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Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Du willst es doch auch Ryan Goslings Pullunder
Gerecht ist das nicht: Manche Menschen können auch die verfemtesten Spießerlooks tragen und sehen damit trotzdem super aus. Schauspieler Ryan Gosling ist so einer. Und der erste Mann, der in einem Pullunder nicht wie Onkel Erwin aussieht.
Vielleicht hat er sich die Schweißporen und Schwitzedrüsen mit Silikonspachelmasse verfugen lassen und sondert auch im sommerlich-heißen Venedig keinerlei Transpirationströpfchen ab. Eventuell war er vor seiner Reise zu den Filmfestspielen mit einem ältlichen männlichen Verwandten auf Reisen, es kam in der Aufbruchseile zu einer unglücklichen Kofferverwechslung, und nun muss Ryan Gosling eben die nächsten Tage mit der Onkel-Garderobe auskommen. Wahrscheinlich zog der unverwüstlich Schöne aber einfach nur deshalb einen ollen Second-Hand-Lacoste-Pullunder an, um uns mal wieder zu zeigen, dass er in jeder, wirklich jeder Klamotte einfach super aussieht.
Pullunder sind klassische Streberwear. Etwas, das der riesenbrillige Serien-Hirni Steve Urkel trägt oder der gescheitelte Physikfreund aus der ersten Bank, der sich immer schnipsend meldet und dabei den schwächlichen Anzeigearm mit der anderen Hand auf dem Tisch abstützen muss. Später tragen ihn Pfarrgemeinderäte oder Bingo-Liebhaber. Pullunder sind sicherlich bequem, gleichzeitig wamswärmend und armlüftend – aber sie sind auch die Sozialkundelehrer unter der Kleidungsstücken. Wer sie trägt, wirkt vertrauenswürdig, behaglichkeitsliebend – und nicht direkt verführungswillig.
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Wenn Ryan Gosling allerdings einen Pullunder trägt, sieht tatsächlich auch der olle Halbpullover ziemlich sexy aus. Was auch durch die scheinbar nachlässige, in Wahrheit aber ausgesprochen kunstvolle Kombinationskunst seines Trägers befördert wird: Gosling trägt dazu ein altes, leicht angelöchertes, am Kragenbündchen schon rissiges weißes T-Shirt, dass er ganz unten aus dem Kleiderschrankstapel mit den eigentlich ausgemusterten Hemdchen gezogen zu haben scheint, die er nur noch aufhebt, falls er mal jemandem beim Umzug helfen muss oder eine farbspritzerintensive Heimwerker-Tätigkeit ansteht (okay, oder es handelt sich um eines dieser sinnlos teuren, schon vorgefetzen Designerteile, die sich die schrulligen Reichen manchmal spaßeshalber kaufen, um uns arme echte Proletarier mit unseren bei aufrichtiger Arbeit abgeschrappten Kleidung zu verhöhnen). Das ist verwirrend, denn dem klassisch-konservativen Pullunderträger wäre eine derlei offensive Mir-doch-wurscht-wie-knittrig-meine-Shirt-ist-Haltung ein Graus. Über dem Pullunder baumelt zudem ein vage strizzihaft anmutendes Gold-Medaillon, wie es auch Ryan Goslings Charakter in "Drive" tragen würde, dem Film, mit dem es ihm gelang, ein verkitschtes Kurzjäckchen mit goldener Skorpion-Stickerei zum absoluten Haben-wollen-Stück zu adeln. Sozialkundelehrer weltweit werden es ihm danken, sollte ihm ähnliches mit dem Pullunder gelingen.
Lacoste-Pullunder: Goslings Leibchen ist vintage und leider nicht mehr erhältlich. Aktuelles Modell: 90 Euro.