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Skispringen: Martin Schmitt kritisiert internationalen Skiverband


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Die Gefahren des Skispringens
Ex-Skisprung-Held Schmitt äußert harte Kritik an seinem Sport


30.01.2021Lesedauer: 7 Min.
Stephan Leyhe: Der deutsche Springer musste nach seinem Sturz 2020 abtransportiert werden.Vergrößern des Bildes
Stephan Leyhe: Der deutsche Springer musste nach seinem Sturz 2020 abtransportiert werden. (Quelle: Sammy Minkoff/imago-images-bilder)
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Die Skisprung-Saison ist in vollem Gange. Doch abseits der Schanze wird über die Verletzungen der Sportart diskutiert. Auch Ex-Springer wie Martin Schmitt und Jens Weißflog finden deutliche Worte – und fordern Änderungen.

Er war mittendrin – im Team der deutschen Skispringer und in der Weltspitze. Auf dem besten Weg zum Höhepunkt seiner Karriere. Er hatte gerade seinen ersten Weltcup in Willingen gewonnen. Doch dann stürzte Stephan Leyhe vergangenen März im norwegischen Trondheim und zog sich einen Kreuzbandriss zu.

Nun sitzt er vor dem Fernseher und schaut den Springern aus der Ferne zu, wie alle anderen Fans der Sportart auch. Er geht in die Reha und verfolgt seine Teamkollegen. Von außen. Und beim Weltcup am vergangenen Wochenende in Lahti sogar als TV-Experte für "Eurosport".

Das Schicksal von Leyhe traf zuletzt viele internationale Topspringer. Es charakterisiert das Skispringen heutzutage – und macht deutlich, wie gefährlich die Sportart geworden ist.

"Man bekommt das mit den Verletzungen mit. Du beschäftigst dich auch damit, aber du blendest es gleichzeitig auch wieder aus. Ich dachte immer, dass ich ein sicherer Springer bin und auch, dass ich immer gut gelandet bin. Ich hatte nie Probleme und dann ist es in Trondheim doch einfach passiert", sagt Leyhe zu t-online.


Zur erfolgreichsten Zeit der deutschen Skisprung-Heroen Martin Schmitt und Sven Hannawald um die Jahrtausendwende lagen die Sturzursachen meist in der Luft, die Landung war unsanft, der Aufprall fand oft auf dem Rücken statt.

Die dabei entstandenen Verletzungen kommen heutzutage kaum noch vor. Doch dafür ist die Landung für Springer durch das Schuh-Bindungsmaterial schwieriger geworden. Es zwingt die Springer zu einer X-Bein-Stellung. Die Folge: Immer mehr Kreuzbandrisse und ein internationaler Skiverband (FIS), der handeln musste. Das Ergebnis: Die im Sprungschuh befindlichen Keile müssen nun symmetrisch sein und drücken die Athleten nicht mehr so stark in die X-Bein-Stellung. Das war zumindest der Gedanke der FIS. Doch die Umsetzung findet nicht überall Anklang.

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Zu den Zweiflern zählt auch Ex-Springer Martin Schmitt. Er gehörte zur absoluten Weltspitze und machte die Sportart in Deutschland populärer. Die aktuellen Entwicklungen gefallen dem Olympiasieger von 2002 nicht. Im Gespräch mit t-online sagt er: "Ich finde die Regel nicht konsequent. Nun müssen die Keile zwar symmetrisch sein und das Knicken nach innen wird verhindert. Der Schubladeneffekt ist dennoch vorhanden." Also der Druck, der in die Wade kommt und auf den Unterschenkel wirkt.

Auch Horst Hüttel, früher selbst Athlet in der Nordischen Kombination und heute als Teammanager der Skisprung-Nationalmannschaft und der Nordischen Kombination für den DSV tätig, sieht noch Verbesserungspotenzial bei der Materialentwicklung in Bezug auf den Schuh. Zu t-online sagt er: "Ich sehe einen Punkt, wo man weiterhin aufmerksam sein muss in der Norm. Das betrifft die Schuhe und das Schuh-Bindungs-Keilsystem bezüglich Kreuzbandverletzungen. Hier müssen alle Verantwortlichen weiterhin die Entwicklung sehr aufmerksam verfolgen."

Schmitt erklärt das so: "Wenn man die Keildicke festlegt, dann müsste man auch die Schaftneigung festlegen. Sonst kann ich den Schaft zehn Grad weiter nach vorne neigen und dann bin ich wieder da, wo ich vorher war. Ich finde, man müsste noch ein wenig weiter gehen. Nur durch diese Regeländerung wird man die Zahl der Kreuzbandverletzungen nicht drastisch reduzieren können. Ich glaube nicht, dass es ausreicht", sagt Schmitt.

