die fast immer lacht" (Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, 272 Seiten inkl. 32 Seiten Farbteil, 19,99 Euro) ist bei Erscheinen überall erhältlich. Die handsignierte Ausgabe jedoch gibt es nur hier.

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