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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Per Gessle verrät es 30 Jahre Roxette: Darum kennen wir die Skandale der Band nicht
In den 80er- und 90er-Jahren waren Roxette die Kultband überhaupt. Jetzt sind sie wieder da, jedenfalls halb. Per Gessle geht mit seinem neuen Solo-Album auf Tour und gibt auch die alten Songs zum Besten. Im t-online.de-Interview verrät er, warum er auch ohne Marie Roxette sein kann.
Roxette! Manchmal genügt ein Wort, um im Kopf des Gegenübers eine Melodie abzuspielen. Der Name des Pop-Duos aus Schweden kann das und zwar ausgesprochen gut. Als wir in der t-online.de-Redaktion Besuch von Per Gessle bekommen, scheint ein großer Teil der Redaktion eine Melodie im Kopf zu haben. Sei es "Listen to Your Heart", "Joyride" oder "The Look", Roxette hat einst gezaubert und die Wirkung ist noch heute zu spüren.
Der Schwede kommt mit einem dreiköpfigen Team in unsere Redaktion, pünktlich auf die Minute klingeln sie an unserer Tür. Per Gessle wirkt bescheiden, fast schon schüchtern. Als mehrere Kollegen auf ihn zu kommen und sich ihm als Roxette-Fan vorstellen, wirkt es so, als würde er sich ehrlich freuen. Er erzählt gerne von vergangenen Zeiten, lebt aber nicht in der Vergangenheit. Promotouren, sagt er, mache er nicht oft und das merkt man. Per Gessle ist Weltstar, ohne Allüren, für unser Interview nimmt er sich viel Zeit. Bei keiner Frage wirkt er genervt. Ja, vielleicht sind wir Roxette-Fans ein kleines bisschen befangen, aber Per Gessle macht es einem auch wirklich leicht, ihn zu mögen, aber lesen Sie doch selbst.
t-online.de: Per Gessle, Sie haben kürzlich ein Solo-Album herausgebracht, wie kam es überhaupt dazu?
Per Gessle: Marie hat mir im Frühling 2016 gesagt, dass es mit Roxette vorbei ist, weil sie aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr touren oder singen kann. Wir hatten ein Treffen und sie sagte mir, sie wolle, dass ich weitermache mit Roxette. Ich wusste erst nicht, was ich mit der Band machen soll, ohne sie. Wir waren schließlich beide Teil von Roxette – zusammen. Das Erste, was ich dann gemacht habe, war etwas ganz anderes. Ich habe Akustik-Lieder auf Schwedisch geschrieben. Dann bin ich nach Nashville gefahren und habe mit Einheimischen dort mein Album aufgenommen. Während ich dort aufgenommen habe, hat es sich als tolle Erfahrung herausgestellt. Die Leute, mit denen ich zusammengearbeitet habe, waren toll. Also habe ich mich dazu entschieden, das Album auch noch auf Englisch aufzunehmen, so ist "Small Town Talk" entstanden. Dann habe ich eine große Sommertour im letzten Jahr gemacht mit einer großen Band. Und jetzt bin ich hier.
Roxette gründeten sich 1986. Ihren internationalen Durchbruch hatte das Pop-Duo mit dem Album "Look Sharo!" im Jahr 1988. 2002 pausierte die Band, da Marie Fredriksson an einem Hirntumor erkrankte. Nach vier Jahren Pause nahm die Band 2006 ein neues Album auf. Auf ärztlichen Rat beendete Marie ihre letzte Tournee im Frühjahr 2016. Seitdem zog sie sich aus der Öffentlichkeit zurück.
Auf der kommenden Tour performen Sie zum großen Teil auch Roxette-Songs. Wer ersetzt da Marie, ist sie überhaupt ersetzbar?