Steht er mit seiner Meinung allein da? Auch Jens Weißflog, der erfolgreichste deutsche Skispringer, der mit Olympia, der Vierschanzentournee, der Weltmeisterschaft und dem Gesamtweltcup die vier wichtigsten Konkurrenzen der Sportart gewonnen hat, bewertet die Entwicklungen kritisch.

"Durch die noch weitere Professionalisierung des Sports erhält die gebrachte Leistung eine teils noch größere mediale Aufmerksamkeit und wird somit noch werthaltiger im Sinne des Geldverdienens. Aus meiner Sicht wird dadurch auch noch mehr versucht die Leistung zu optimieren. Neben der klassischen sportlichen Leistung versucht man das natürlich auch im Material. Das heißt eben auch die Grauzonen auszuschöpfen."

Eine Entwicklung, die auch Georg Reichart beobachtet. Der Geschäftsführer und Inhaber der S. K. I. GmbH & Co. KG, die unter anderem Leyhe und den norwegischen Top-Athleten Halvor Egner Granerud mit Skiern ausstattet, sagt zu t-online: "Wir passen uns an die Vorschriften des FIS an. Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, wäre es, dass der FIS wesentlich mehr auf die Gesundheit und Sicherheit der Sportler achtet. Es hat in der letzten Zeit viele schlimme Verletzungen gegeben. Mit den entsprechenden Vorschriften könnte man diese Verletzungsanfälligkeiten minimieren. Man hat die ersten Schritte durch die Veränderung der Keile getan, aber es gibt wesentlich mehr Möglichkeiten, um einzugreifen." Zwar gab es in Bezug auf die Skier in den vergangenen Jahren keine großen Veränderungen, doch auch Reichart und sein Team haben Kontakt zu den Herstellern der Bindungen.

Schmitt hat derweil eine Forderung an den FIS: "Ich würde mir wünschen, dass es noch mehr Klarheit beim Reglement gibt und dieses noch präziser gefasst und kontrolliert wird. Da geht man seit 15 Jahren einen Weg, welcher ganz viele Grauzonen und auch viele Interpretationsspielräume zulässt."

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Doch was bedeuten die Grauzonen genau? Am Beispiel des Skisprunganzuges lässt sich dies gut verdeutlichen. Die Anzüge der Springer werden maßgeschneidert. Laut FIS dürfen sie aktuell zwei Zentimeter über dem Körpermaß sein. Eine Änderung, die vor sechs Jahren eingeführt wurde. Zuletzt gab es eine Regeländerung beim Anzugsschnitt. Sandro Pertile, Renndirektor der FIS im Bereich Skispringen, erklärt das t-online so: "Im vergangenen Frühjahr haben wir beschlossen, den Schnitt der Sprunganzüge anzupassen, um das Material um das Becken herum zu reduzieren. Der Schnitt des Anzugs verläuft jetzt gerader von der Schrittposition zum Gürtel, der sich im oberen Teil des Beckens befindet."

Doch auch hier sieht Schmitt noch mehr Verbesserungspotenzial. "Laut Reglement sollten die Anzüge fast anliegen. Man sieht aber, dass das an manchen Stellen einfach nicht der Fall ist. Das müsste präziser gefasst oder besser kontrolliert sein."

Hüttel ergänzt: "Es ist ein schwieriges Prozedere, weil man am Menschen misst. Der Körper verändert sich ja auch – unter anderem aufgrund des Wasserhaushaltes. Dies macht es nicht einfach. Dennoch ist es so, dass die Athleten an gewisse Limits gehen, was den Umfang und die Länge der Anzüge betrifft."

Pro Saison verbraucht ein Springer rund 15 bis 20 Anzüge, wie Hüttel t-online erklärt. "Es gibt Springer, die mehr ausprobieren wollen oder auch in den Farben variieren möchten. Ein Athlet kann bis zu 25 Anzüge pro Saison probieren", sagt der Teammanager der Skisprung-Nationalmannschaft. Das Material kommt von zwei Firmen. "Es gibt nur zwei Anbieter in Mitteleuropa, bei denen man Stoff einkaufen kann. Das sind die Firma Meininger und die Firma Eschler. Man hat keine große Bandbreite. Die Stoffe werden gekauft und dann individuell geschneidert", so Hüttel.

Die Firma Meininger stellt bereits seit 1984 die Stoffe für Anzüge, aber auch Komplettanzüge her. Geschäftsführer und Firmeninhaber Wolfgang Meininger sagt zu t-online: "Das Material unterliegt grundsätzlich zunächst den Regeln des FIS. Diese wurden in der Vergangenheit in Punkto Dicke, Luftdurchlässigkeit et cetera des Materials von Zeit zu Zeit angepasst und präzisiert. Die Herausforderung als solche liegt im Grunde immer wieder darin, das Material sowohl regelkonform zu produzieren als auch den Bedürfnissen der Athleten, das heißt den Kriterien der Sportart entsprechend zu optimieren."

