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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Rosalie Thomass "Wahnsinn, was wir diesem Thema für einen Raum geben"
Rosalie Thomass schlägt gerne ernste Töne an. Im Interview mit t-online wird schnell deutlich, welche gesellschaftlichen Themen die Schauspielerin bewegen.
Zu unserem Interview im "Hotel Zoo" am Ku'damm kommt Rosalie Thomass gut gelaunt. Sie absolviert gerade einen Marathon von Pressegesprächen zu ihrem neuen Film, obendrein Premieren in unterschiedlichen Städten und abendliches Posieren auf dem roten Teppich. Das klingt stressig, die 35-Jährige wirkt aber entspannt. Sie wirkt, als habe sie Lust auf das Gespräch.
Neben ihrer tollpatschigen Rolle in der Komödie "Jagdsaison" kommen wir schnell auf gesellschaftliche Themen zu sprechen. Inwiefern Thomass im negativen Sinn überrascht wurde, als sie ihr erstes Kind bekam und wie sie auf das derzeit viel diskutierte Thema Gendern blickt, erzählt sie im Interview mit t-online.
t-online: Sind Sie eigentlich ähnlich tollpatschig wie Ihre Filmfigur Eva?
Rosalie Thomass: Ich bin definitiv auch am Start, wenn irgendwo ein Fettnäpfchen ist. Auch diese fehlende Impulskontrolle kenne ich. Letztlich steht Eva für einen Teil von uns, den wir vielleicht nicht unbedingt ausleben sollten.
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Wie meinen Sie das?
Wir reißen uns im Alltag alle ein bisschen zusammen. Da haben wir das im Film mal richtig ausgereizt: Wie weit können wir gehen mit einer Frauenfigur, die sich nicht korrekt verhält, nicht nur sexy ist – im Gegenteil, die heimlich raucht vorm Elternabend in der Schule. Sie ist keine dieser perfekten Mütter, die wir auf Instagram sehen. Das tut uns gut. Eva steht dafür, wie man manchmal gerne wäre, wie man sich manchmal gerne gehen lassen würde – es aber nicht tut.
Inwiefern bekommen Sie das zu spüren?
Ich möchte nicht die ganze Zeit verurteilt werden – ob als Mutter, als arbeitende Mutter, als Nicht-Mutter, als Frau, die keine Kinder will. Wenn wir mit diesem Verurteilen aufhören könnten, fände ich das schön. Solange wir den Rest noch nicht ändern können, wäre es wichtig, dass erst mal Frauen untereinander aufhören, übereinander herzuziehen.
Was müsste sich in Ihren Augen noch ändern?
Ich wünsche ich mir, dass meine Tochter in einer Welt leben kann, in der eine Frau anziehen kann, was sie will, ohne dass sie Freiwild ist. Eine Welt, in der Frauen nachts angstfrei durch den Park nach Hause gehen können. Es ist absurd, dass wir uns Dinge anhören müssen wie: Geht nachts doch nicht raus, zieht das nicht an, da bist du aber selbst schuld …
Wird das nicht ausreichend thematisiert?
Natürlich reden wir viel darüber, aber nur in einer Bubble. Es trägt sich schon mal etwas nach außen, aber es ist nicht allgegenwärtig genug.
Wo liegt Ihrer Ansicht nach das Problem?
Ich habe kürzlich den Podcast von Jameela Jamil gehört, in dem die Autorin von "Fix the System, Not the Women" zu Gast war. Sie hat darüber berichtet, wie wir uns an diesen Zustand gewöhnt haben: Nach den Überfällen auf Frauen in Großbritannien wurde den Frauen geraten, abends nicht mehr rauszugehen. Sie sagte, die Hölle würde losbrechen, würde man Männern raten, zu Hause zu bleiben – wobei dies letztlich logischer sei, weil schließlich ein Mann eine Frau überfallen hat. Die beiden kamen zu dem Schluss, dass wir männliche Verbündete brauchen, die guten Männer, die keine Frauen überfallen – welche in der Überzahl sind – die müssen aufstehen für uns.
Wie stehen Sie zum Gendern? Ist das Ihrer Ansicht nach in diesem Kontext auch relevant?