Wir sind fünf Leute, die singen: zwei Frauen und drei Männer. Als ich letzten Sommer mit dieser Band getourt habe, bemerkte ich, dass es toll ist mit ihnen zu spielen. Ich habe mir gedacht, es wäre interessant mit ihnen Roxette-Songs zu spielen. Es ist nicht so, dass ich Marie ersetzen wollte. Der Star dieser Tour sind die Roxette-Songs. Es geht nicht um mich oder die Band, es geht um eine Hommage an die Musik von Roxette. Ich hoffe, wir werden auch einige Songs spielen, die wir noch nie live gespielt haben mit Roxette. Da gibt es noch so viele Lieder und die Fans haben noch so viele Lieblingslieder, die sie möglicherweise noch nie live gesehen haben.
Wie ist es, ohne Marie auf Tour zu sein?
Marie erkrankte schon 2002, ich habe damals schon so viele Touren ohne sie gemacht. In dem Sinne ist das für mich nichts Neues mit anderen Bands zu spielen. Am Ende des Tages gibt es ja nur zwei Möglichkeiten für mich. Wenn Marie mir sagt, sie kann nicht mehr mit mir auftreten, habe ich entweder die Möglichkeit, aufzuhören oder ohne sie weiterzumachen.
Sie haben sich für das Weitermachen entschieden, was sagt Marie dazu?
Marie und ich wollten beide, dass ich weitermache, also habe ich weitergemacht.
Gibt es einen Song, den Sie nie ohne sie spielen könnten?
Nein! Ich habe alle diese Songs geschrieben. Es sind meine Songs, ich bin der Songwriter. Als ich die Demos für die Lieder gemacht habe, habe ich die Songs auch selbst gesungen. Ich sang "Listen to Your Heart", "Must have been Love", "Spending my Time". Erst danach hat Marie diese Werke zu ihren eigenen gemacht, sie war die Beste. Aber ich mache einfach eine andere Version von den Roxette-Songs. Das machen viele Bands heutzutage so. Queen zum Beispiel. Freddy Mercury ist unersetzbar, aber Queen macht immer noch tolle Songs, anders aber toll. Ich bin sicher, meine Songs werden sich noch immer nach Roxette-Songs anhören, weil sie das nun einmal sind. Aber sie werden nun mal nicht von Marie gesungen und sind deswegen natürlich auch ein wenig anders, weil sie nicht da ist.
Könnte man sagen, die Songs entwickeln sich weiter?
Ja, es ist wie eine Evolution und aus meiner Sicht als Songwriter ist es auch das, was mit einem Lied passieren sollte. Ein Song stirbt niemals oder endet jemals. Wenn du das Lied einmal aufgenommen hast, wird er sich immer wieder verändern. Vielleicht hat man einen anderen Drummer, einen anderen Gitarristen, der Song bleibt der gleiche, aber er wird sich anders anhören.
Sie werden auch in Stockholm auftreten, wird Marie zu der Show kommen?
Marie wird wohl niemals zu einer Show kommen. Wir haben Kontakt zueinander, aber sie lebt jetzt ein ganz privates Leben. Marie geht es soweit ganz gut. Sie musste viel durchmachen, sie hat Schwierigkeiten beim Laufen. In den letzten Monaten, als wir zusammen auf Tour waren, musste sie sich auf der Bühne hinsetzen und das hat sie gehasst. Sie rennt normalerweise auf der Bühne herum. Sie fühlte sich, als könne sie nicht mehr richtig singen. Ich verstehe sie total und akzeptiere völlig, dass sie aufhören wollte. Ich denke auch, das war die richtige Entscheidung, es ist sehr bitter. In einer perfekten Welt würden wir jetzt zusammen hier sitzen und eine Tour zusammen machen. Aber das wird nicht passieren, tut mir leid.
Kennt sie Ihr neues Album "Small Town Talk"? Wie findet sie es?
Sie kennt die schwedische Version des Albums und die liebt sie. Einige der Songs waren eigentlich für Roxette geschrieben, sie hat diese Lieder schon vor Jahren gehört.
Wenn Sie an die Anfänge von Roxette denken, was fühlen Sie dann?
"Look Sharp!" ist für mich das beste Album. Es war unser letztes Album bevor wir unseren Durchbruch hatten und bevor wir in den Musikzirkus eingetaucht sind. Es war vorher einfach etwas ganz anderes, wir haben Musik gemacht, die damals niemand gemacht hat. Wir kamen einfach aus dem Nirgendwo und das war einfach ziemlich cool.
