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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Andreas Goldberger "Tourneesieg? Der geht nur über Deutschland"
Andreas Goldberger kennt die Vierschanzentournee wie kaum ein anderer. 1991 feierte er in Innsbruck sein Tournee-Debüt und konnte das wichtigste Skisprung-Ereignis des Jahres zwei Mal für sich entscheiden. Bei t-online.de wirft der 45-Jährige einen Blick auf die diesjährige Tournee, die am 29. Dezember mit der Qualifikation von Oberstdorf beginnt. Dabei räumt er gleich drei deutschen Springern sehr gute Siegchancen ein.
Ein Interview von Tobias Ruf
t-online.de: Herr Goldberger, wie stehen die Chancen der deutschen Springer bei der Vierschanzentournee?
Andreas Goldberger (45): So gut wie seit Jahren nicht mehr, der Tourneesieg geht nur über Deutschland. Das deutsche Team ist in dieser Saison extrem stark. Richard Freitag und Andreas Wellinger gehören zu den Top-Favoriten im Kampf um den Gesamtsieg. Und mein Geheimtipp aus deutscher Sicht ist Markus Eisenbichler.
Welche Qualitäten bringen die drei deutschen Aushängeschilder mit?
Freitag ist derzeit in einer überragenden Form, die letzten Weltcup-Ergebnisse sprechen für sich. Er hat sehr viel Selbstvertrauen und endlich die Landung in den Griff bekommen. Wellinger ist ein absoluter Wettkampftyp und hat den Killerinstinkt, den es für einen Tourneesieg braucht. Er erinnert mich an Thomas Morgenstern. Der war aus ähnlichem Holz geschnitzt. Eisenbichler bringt alles mit, was es für einen Siegspringer benötigt. Bei ihm wird es sehr wichtig sein, dass er gleich mit einem ‚Aha-Erlebnis‘ in die Tournee startet. Wenn er vor heimischem Publikum in Oberstdorf einen guten Start hinlegt, ist ihm sehr viel zuzutrauen.
Was macht die deutschen Springer in dieser Saison so stark?
Der große Vorteil ist die mannschaftliche Stärke. Im Gegensatz zu den Vorjahren lastet der Druck nicht nur auf einem Springer. Die entscheidende Frage wird jetzt sein, ob sie diese Leichtigkeit auch mit in die Tournee nehmen können. Die öffentliche Erwartungshaltung wird sehr hoch sein. Da kann ein Auftaktspringen vor eigenem Publikum auch zur Belastung werden.
Ist der Tournee-Plan für die deutschen Springer also ein Nachteil?
Ich bin der festen Überzeugung, dass es mehr deutsche Tourneesieger geben würde, und in der Vergangenheit gegeben hätte, wenn die Tournee in Österreich beginnen und in Deutschland enden würde. Der Druck ist einfach riesig, wenn das Auftaktspringen im eigenen Land stattfindet.
Könnten Sie sich vorstellen, dass der Tourneeplan geändert wird?
Nein, die Tournee hat in dieser Konstellation so viel Tradition und ist für die Skispringer und Fans ein Ereignis, das in jedem Jahr in identischer Form wiederkehrt. Es gibt keinen Grund, an diesem erfolgreichen Konzept zu drehen. Außerdem profitieren wir Österreicher ja von der festgelegten Reihenfolge (lacht).
Apropos Österreich. Bis auf Stefan Kraft lief der Saisonstart nicht zufriedenstellend. Ist das österreichische Skispringen in einer Krise?
Die Ergebnisse in dieser Saison lassen bislang zu wünschen übrig, aber das muss man differenziert betrachten. Zum einen ist die Saison noch jung und das Team hat mit Verletzungspech zu kämpfen. Zum anderen ist Österreich natürlich verwöhnt, das Niveau in den letzten Jahren war extrem hoch. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir bei der Tournee eine andere österreichische Mannschaft erleben werden, als bisher im Weltcup. Österreich kann in diesem Jahr nur gewinnen. Der Druck liegt auf anderen Nationen, das kann ein großer Vorteil sein. Und mit Stefan Kraft haben wir ja einen Top-Springer im Feld, auch er ist ein Kandidat für die Gesamtwertung.
Wen haben Sie sonst noch auf dem Zettel, wenn es um den Tourneesieg geht?
Kamil Stoch aus Polen gehört zum engsten Favoritenkreis. Und dann sind da noch die Norweger. Daniel-André Tande, Johann André Forfang und auch Robert Johansson sind gut in Form und vor allem konstant.
Welches Gesamtpaket braucht es denn, um eine Vierschanzentournee zu gewinnen?
Für mich war immer das Wichtigste, dass ich mich auf die Tournee gefreut habe. Ohne eine gesunde Portion Lockerheit geht es nicht, dafür ist der Druck zu groß. Dann müssen natürlich die Form und das Material passen und auch die äußeren Bedingungen spielen im Skispringen immer eine große Rolle. In diesem Jahr kommt erschwerend hinzu, dass die Konkurrenz so groß ist und durch die Regeländerung in der Qualifikation der Leistungsdruck noch einmal erhöht wurde.
Wie beurteilen Sie die Änderung, dass in dieser Saison die bestplatzierten im Gesamtweltcup nicht mehr automatisch für den Wettbewerb qualifiziert sind?
Für die Zuschauer ist diese Änderung natürlich super. Das erhöht die Spannung, die Tournee besteht dadurch aus zwölf, statt wie bisher aus nur acht Sprüngen. Die Top-Athleten müssen sich auf diese Neuerung natürlich einstellen. Ich hoffe nicht, dass einer der Sieganwärter aufgrund von äußeren Widrigkeiten oder aufgrund eines Sturzes in einer der Qualifikationen scheitert, das wäre der Worst Case.
Auch nach seinem Karriereende im Jahr 2005 ist der Team-Weltmeister von 2001 und Skiflug-Weltmeister von 1996 seinem Sport eng verbunden geblieben. Für den österreichischen Sender ORF arbeitet Goldberger als Experte und testet noch immer die verschiedenen Schanzen als Kameraspringer. Um den Nachwuchs kümmert sich der 45-Jährige mit seinem jährlich steigenden „Goldi-Cup“. In diesem will Goldberger junge Menschen für das Skispringen begeistern und ein Bewusstsein für eine aktive und gesunde Lebensweise schaffen. Zudem ist Goldberger als Botschafter für die Stiftung "Wings for Life" tätig. Die Stiftung hat sich zur Vision gesetzt, Querschnittlähmung heilbar zu machen.
Wie verbringen die Athleten die Weihnachtszeit?
Ich habe vor Weihnachten immer noch trainiert und Material getestet. Am 24. Dezember habe ich dann noch ein paar Sprünge gemacht, das war ein Ritual für mich und meinen Heimtrainer. Dann aber habe ich mir bis 26.12. eine Pause gegönnt und Weihnachten im Kreise der Familie verbracht. Diese Pause braucht es auch, nur so hat man den Kopf für die Tournee frei.