Wegen Corona-Auflagen Premiere ohne Schauspieler in Stuttgart
Stuttgart (dpa) - Das deutsche Theater ist mächtig aus dem Tritt geraten. In der Corona-Pandemie hebt sich seit Monaten kaum ein Vorhang, Schauspielhäuser suchen ihr Heil in Autokinos, Ein-Mann-Stücken oder Open-Air-Inszenierungen.
Kreative Alternativen sind gefragt, auch wenn sie kostspielig sein mögen. Stuttgarts Schauspiel legt bei seiner jüngsten Premiere am Dienstagabend die Corona-Abstandsregeln so radikal wie möglich aus.
Auf Schauspieler verzichtet das Haus in "Black Box" gänzlich. Kein Mime betritt die Bühne, um seine Rolle zu spielen und Texte zu zitieren. Und dennoch ist das Theater als System bei dieser Inszenierung so spürbar wie nie zuvor. Denn die Hauptrolle übernimmt das vielstöckige Gebäude. Die nackten Treppenhäuser stehen an diesem Abend im Mittelpunkt, die verlassene Lobby, die Probebühne, der leere Zuschauerraum und die Werkstätten im hintersten Winkel.
Über Kopfhörer werden die Zuschauer im 5-Minuten-Takt alleine und sekundengenau durch das Haus geleitet, während die Gedanken der Maskenbildnerin und der Dramaturgin, des Theaterarztes, des Souffleurs und des Malers sie auf der Tonspur begleiten. Hinter jeder schweren Türe bietet sich ihnen so ein neuer und überraschender Blick auf den Theaterbetrieb, sie kramen dabei vielleicht in den eigenen Erinnerungen an lange Abende vor der Bühne oder entdecken neue Facetten eines Kulturbetriebs, der für sie bislang unmittelbar hinter der Bühne zu Ende gewesen ist. In den leeren Räumen hallt nach, was die Theaterbesucher hier vor der Pandemie verbunden hat - Gefühlsstürme, Gelächter, Gerüche und Applaus.
Nach einem 90-minütigen intensiven Gang durch das Gebäudelabyrinth, nach Ausflügen in die Maske, die Dramaturgie und in die kleine Box des Souffleurs, steht der Besucher schließlich im Zentrum des Theatergeschehens: im gleißenden Scheinwerfer auf der Bühne, von der aus der menschenleere Zuschauerraum nur schwach zu erkennen ist.
Für den Theaterbesucher hat Regisseur Stefan Kaegi vom Label Rimini Protokoll "Black Box" als empfindungsreiche Kamerafahrt inszeniert. "Mit seinen Augen als Kamera geht der Zuschauer durch die Räume und nimmt dabei mehr als nur Bilder auf", sagte er nach dem ersten Durchgang. "Man filmt vielmehr mit allen Sinnen." Und während man schweigend und lauschend von einem Raum durch den Gang zum nächsten wandelt, wird das Haus zur "Überraschungsillusionsbox", wie es die Tonspur nennt.
"Das Stück ist unsere Liebeserklärung an das Theater in schwierigen Zeiten", sagte Stuttgarts Intendant Burkhard Kosminski am Dienstagabend nach der Premiere des "Phantomtheaters für 1 Person". Der Abend zeige, was man in Zeiten der Pandemie organisieren könne. "Damit können wir Corona ein kleines Schnippchen schlagen", sagte Kosminski.
Für seine Schauspielsparte ist "Black Box" eine von noch zwei kleineren Premieren der coronaverkorksten Saison. Das Theater hatte am vergangenen Freitag mitgeteilt, dass sie den vor kurzem erst wieder aufgenommenen Spielbetrieb drei Wochen früher als geplant einstellt. "Wir hoffen natürlich, "Black Box" ab September wieder regelmäßig auf dem Spielplan zu haben", sagte Kosminski.