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Gewaltporno oder Meisterwerk? Warum der "Joker" so polarisiert


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Gewaltporno oder Meisterwerk?
Warum der "Joker" so polarisiert

MeinungVon Thomas Stechert

11.10.2019Lesedauer: 3 Min.
"Joker": Der Film mit Joaquin Phoenix läuft seit dem 10. Oktober im Kino.Vergrößern des Bildes
"Joker": Der Film mit Joaquin Phoenix läuft seit dem 10. Oktober im Kino. (Quelle: imago images)
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Goldener Löwe, Oscar-Anwärter, moderner "Taxi Driver": Der neue "Joker" strotzt nur so vor Superlativen. Aber ist der Hype um den Film auch berechtigt?

Man kommt derzeit kaum um ihn herum: Der "Joker" ist in aller Munde. Bei den Filmfestspielen von Venedig heimste er den Goldenen Löwen ein, sein Konterfei hängt an unzähligen Haltestellen und "Joker"-Darsteller Joaquin Phoenix wird schon jetzt als heißester Anwärter auf den Oscar gehandelt.

Es ist die Rede von etwas ganz Großem, nie Dagewesenen und es heißt, "Hangover"-Regisseur Todd Phillips beweise mit seiner Interpretation des berühmten Comic-Bösewichts Mut und wage sich auf ungemütliche Pfade, die der Gesellschaft den Spiegel vorhalten. Doch was ist dran an diesem Hype? Funktioniert ein Film über den wohl berühmtesten Batman-Widersacher ohne Batman überhaupt?

Einfach nur ein Psychopath

Zeigte Heath Ledger 2008 in seiner eindrucksvollen Joker-Performance in "The Dark Knight" noch einen Anarchisten, der trotz allen Wahnsinns einer nachvollziehbaren, wenn auch abzulehnenden Agenda folgte, ist Phoenix's Joker einfach nur ein Psychopath, der die Welt ausschließlich über sein eigenes Leid definiert. Und das ist das Problem des Films.

Regisseur und Drehbuchautor Phillips unternimmt nicht einmal den Versuch, dem mordenden Irren einen vielschichtigen, psychologischen Unterbau zu verpassen. Außer Plattitüden hat seine Story nichts zu bieten. Miese Kindheit, Mobbing, Prügel, psychische Probleme: Dieser Joker ist, wie sich schnell zeigt, sehr simpel gestrickt: Ihr bösen Menschen habt mir wehgetan und mich schlecht behandelt! Dafür töte ich euch auf die abscheulichste Art und hoffe, Publikum wie Fans mögen mich dafür bejubeln wie einen Rockstar. Aber der Joker ist kein Rockstar, er ist ein kaltblütiger Mörder, der mit entrückter Miene einen Menschen abschlachtet wie ein Tier – inklusive witziger Bemerkung, denn der Joker ist Comedian. Also bitte: Lachen!

So mancher Zuschauer meint, in dieser Darstellung einen Charakter zu erkennen, der sich näher an den Comics orientiert, ein Ansatz, der in dieser glattgebügelten Zeit der filmischen Comic-Universen durchaus löblich ist. Aber dann muss auch die Frage erlaubt sein: Braucht so ein Kerl wirklich einen eigenen Film? Quintessenz der joker'schen Logik nach einer Stunde: Ihr seid alle gemein zu mir und nach einer weiteren: Jetzt mach ich euch alle kaputt.

Ihr seid böse, also bin ich noch böser

Dieser Joker-Film soll eine sogenannte Ursprungsgeschichte sein und hätte somit viel Spielraum und Zeit für Interpretationen gehabt. Doch all dies wird einer simplen Schwarz-Weiß-Philosophie geopfert. Es gibt keine sinnvolle oder erkennbare Ambivalenz des Protagonisten, keine Selbstreflexion, die - gerade in Tagen wie diesen - auch den Zuschauer mit einbezieht. Dieser "Joker" hat nur eine Erkenntnis: Ihr seid böse, also bin ich noch böser. Da helfen auch die Querverweise zu Scorceses Antihelden-Klassikern "Taxi Driver" und "The King of Comedy", an denen sich der "Joker" mehr verhebt als eine Hommage zu bieten, nicht weiter.

Gotham City gleicht in jeder Einstellung einem New York City Anfang der Achtzigerjahre, als wollten die Filmemacher einmal mehr damit sagen: Sehet her, wie realistisch unsere Geschichte ist! Doch gerade dieser vorgeschobene Pseudo-Realismus ist es, der dem "Joker" seiner Wucht beraubt.

Freude an Mord und Chaos

Was hat dieser Film doch für einen fulminanten Teaser mit Gänsehaut-Potential! Phoenix Spiel geht unter die Haut, jede Sequenz ist eine Offenbarung, jeder Blick wie ein Stich ins Herz. Es ist ein Teaser, der die schmerzende Romantik nach einem brutalen, verwerflichen, aber durchaus verständlichen Ventil der Gewalt zelebriert: Der Gepeinigte wehrt sich. Der Film selbst aber hat diesem Ansatz, außer sich in Wiederholungen zu verlieren, nichts hinzuzufügen. Letztlich geht es um nichts anderes, als um einen psychisch kranken Comic-Protagonisten, dem man übel mitgespielt hat und der sein Seelenheil schließlich in Mord und Chaos findet. Das ist in Bezug auf die Geschichte des Jokers durchaus glaubhaft, als eigenständiger Film jedoch ist das Ganze löchrig, irreführend und vor allem: unangenehm.

Bei all den Schwächen ist Joaquin Phoenix' Darbietung, wie man es von ihm gewohnt ist: exzellent. Der Charakterdarsteller trägt den Film fast vollständig allein. Auf Dauer aber wirken auch seine Grimassen, genauso wie seine unglaubliche Körperhaltung, inflationär.

Fazit: Der "Joker" bietet wichtige und vielversprechende, gesellschaftskritische Ansätze, aber sie werden einem simplen Schwarz-Weiß-Dogma untergeordnet. Die Inszenierung verschluckt sich regelrecht an ihrem Realitätsanspruch und schultert ihr ganzes Gewicht über die Nahaufnahmen eines gequält in die Kamera blickenden Joaquin Phoenix, dem seine Darbietung nur zurecht womöglich einen Oscar einbringt. Dem Batman-Bösewicht vermag er aber keine neue Facette hinzufügen.

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"Joker" läuft seit dem 10. Oktober in den deutschen Kino

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