Die Diskussion ums Gendern ist wichtig, wird aber in meinen Augen viel zu hoch gehandelt im Verhältnis zu anderen Problemen – Gender Pay Gap, strukturelle Benachteiligung von Frauen in der Elternschaft, Gewalt gegen Frauen … Bei Feminismus, vor allem bei intersektionalem Feminismus, geht es wirklich um mehr als um Sternchen oder Doppelpunkt. Das ist eine kleine, nicht unwichtige Sparte, aber da sollte man sich nicht so lange aufhalten. Ich selbst halte es für richtig zu gendern, damit sich alle gemeint fühlen. Ich verpulvere aber meine Energie nicht mehr in sinnlosen Diskussionen darüber.
Als ich Mutter wurde, war ich überrascht, dass das überhaupt noch ein Thema ist. Ich bin aus allen Wolken gefallen. Ich dachte, das sei schon längst durch.
Rosalie Thomass zu t-online
Sie haben angesprochen, dass es Verurteilungen gibt, die Sie häufig zu spüren bekommen. Inwiefern fühlen Sie sich verurteilt als arbeitende Mutter?
Als ich Mutter wurde, war ich überrascht, dass das überhaupt noch ein Thema ist. Ich bin aus allen Wolken gefallen. Ich dachte, das sei schon längst durch. Was mich erstaunt hat, ist die Selbstverständlichkeit, mit der eine Frau, von der man weiß, sie hat ein Kind und arbeitet, permanent gefragt wird, wo denn um Himmels willen jetzt gerade das Kind sei. Umgekehrt muss man leider sagen: Mein Mann wurde nicht ein einziges Mal gefragt, wo sein Kind ist.
Wie reagieren Sie auf solche Bemerkungen?
Anfangs habe ich noch scherzhaft geantwortet, wie: Keine Ahnung, mein Kind sitzt wahrscheinlich im Auto! Oder: Ich habe es irgendwo vergessen. Mich hat die Frage provoziert. Es ist doch klar, dass mein Kind irgendwo sicher betreut ist. Ich habe mich deshalb irgendwann rigoros dagegen entschieden, solche Bemerkungen ernst zu nehmen. Ich gebe nichts darauf, wenn irgendeine Frau im Bus denkt, sie wisse besser, was ich mit meinem schreienden Kind zu tun habe, generell, wenn fremde Menschen eine Meinung zu meinem Mutter-Sein haben. Wenn ich mich dem aussetze, schaffe ich es nicht. Es wird aber übrigens ein bisschen besser, wenn die Kinder größer sind. Dann ist es plötzlich okay, dass sie fremdbetreut sind.
Erwischen Sie sich manchmal, wie Sie unterbewusst beurteilen?
Ich habe überhaupt keinen Bock, andere Mütter zu beurteilen, solange ich nicht mitbekomme, dass ein Kind misshandelt wird in irgendeiner Art und Weise. Wenn sich jemand darüber aufregt, dass eine Mutter den Kinderwagen schiebt und am Handy ist, denke ich: Du weißt doch nicht, was bei dieser Frau in dieser Sekunde gerade los ist. Vielleicht hat die gerade eine schlimme Nachricht bekommen. Vielleicht muss sie eine Arbeitsmail beantworten. Vielleicht braucht sie eine Pause von dem Geschrei. Es geht dich nichts an.
Welche Reaktionen hätten Sie sich denn statt wertender Kommentare oder der klassischen Wo-hast-du-denn-dein-Kind-gelassen-Frage gewünscht?
Die Frage danach, wie es mir damit geht, von meinem Kind getrennt zu sein. Stattdessen wurde mir nur entgegnet. "Oh Gott, du vermisst dein Kind bestimmt total." Es gibt keine Neugierde, es gibt nicht die Offenheit, dass meine Erfahrung ohne Wertung interessant sein könnte. Die Menschen sind nur auf der Suche nach der Antwort auf die Frage: "In welche Schublade stecke ich die denn jetzt?" Weil irgendwo muss man doch reinpassen. Wenn man sich dem entziehen will, triggert das die Leute.
Fahren Sie denn jetzt mit Ihrer Einstellung gut?
Ja, aber das ist eine wahnsinnige Luxusdiskussion der weißen Mittelschicht. Man muss es sich erst mal leisten können, als Mutter nicht zu arbeiten. Das macht mich daran noch wütender. Es gibt so viele Menschen, die nicht über die Runden kommen, wenn nicht beide Elternteile Vollzeit arbeiten, Menschen, die die Kinder einfach irgendwo abstellen müssen und nicht in irgendeiner besonders tollen Kita.
