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Skispring-Skandal: Sven Hannawald über den Betrug


Skandal im Skispringen
Hannawald kündigt Betrügern die Freundschaft

  • Melanie Muschong
InterviewVon Melanie Muschong

14.03.2025 - 15:21 UhrLesedauer: 6 Min.
Sven Hannawald: Er gewann als erster Skispringer die Vierschanzentournee durch Siege in allen vier Wettbewerben.Vergrößern des Bildes
Sven Hannawald: Er gewann als erster Skispringer die Vierschanzentournee durch Siege in allen vier Wettbewerben. (Quelle: IMAGO/Socher/ Eibner-Pressefoto/imago-images-bilder)
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Nach dem Anzugbetrug der Norweger hat der Weltverband erste Konsequenzen gezogen. Skisprungikone Sven Hannawald befürwortet das – und hat Änderungsvorschläge.

Der zugegebene Betrug des norwegischen Teams durch verstärkte Nähte in Anzügen hat die Skisprungwelt erschüttert. Cheftrainer Magnus Brevig wurde suspendiert, ebenso wie sein Assistent Thomas Lobben und der Anzugschneider Adrian Livelten. Zudem hat der Weltverband (Fis) Marius Lindvik und Johann André Forfang suspendiert.

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Am Donnerstag gab der Weltverband zudem bekannt, mit Robert Johansson, Kristoffer Eriksen Sundal und Robin Pedersen drei weitere Athleten suspendiert zu haben. Fis-Renndirektor Sandro Pertile erklärte über die nach dem Betrug kontrollierten Anzüge: "Wir haben etwas anderes gefunden, nicht das gleiche wie bei den Fällen zuvor."

Die Entwicklungen beschäftigen auch die deutsche Skisprungikone Sven Hannawald. Im Interview mit t-online hat der Vierschanzentournee- und Olympiasieger über die Suspendierungen gesprochen – und auch über mögliche Änderungen zur Prävention solcher Geschehnisse.

t-online: Wie blicken Sie nun nach den Suspendierungen auf den Skandal?

Sven Hannawald: Mir geht es viel besser. Das ist zumindest schon mal ein Zeichen von der Fis. Auch für andere Springer, die am 'Schummeln' sind. Sie sind vielleicht wachsamer. Und die Zeit bis zum Saisonende sollte reichen, dass Lindvik, Forfang, Sundal, Johansson, Kristoffersen und Pedersen zum Nachdenken kommen. Die Krönung war für mich der Nordische Kombinierer Jørgen Graabak, der meint nicht gewusst zu haben, welche Bindung auf seinem Ski ist. Wir müssen so viel Grundvertrauen ins Material haben, wir fliegen durch die Luft. Da wollen mir die Athleten sagen, sie haben nichts davon gewusst? Das ist dann Verhöhnung und an Dreistigkeit nicht zu toppen.

Die Fis hat neben den Suspendierungen auch festgelegt, dass jeder Springer bis zum Saisonende nur noch einen Anzug nutzen darf.

Da muss man sehen, wie das gehandhabt wird. Es heißt, die Anzüge sind außerhalb des Wettkampfes unter Verschluss. Für mich war das Material als Springer immer das Heiligste. Ich hätte nicht das beste Vertrauen in Bezug darauf, was mit meinem Anzug irgendwo passiert. Ich bin gespannt, ob die Anzüge bis Planica zum Saisonabschluss halten.

Braucht es von der Fis weitere Schritte, als die bisher eingeleiteten?

Für mich ist die Suspendierung der norwegischen Athleten ein Zeichen dafür, dass offiziell betrogen wurde. Ansonsten würde die Fis die Springer nicht rausziehen. Wenn offiziell betrogen wurde, dann würde ich sofort alle WM-Medaillen annullieren. Dass es keine Beweise gibt, wird international ein Problem sein. Aber: Warum sollte ein Lindvik seinen Anzug, nachdem er auf der kleinen Schanze Weltmeister geworden ist, vor dem Wettbewerb auf der Großschanze noch einmal optimieren? Er war ja schon der Beste. Das ergibt keinen Sinn.

Wie genau meinen Sie das?

Wenn er Dritter oder Vierter auf der Normalschanze geworden wäre, würde der Gedanke, etwas zu verändern, eher einleuchten. So erschließt sich mir das nicht. Daher ist für mich da dringendster Tatverdacht, dass diese Anzüge schon länger so genutzt wurden. Ich hätte kein schlechtes Gewissen, direkt die Medaillen abzuerkennen.

Frühere norwegische Leistungsträger wie Daniel-André Tande und Anders Jacobsen haben erzählt, auch betrogen zu haben. Wie blicken Sie auf diese Aussagen?

Es enttäuscht mich. Ich werde das Gefühl nicht los, dass sie für ihre Springerkollegen Lindvik und Forfang etc. Partei ergreifen wollen, so aber den Betrug verharmlosen. Wenn sie auch betrogen haben, dann fehlt mir aktuell der Sinn für Humor, dass ich darüber lachen kann. Ich hatte Tande als guten Freund wahrgenommen, nehme jetzt aber auch von ihm und Jacobsen Abstand. Es ist einfach peinlich, wenn man solche Dinge noch in den Raum stellt.

Sollte die Fis auch hier Konsequenzen ziehen?

Es wurde Schummeln zugegeben. Somit ist es ein Eingeständnis. Auch da würde ich einem Tande, der 2018 Skiflugweltmeister wurde, und einem Tourneesieger wie Jacobsen die Siege aberkennen. Ich kann sie nicht mehr ernst nehmen.

Wie geht es nun mit den Norwegern Ihrer Meinung nach weiter?

