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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Skandal im Skispringen Die Lage eskaliert

Die Skisprung-Welt wird von einem Skandal erschüttert. Norwegen gibt Manipulation zu, Österreich rückt auf einmal auch ins Visier. Und Deutschland?
Norwegens Skisprung-Team ist ein Wrack. Der Cheftrainer: suspendiert. Sein Assistent: suspendiert: Der Servicetechniker: suspendiert. Die Chefin des Skisprungkomitees: zurückgetreten. Die drei besten Springer: suspendiert. Dazu eine unter Druck stehende Verbandspräsidentin, ein Sportdirektor, der seine Unschuld beteuert, zwei Ex-Athleten, die ihren eigenen Betrug zugegeben haben und ein disqualifizierter Kombinierer, der von seinem Fehler nichts gewusst haben will.
An den Wettkampf ist bei der Raw-Air-Serie in Vikersund an diesem Wochenende kaum zu denken. Über allem schwebt der Manipulationsskandal im norwegischen Team. Anonym veröffentlichte Videos hatten gezeigt, wie eine verbotene Naht an den Skisprunganzügen angebracht wurde, die der Stabilität hilft und einen Vorteil in der Luft verschafft.
Cheftrainer Magnus Brevig gab kurz danach zu: "Wir haben die Anzüge so manipuliert oder verändert, dass sie gegen die Vorschriften verstoßen. Es ist eine vorsätzliche Handlung, und folglich ist es Betrug."
Die Folgen sind bekannt, der Frust im Ausland ist groß. Ex-Springer Sven Hannawald fordert bei t-online: "Wenn offiziell betrogen wurde, dann würde ich sofort alle WM-Medaillen annullieren."
Auf der Normalschanze war Lindvik Weltmeister geworden, erwischt wurde er aber erst auf der Großschanze, weshalb er die Goldmedaille behalten darf. Hannawald zweifelt daran, dass es auf der Normalschanze mit sauberen Dingen zuging: "Warum sollte ein Lindvik seinen Anzug, nachdem er auf der kleinen Schanze Weltmeister geworden ist, vor dem Wettbewerb auf der Großschanze noch einmal optimieren? Er war ja schon der Beste. Das ergibt keinen Sinn."
Die "verdächtigen" Tournee-Österreicher
Die norwegische Mannschaft ist aber nicht die einzige, die in dieser Saison kritisch beäugt wurde. Die Österreicher sind vielen Beobachtern seit der Vierschanzentournee ein Dorn im Auge. Elf von zwölf Podestplätzen gingen damals an die Athleten aus der Alpenrepublik. Daniel Tschofenig, Jan Hörl und Stefan Kraft machten den Sieg unter sich aus. Alle anderen Springer waren weit abgeschlagen.
Der Norweger Halvor Egner Granerud fand die österreichische Dominanz "seltsam", die ehemalige Skisprung-Olympiasiegerin Maren Lundby hielt sie für "verdächtig". Weil die Österreicher ihre Bindungen an den Skiern nach den Springen teilweise vor den TV-Kameras abdeckten, kochte die Gerüchteküche.
Nach dem letzten Springen waren sich Experten aus Norwegen und Polen sicher, dass sich "etwas in den Schuhen" befand. Dabei ging es um die Schuhzungen, also den Punkt, der den Schuh mit dem Anzug verbindet. Ex-Skispringer Johan Roman Evensen vermutete damals, dass "die Österreicher ihre Schuhe flacher gemacht haben. Damit sie im Anlauf besser sitzen und eine bessere Ausgangsposition haben".
Nach der Tournee flachte die Diskussion um Stefan Kraft und Co. etwas ab – bis zu dieser Woche. Der Journalist Jakub Balcerski vom Portal "sport.pl" teilte ihm aus anonymer Quelle zugespielte Fotos von Athleten aus Österreich mit aus seiner Sicht auffälligen Handschuhen, Sprunganzügen und Schuhen. Ein Betrugbeweis war das nicht. Da Balcerski aber auch derjenige war, der den norwegischen Skandal aufgedeckt hatte, erregten die Aufnahmen einige Aufmerksamkeit. Eine Reaktion der Österreicher gab es nicht.
Deutschland – regeltreu oder im "Schlafsack"?