Ich glaube, dieser Anspruch, man müsse sich zu jedem Zeitpunkt "hot" finden, gehört behoben.
Rosalie Thomass zu t-online
Im Film geht es an einer Stelle um das Thema Selflove. Diese Bewegung wurde insbesondere auf Social Media in den vergangenen Jahren immer größer. Wie blicken Sie auf den Begriff?
Es gibt in diesem Zusammenhang ja den Begriff Body Positivity, ich finde aber Body Neutrality viel schöner. Wir müssen doch nicht die ganze Zeit alles an unserem Körper lieben. Ich freue mich einfach, dass ich einen gesunden Körper habe, was eh schon ein Privileg ist. Mein Körper kann alles machen, was ich will. Er macht alles mit, hat mir schon viel verziehen, zweimal hat er sogar Leben gebacken. Ich finde es wahnsinnig schön, dass ich das erleben konnte – es gibt genug Menschen, die schwanger werden wollen und es klappt nicht oder es geht schief. Ich sehe es so: Ein Körper ist halt ein Körper. Dem kann man natürlich Liebe schicken und dankbar sein. Aber ich glaube, dieser Anspruch, man müsse sich zu jedem Zeitpunkt "hot" finden, gehört behoben.
Warum?
Das löst bei vielen Leuten Druck aus. Wenn jemand sagt, ich finde meinen Körper hässlich, aber er dient mir gut, dann ist das doch okay. Vielleicht kann man ihn gerade nicht lieben, weil die Schwangerschaft unglaubliche Spuren hinterlassen hat, die man nicht mag. Das ist okay. Dieser Anspruch, dass sich alle Frauen und inzwischen auch Männer bedingungslos selbst lieben müssen, ist doch abgefahren. Statt dass sich Frauen, was Körperbilder angeht, locker machen, haben wir es geschafft, dass sich auch Männer einen Kopf machen. So war das nicht gedacht. Es ist Wahnsinn, was wir diesem Thema überhaupt für einen Raum geben.
Wenn Sie die Möglichkeit hätten: Was würden Sie dieses ganze Körperthema betreffend zu ihrem 17 Jahre alten Ich sagen?
Ich würde meinem 17-jährigen Ich zeigen, wie stark der Verfall noch sein wird und ihm raten, seine Jugend zu genießen. Die besten Jahre verschwendet man mit pubertierender Unsicherheit. Aber das Schöne ist: Ich kenne viele Frauen, die jetzt Mitte 30 sind und sagen, sie fühlen sich so gut wie noch nie. Obwohl objektiv betrachtet, vielleicht dieses und jenes am Körper mal besser und knackiger war.
Sie sind Mitautorin des Films "Jagdsaison", der seit dem 18. August 2022 in den Kinos zu sehen ist. Mit Blick auf die besprochenen Themen: Was war Ihnen für Ihre Figuren wichtig?
Mir war ein Anliegen, dass die Körper der Frauen kein Thema sind. Es ist bewusst so, dass Bella nicht einfach zu Eva sagt: "Na ja, du könntest ja mehr Sport machen." Oder Eva könnte zu ihr sagen: "Iss halt mal mehr, dann bist du nicht so angespannt!" Das war mir ganz, ganz wichtig, dass diese Ebene in dem Wettbewerb zwischen den beiden nicht stattfindet. Ich will das nicht mehr reproduzieren, auch wenn es weiter stattfindet.
Welche Message soll der Film den Zuschauerinnen und Zuschauern mitgeben?
Der Film dreht sich darum, dass wir Frauen uns in Konkurrenz zueinander stellen können – aber es doch viel schöner ist, wenn wir es nicht machen und wenn wir üben, dass es eine tolle, interessante, schöne, kluge, lustige Frau neben uns geben kann. Dass das nicht weh tut und dass uns das nichts von unserem eigenen Glanz wegnimmt. Im Gegenteil. Das ist für mich die tiefere Message des Filmes.
- Persönliches Interview mit Rosalie Thomass
- Vorabsichtung von "Jagdsaison"
- instagram.com: Profil von rosalie_thomass
- eigene Recherchen