Hören Sie die Popmusik von heute? Justin Bieber zum Beispiel?
Ich höre auch moderne Musik, aber es ist heute alles anders. Ich weiß nicht, ob es gut oder schlecht ist, es ist einfach anders. Popmusik spiegelt immer die Zeit wider, in der sie entsteht. Bei uns auch, wie wir damals aussahen, das waren die 80er-Jahre. Heute ist es viel einfacher an Musik zu kommen durch das Internet. Mein Sohn ist 21 und er hört viel Musik. Er kümmert sich aber nicht so sehr um die Künstler, die dahinter stecken, er hört einfach alles so nebenbei.
Das ist ein wenig schade, oder?
Ja, irgendwie schon. Die Stellung, die Musik heute in der Gesellschaft hat, ist viel geringer geworden als noch in meiner Generation, es gibt jetzt viel mehr, wogegen sich die Musik behaupten muss. Heute hast du Counter-Strike (beliebtes Videospiel) und all dieses Internet-Zeug. Musik ist nur ein kleiner Teil in dem Ganzen. Als ich aufgewachsen bin, war Musik alles, was wir hatten. Wir hatten zwei Fernsehsender in Schweden und drei Radiosender und das war es dann. Die Zeit steht nicht still, das muss man einfach akzeptieren. Ich kann nicht sagen, dass die Musik heute schlechter oder besser ist. Ich kann nur sagen, ich höre meine Musik und die ist aus den 70er- und 80er-Jahren. Ich höre keinen Justin Bieber, weil das einfach keine Musik ist, die für mich gemacht wurde.
Wie kann es eigentlich sein, dass Roxette keinen einzigen Skandal hatte?
Ich glaube, das liegt daran, dass wir keine Handys mit Kameras hatten. (lacht) Das hat wohl nichts mit uns zu tun. Es sind früher Dinge passiert, das gilt aber wohl für unsere ganze Generation, die könnten heute so niemals mehr passieren, weil heute alles gefilmt wird. Nein, wir waren auch sehr fokussiert als Band. Man muss auch bedenken, dass wir aus einem sehr kleinen Land kommen. Wir waren schnell überall bekannt, das war damals erstaunlich. Wir hatten Glück und wir waren sehr dankbar für das, was uns passiert ist. Als sich uns diese eine Tür öffnete, waren wir sehr motiviert und fokussiert. Wir haben uns acht Jahre lang den Hintern aufgerissen, bis Marie ihr zweites Kind bekommen hat. Beim ersten Kind hat sie trotzdem noch genau so hart weitergearbeitet. Erst beim zweiten hat sie dann gesagt: "Ich brauche jetzt eine Pause."
Und Sie?
Ich habe immer weitergemacht, ich habe immer weitergeschrieben. Ich habe "Spending my Time" und "Joyride" an einem Tag geschrieben. Ich arbeite sehr schnell, der Titel, der Refrain und das meiste des Textes steht nach kurzer Zeit. Hinterher arbeite ich dann nochmal daran und ändere etwas, aber das Grobe steht ziemlich schnell.
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Im nächsten Jahr werden Sie 60, denken Sie manchmal ans Aufhören?
Ich sehe nicht, dass ich bald aufhöre. Meine Arbeit und ich sind eins. Meine Frau hat das mit den Jahren auch gelernt, dass da einfach meine Priorität liegt. Ich war schon immer so, schon als Kind. Mein Weg, mich auszudrücken geht über meine Musik. Für mich ist es das Größte, wenn ich Rückmeldung von Menschen bekomme, die meine Songs hören. Ich treffe Leute, die sagen: "Dieses Lied hat mein Leben verändert", "Ich liebe dieses Lied", "Ich habe zu diesem Lied geheiratet". Es ist einfach ein großartiges Gefühl. Wenn ich auf die Bühne gehe und sehe, wie die Leute mitsingen und es lieben, dann muss ich mich manchmal kneifen. Es ist fantastisch.
Vielen Dank, Per Gessle für das Interview.