Anders als bei Norwegen gibt es aber keine Belege, dass Österreich tatsächlich betrogen hat. Viel mehr haben die ÖSV-Athleten bisher die Kontrollen weitestgehend überstanden. Ähnlich wie beim deutschen Team.
Doch auch der DSV bekam schon sein Fett weg. Die Erfolge bei der Nordischen Ski-WM, Andreas Wellinger wurde Zweiter und Karl Geiger Vierter, weckten die Aufmerksamkeit internationaler Beobachter. Denn zur Form der deutschen Springer passten die positiven Ergebnisse überhaupt nicht. Den polnischen TV-Kommentatoren Igor Błachut und Michał Korościel war Geigers Anzug nicht eng genug. "Ein Mann im Umhang. Wir sehen, dass Karl Geiger seinen Anzug nicht gewechselt hat. Das ist eigentlich ein Schlafsack", lästerten sie.
Skisprung-Legende Adam Małysz äußerte sich ebenfalls skeptisch. Der Zeitung "Przeglad Sportowy" sagte er: "Entweder haben wir immer noch ein Schlupfloch in den Regeln und jemand weiß, wie man es umgehen kann, oder ich weiß nicht, was hier los ist. Irgendetwas stimmt hier nicht. Ich meine, das ist doch offensichtlich." Auch aus Norwegen gab es eine kritische Stimme. Ex-Springer Andreas Stjernen sagte der Zeitung "Dagbladet": "Ich stimme zu, dass es verdächtig aussieht."
Karl Geiger reagierte gelassen. "Ich hatte eine Kontrolle und ich habe sie bestanden", stellte er damals klar.
Und auch bei den jüngsten Geschehnissen rund um das norwegische Team blieb Bundestrainer Stefan Horngacher ruhig. Der 55-Jährige zeigte sich bereit, dem Weltverband Fis alles offenzulegen. "Wir haben nichts zu verbergen. Die anderen Dinge erledigen andere Leute. Es hat wieder eine Reaktion gegeben. Es ist einiges am Laufen, das können wir nicht beeinflussen. Wir haben den Fokus aufs Skispringen", betonte Horngacher am Rande des Springens in Oslo im ZDF.
Doch diesen Fokus zu halten, fällt den Athleten gar nicht so leicht, sagt zumindest Andreas Wellinger. "Es ist ein bisschen eine skurrile Situation. Es ist alles anders. Wir reden nur noch über Dinge, über die wir gar nicht reden wollen." Für das Skispringen sei die derzeitige Situation "nicht unbedingt prickelnd".
Stattfinden werden die kommenden Wettkämpfe dennoch. Am Samstagnachmittag findet das Skifliegen-Einzel in Vikersund statt (ab 17 Uhr im Liveticker bei t-online). Die DSV-Adler sind dabei, fünf suspendierte Norweger nicht. Doch spannend wird sein, wie die Stimmung rund um den Wettbewerb sein wird.
Gleiches gilt für die kommenden Springen in Lahti und Planica, wo die Saison eigentlich zu Ende gehen soll. Aufgrund der aktuellen Entwicklungen ist aber klar: Bis diese Skisprung-Saison wirklich abgeschlossen ist, wird es noch einige Zeit dauern.
- Eigene Recherche
- Material der Nachrichtenagenturen SID, dpa
- nrk.no: "Ekspertene er kritiske til østerriksk totaldominans: – Det er mistenkelig" (Norwegisch)
- kleinezeitung.at: "ÖSV-Cheftrainer Widhölzl lacht über Gerüchte"
- sport.pl: "Burza przed finałem TCS. Nagle padły oskarżenia o oszustwo" (Polnisch)
- nrk.no: "Hevder at de østerrikske hemmelighetene skjules her: – Et mysterium" (Norwegisch)
- eurosport.de: "Vierschanzentournee: Bindungen der Österreicher im Fokus – ÖSV-Adler mit Psycho-Spielchen nach Vorwürfen"
- tv2.no: "Mistenker mer norsk hoppjuks" (Norwegisch)
- przegladsportowy.onet.pl: "Adam Małysz brutalnie szczerze po konkursie MŚ. To widać gołym okiem" (Polnisch)
- dagbladet.no: "Rykteflom i VM-byen" (Norwegisch)