Film "Stronger": Jake Gyllenhaal als Bostoner Bomben-Opfer
New York (dpa) - Man kennt diese Filme "nach einer wahren Begebenheit": Ein Terroranschlag tötet Unschuldige, aber inmitten der Katastrophe wachsen Helfer oder Überlebende über sich hinaus.
Ihr Kampf zu dicker Streichermusik soll das Publikum inspirieren, er lehrt uns, was wir angesichts großen Unglücks bewältigen können. Auch der Trailer zu einem Drama über das Attentat auf den Boston-Marathon 2013 weckt den Eindruck, dass "Stronger" genau ein solcher Film ist, Katastrophe und Held im Rollstuhl inklusive. Doch Zuschauer, die den Film auslassen, weil sie keine Lust auf manipulative Opfer-Dramen haben, machen aus mindestens drei Gründen einen großen Fehler.
Da ist zunächst einmal die Auswahl der Protagonisten: Jeff Bauman ist zwar ein Durchschnitts-Typ, der über sich hinauswachsen könnte - aber als großer Held in düsteren Zeiten taugt er trotzdem nicht. Als Opfer jammert er wehleidig über seine Situation, und seine unangenehm laute Bostoner Arbeiterfamilie trinkt und flucht am Rande zur Karikatur - als einer der Attentäter erschossen wird, jubeln sie laut durchs Krankenhaus.
Zu Beginn des Films ist Jeff eigentlich schon nicht mehr mit seiner Freundin Erin zusammen, aber er will versuchen, sie ein letztes Mal für sich zu gewinnen, indem er ihr beim Zieleinlauf des Marathons zujubelt. Doch er verliert bei dem Anschlag beide Beine und Erin muss sich fragen, welche Verantwortung sie ihm gegenüber überhaupt hat. Es ist eine kluge Entscheidung, dass Regisseur David Gordon Green der Beziehung der beiden viel Raum einräumt.
Dass diese Balance besonders gut gelingt, liegt an der zweiten Stärke des Dramas, der Besetzung. Selbst in einem mittelmäßigeren Film ist es immer ein Vergnügen, den beiden Hauptdarstellern Jake Gyllenhaal und Tatiana Maslany zuzuschauen. Natürlich, und gleichermaßen zögerlich wie fordernd, prägt der "Orphan Black"-Star Maslany ihre Rolle.
Ihr zur Seite steht der 37-jährige Gyllenhaal, der sich sich seit seinem Debüt als Sohn von Billy Cristal in "City Slicker" im Alter von zehn Jahren mit Filmen wie "Brokeback Mountain", "The Day After Tomorrow" und "Nightcrawler" eine vielseitige Filmografie aufgebaut hat.
Auch hier ist es ein Ärgernis, dass er nicht einmal eine Oscarnominierung für diese Leistung davongetragen hat. Mit braunen Kontaktlinsen und filzigen Haaren uneitel in Szene gesetzt, wirkt sein Spiel nie wie das eines Standard-Hollywood-Schönlings, der sich gegen den Typ bürsten lässt - stattdessen stellt er sich in den Dienst der Sache und überzeugt in lauten und leisen, in charmanten und deprimierenden Szenen gleichermaßen.
Das stärkste Plus des Filmes ist aber, dass er nicht beim üblichen Inspirationskitsch stehen bleibt. Dafür schmerzen Jeffs Stürze auf die Wannenkante im schlecht eingerichteten Badezimmer der Baumans zu sehr und dafür sind die Szenen, die in anderen Filmen gnadenlos draufhalten würden, hier zu leise umgesetzt. Da gibt es keine beeindruckende Inszenierung einer derben Bombenexplosion, sondern es zählt der eine um Hilfe flehende Blick, den Jeff seiner Erin zuwirft, als zum ersten Mal die Verbände an seinen Beinstummeln gewechselt werden.
Der Film bekommt dafür eine wichtige andere Botschaft verpasst. Jeff muss in seine neue Rolle als Symbol für Widerstandsfähigkeit hereinwachsen. "Bin ich schon ein Held, weil ich da gestanden habe und mir die Beine hab’ wegblasen lassen?", fragt er an einer Stelle. Es ist die größte Stärke dieses herausragenden Dramas, zu zeigen, dass eine Katastrophe für eine Gruppe erst einmal nicht zur Inspiration taugt: die Betroffenen. Wie der Film dann verhandelt, ob andere aber trotzdem ein Recht auf inspirierende Ikonen haben, hebt "Stronger" weit über den Durchschnitt anderer Terror-Bewältigungsdramen.
Stronger, USA 2017, 119 Min., FSK ab 12, von David Gordon Green, mit Jake Gyllenhaal, Tatiana Maslany, Miranda Richardson