Eigentlich haben die Norweger ihre Quittung schon am Anfang der Saison bekommen. Sie hätten aufgrund des Reglements der Fis ihren Sprung umstellen müssen. Das haben sie aber nicht, weil sie Mittel und Wege gefunden haben, zu bescheißen. Das wird es so aber hoffentlich nie mehr geben.

Wie bewerten Sie den Ansatz der Fis, dass die Technik wieder mehr in den Vordergrund rücken soll?

Der Ansatz ist richtig. Es fehlen nur ein paar Punkte, die es einfach halten und nicht zu komplex machen. Ich bin da ja immer gerne bei der Formel 1 als Beispiel. Wenn ich bei den Onboard-Aufnahmen der Doku über Ayrton Senna sehe, wie der am Lenkrad kurbeln musste, um das Auto auf der Strecke zu halten und mir die Formel 1 jetzt anschaue, dann fahren sie heute mit zwei Fingern. Daran sieht man, wie viel sich im Materialsektor geändert hat. Genauso ist es bei uns im Skispringen. Wenn du das Material hast, gibt es Springer, die brauchen sich nur nach vorn werfen und dann fliegt das. Das hat nichts mehr mit feinfühligem und schön anzusehendem Skispringen zu tun. Das war ja auch der Ansatz der Fis für diese Saison. Nur gibt es zu viele Schlupflöcher im System.

Müsste ein Skisprung-Reglement mal länger als eine Saison getestet werden?

Das funktioniert nicht. Man sieht offensichtlich, dass während einer Saison gearbeitet wird. Und dann überlegen die Nationen, was das Material besser machen würde auf der Basis von dem, was nicht verboten ist. So wird immer gearbeitet. Die Kontrolleure werden immer einen Schritt hinten dran sein. Es gibt kein Reglement, das für die nächsten fünf Jahre dasselbe ist. Es wird immer komplexer.

Im Vergleich zu Ihrer Zeit damals?

Damals wurden drei Sachen kontrolliert, heute knapp zehn. Dementsprechend macht man sich Gedanken. Ich verstehe den Ansatz der FIS, die Anzüge eng zu halten, damit sie nicht mehr wegfliegen. Die engen Anzüge sind allerdings nicht die Lösung, weil mit diesen mehr Schummeleien möglich sind.

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Warum?

Bei den engen Anzügen hat man eine gute Möglichkeit, speziell das Schrittmaß, was für uns entscheidend ist, die Messung zu beeinflussen. Die Springer können dann den Anzug, indem sie sich strecken, hochziehen, der Anzug bleibt an der Stelle hängen, sodass das Schrittmaß "passt". Sobald die Springer dann zwei Schritte machen, rutscht der Anzug wieder auf ein Maß, das eigentlich nicht durchgehen würde. Die Beinlänge wird so wieder verkürzt und der Schritt voluminöser. Die Springer kommen durch das Hochziehen durch die Messung, im Flug ist das Maß aber ein anderes.

Sie würden die Anzüge also wieder weiter machen?

Mein Ansatz wäre, dass man die Anzüge im Verhältnis zum Körperumfang auf mindestens plus vier oder sechs Zentimeter erweitert, dass er nur an den Schultern aufliegt. Wenn man dann aus Springersicht denken würde, dann kann ich den Anzug viel weiter machen, bringt ihm das nichts, weil der Anzug mittlerweile nur noch sechs Millimeter dick ist. Er würde Falten werfen und in der Luft flattern. Aerodynamisch der Tod. Auch das Umnähen bei Gewichtsverlust eines Springers würde wegfallen. Momentan trinken die Springer vor dem Wettkampf Wasser, um auf die Maße ihres Anzuges zu kommen. Das kann es ja nicht sein. Wenn der Anzug wieder weiter wäre, müsste man dann im Umkehrschluss aber die Fläche der Ski minimieren, damit die Gesamtfläche gleich bleibt.

Wie genau?

Das Flächenverhältnis, das bei den Anzügen dazugegeben werden würde, müsste bei den Skiern reduziert werden. Das könnte man im Sommer testen. Zusätzlich, wenn man die Skier kürzt, muss man das Verhältnis maximaler Skilänge zum Körpergewicht adaptieren, dass die Springer durch den kürzeren Ski nicht mehr abnehmen. Somit würde auch der BMI erhalten bleiben. Es sind aber erst mal nur Gedanken, die ich mir mache …

Um so Betrug zu vermeiden?

Vermeiden geht wahrscheinlich nie, aber auf diese Art sehe ich Licht am Ende des Tunnels. Wenn die Fis weiterhin darauf besteht, dass der Anzug im Verhältnis zum Körperumfang nicht weniger als zwei und nicht mehr als vier Zentimeter ausfällt, dann bleiben die Anzüge beim Messen irgendwo am Körper hängen. Das war bei uns damals nicht möglich und wäre bei weiteren Anzügen auch nicht so. Dann könnte ein Springer sich wieder voll auf den Sprung konzentrieren und wäre nicht mit einem halben Kopf beim Körpermaß, ob das passt. Eine Maschine beim Messen, wie der 3D-Body-Scanner, liegt zudem auf der Hand, da Menschen beeinflussbar sind.

Was muss passieren, damit die aktuellen Diskussionen bis zu den Olympischen Winterspielen in einem Jahr wieder abflachen?

Der Sommer wird zeigen, inwieweit die Gespräche der Fis fruchten. Die Verantwortlichen wissen jetzt, dass die Messung durch einen Menschen beeinflussbar ist, aber auch durch die Springer. Dementsprechend müssen sie schauen, wie sie das Beeinflussen neutralisieren.

Verwendete Quellen
  • Eigenes Interview mit Sven Hannawald
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