Auch Reichart berichtet von individuellen Wünschen der Sportler, auf die sein Unternehmen eingeht. "Innerhalb der Vorschriften der FIS versuchen die Firmen, wir auch, im Wesentlichen durch Innovationen unter anderem in Bezug auf Schwingungen die Dinge zu verbessern. Dazu kommt auch, dass jeder Springer einen individuellen Sprungstil hat. Wir versuchen, auf diesen Stil einzugehen und die passenden Skier zu bauen."

Schmitt sieht darin vor allem einen Nachteil für kleinere Nationen, die finanziell nicht so breit aufgestellt sind wie die Topteams aus Norwegen, Deutschland oder Österreich. "Letztendlich profitiert der, der am meisten tüftelt und am meisten tüfteln kann der, der die größten finanziellen Ressourcen hat. Man beschneidet damit kleinere Nationen. Das zieht sich in den Nachwuchsbereich."

Schmitt mahnt: "Das tut dem Sport nicht gut"

Dem stimmt auch Weißflog zu: "Das stimmt insoweit, dass durch die geringere finanzielle Leistungsfähigkeit weniger Material, wie zum Beispiel weniger neue Anzüge zur Verfügung stehen. Natürlich sind auch die Möglichkeiten für Trainingslager im Ausland, um Forschung zu betreiben oder um den Prozess im Allgemeinen zu verbessern oft geringer. "

Die teils minimalen Regeländerungen der FIS sorgen bei Ex-Springern wie Schmitt für Verärgerung. In Bezug auf die Grauzonen des Reglements sagt er: "Das macht es intern extrem mühsam und das tut dem Sport nicht gut."

Der FIS hingegen sieht die Änderungen bisher positiv. So kommentiert Pertile die kürzliche Regeländerung der Anzüge so: "Die Änderung scheint positiv zu sein und wir werden weiter an der Verbesserung unseres Kontrollsystems arbeiten."

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Auch in Bezug auf die Kreuzbandrisse, die zuletzt vermehrt aufgetreten sind, sagt Pertile zu t-online: "Am Ende der letzten Wintersaison hatten wir eine ernsthafte Analyse unserer Verletzungen. Das Ergebnis war, dass es mindestens sechs mögliche Gründe für Verletzungen gibt: 1. Zu lange Sprünge (besonders bei Rückenwind), 2. Nicht gute Vorbereitung der Landefläche (im Winter), 3. Ausrüstung, 4. Kein gutes Training für die Beine, 5. Kein gutes Training für die Telemarklandung, 6. Menschlicher Fehler. Im Frühjahr, Sommer, Herbst (2020, Anm. d. Red.) haben wir mit unseren Trainern und Jurymitgliedern in alle Richtungen gearbeitet. Zusätzlich haben wir die maximale Größe für die Keile definiert und die Tatsache, dass sie symmetrisch sein müssen."

Leyhe arbeitet seit dem vergangenen März an seinem Comeback. In Bezug auf das Training der deutschen Skispringer sagt er: "Wir trainieren unser Knie und unsere Oberschenkel fast jeden Tag. Auch die Muskeln, die unser Knie halten. Das ist auf einem sehr hohen Niveau. Ich wüsste nicht, wie man trainieren könnte, um das Knie noch stärker zu machen."

Pertile kommentiert die Regeländerung weiter: "Bisher scheinen die verschiedenen Einstellungen gut zu funktionieren."

Allerdings ist Norwegens Top-Springer Granerud am vergangenen Wochenende in Lahti nach einem sehr weiten Sprung über 137,5 Meter und damit fast acht Meter über Hillsize gestürzt. "Das geht aufs Kreuzband", entfuhr es "Eurosport"-Kommentator Gerhard Leinauer. Auch Leyhe war vor Ort, als es passierte. Er sagt: "Der Sturz von Granerud war schockierend. Ich hätte nicht gedacht, dass er im letzten Durchgang noch so weit springt. Wenn einem selbst ein Sturz widerfahren ist, ist man schon geschockt, wenn so etwas passiert."

Forderungen von Schmitt oder Reichart, noch einen Schritt weiter zu gehen, kommentiert Pertile so: "Wir hatten am 16. Januar ein Trainertreffen in Zakopane. Alle waren sich einig, dass wir die Ausrüstung vor den Olympischen Spielen 2022 nicht ändern."

Ob das die richtige Entscheidung ist, wird die Restsaison und der kommende Winter zeigen. Granerud hatte in Lahti Glück. Doch nicht immer geht ein Sturz so glimpflich aus. Springer wie Leyhe sind plötzlich raus aus dem Weltcup-Geschehen und kehren erst nach Monaten zurück. "Ich hoffe, dass ich irgendwann da weitermache, wo ich letzten März aufgehört habe", so Leyhe.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Interview mit Martin Schmitt, Jens Weißflog, Horst Hüttel, Georg Reichart, Sandro Pertile und Stephan Leyhe
  • Kontakt mit Wolfgang Meininger
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