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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Buchempfehlung Sarah Moss – Gezeitenwechsel
Eine Katastrophe, die eine Familie aus heiterem Himmel trifft. Angst und Ungewissheit, die sich in die heile Welt schleichen. Eine starke Familie, die es trotzdem schafft positiv weiterzuleben. Und ein Rollenwechsel, der funktioniert. Eine bewundernswert warmherzige Lebensphilosophie.
Sarah Moss – Gezeitenwechsel
Zwei Töchter, lebhaft und intelligent. Mutter, Ärztin, arbeitet viel. Vater, schlecht bezahlte Uni-Teilzeitstelle, dafür Hausmann und warmherziger Ansprechpartner für alles und jeden. Man möchte sofort mit den Goldschmidts befreundet sein. Eines Tages ein Anruf aus der Schule, Miriam, die Ältere, liegt ohnmächtig am Rand des Sportplatzes. Herzstillstand, Wiederbelebung, Notarzt, wochenlanger Aufenthalt im Krankenhaus. Diagnose: ungewiss.
Was macht das mit einer Familie? Das plötzliche Bewusstsein, dass die heile Welt von einer Minute auf die andere zu Ende sein kann? Mit dem Mädchen, das mitten in der Pubertät gerade dabei war, sich von den Eltern zu lösen und jetzt rund um die Uhr im Zentrum der Aufmerksamkeit steht. Mit der kleinen Schwester, die spürt, dass die Angst in ihr Zuhause kriecht. Mit der Beziehung der Eltern, die vorher schon kaum Zeit füreinander hatten.
Alexandra Schlüter liest, liest, liest. Sie studierte Philosophie, Literatur und Psychologie und ist seit vielen Jahren in der Verlagsbranche tätig. Sie war Programmchefin bei National Geographic Books und arbeitet als Autorin und Agentin. Bei t-online.de empfiehlt sie Ihnen gute Literatur: Belletristik und Sachbücher, auch mal Jugendbücher und Klassiker.
Wie lebt es sich nach einer Katastrophe weiter?
Auf einmal stellen sie vieles infrage, was vorher selbstverständlich war. Die Rollenverteilung, das Zeitmanagement. Die Lebensphilosophie. Nichts ist mehr wie es einmal war, und ganz so wird es nie mehr werden.
Was macht die Geschichte einer englischen Durchschnittsfamilie zu bemerkenswerter, zeitgenössischer Literatur? Gute Beobachtungsgabe und Psychologie. Eine feine Feder. Das Gespür, welche Themen die Gesellschaft bewegen: uns, die wir versuchen, mit Beruf und Kindern ein familienfreundliches, achtsames Leben zu leben. Ja, und dann geht es auch um die große Frage: Wie lebt es sich nach einer Katastrophe weiter?
Nicht zufällig forscht der Vater, aus dessen Perspektive der Roman geschrieben ist, über die Kathedrale von Coventry. In einer einzigen Nacht von deutschen Bombern zerstört, die Stadt in Schutt und Asche gelegt. Grandios, wie Sarah Moss vom Aufbau der Kathedrale erzählt. Sie steht heute wieder, aber die Vergangenheit ist in den Bau integriert. Hier wurde nichts verleugnet, keine originalgetreue Fassade hochgezogen. So können Wunden heilen, kann das Leben weitergehen. Beim Muschelsuchen am Meer, wo die Gezeiten wechseln, als wenn nichts gewesen wäre.
Was mich an dem Buch gepackt hat: Modernes Familienleben aus der Vater-Perspektive. Der Wiederaufbau der Kathedrale von Coventry. Und das Meer, das rauscht, egal, was passiert.