Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Eishockey im Selbsttest Als der Profi schießt, wird es gefährlich
Unser Autor kannte Eishockey bisher nur als Fan von der Tribüne aus. Pünktlich zu Beginn der Weltmeisterschaft änderte er das.
Bei den ersten Schritten bin ich vorsichtig. Ach, was heißt schon Schritte? Ich tappe von einer Kufe auf die andere. Zwar bin ich gut gepolstert, doch den Praxistest will ich mir ersparen. Nach den ersten Metern gleite ich ganz langsam auf der Eisfläche vor mich hin. Den Stock benutze ich weniger als Spielgerät. Ich will eher die Balance halten, während ich meine erste Runde im altehrwürdigen Berliner Wellblechpalast in Hohenschönhausen drehe. Die Pucks, die überall verstreut sind, lasse ich erst mal liegen. Das Laufen ist Herausforderung genug.
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Dabei ist mir Eishockey nicht fremd – allerdings nur als Beobachter: Seit meiner Jugend fasziniert mich der Sport, auch wenn ich selbst nicht mehr genau weiß, was der Auslöser war. Meine Schulfreunde schwärmten vom Basketball der NBA, ich fuhr dagegen zu Spielen der Adler Mannheim – zwei Stunden dauerte eine einfache Fahrt von meinem Heimatort aus. Mit 18 ging mein erster Übersehtrip nicht in die USA, sondern ins Hockeymutterland Kanada. In meinem Studienort Augsburg stand ich im Fanblock, als die Augsburger Panther 2010 mit der DEL-Vizemeisterschaft den größten Erfolg ihrer Vereinsgeschichte feierten.
Ich war bei Weltmeisterschaften auf der Tribüne und feuerte die New York Rangers im Madison Square Garden an – und hatte trotzdem nie eine Ahnung, wie dieser Sport in der Praxis funktioniert. Im Saarland, wo ich aufwuchs, ist Eishockey eigentlich als Freizeitsport nicht vorgesehen. Überhaupt gab es in dem Bundesland während meiner Kindheit nur zwei Eishallen, wo ich zumindest drei oder vier Mal auf Schlittschuhen stand. Mittlerweile sind beide Hallen geschlossen.
Unterstützung vom Profi
Jetzt – mit 34 Jahren – gebe ich also mein Debüt auf dem Eis. Ein Pressetermin des Senders ProSieben, der ab Mitte Mai die Weltmeisterschaft in Tschechien übertragen wird, macht es möglich. Ob das gut geht?
Bei der Ankunft in der Kabine wird deutlich, dass ich es ohne Hilfe nicht einmal in die Ausrüstung schaffe. Tiefschutz, Schienbeinschoner, Brustpanzer, Ellenbogenschützer, zwei paar Socken und Stutzen, die mit einem Geschirr festgehalten werden: Wer die Sachen in der falschen Reihenfolge anlegt, hat gleich verloren. Irgendwas zwischen fünf und zehn Kilo soll alles zusammen wiegen.
Zum Glück erhalte ich professionelle Hilfe, ehe ich auf den Kufen Richtung Eis wanke. Mein Ausbilder: Maxi Kammerer, Stürmer der Kölner Haie. Der 27-Jährige erklärt jedes Ausrüstungsteil, bevor es losgeht – und auch, wie groß der Verschleiß eines Profis ist: Pro Jahr verbraucht Kammerer etwa drei Paare Schlittschuhe und Handschuhe. Noch häufiger brechen allerdings seine Schläger: 30 bis 40 gehen bei Kammerer pro Saison zu Bruch. Die Spielgeräte können je nach Modell mehrere hundert Euro kosten.
"In meiner Jugend habe ich sportlich wirklich alles ausprobiert und parallel auch lange Fußball gespielt", erklärt mir der Profi während einer Pause auf der Reservebank. Allerdings lag der Eishockeysport bei Kammerer schon in der Familie: Maxis Vater Axel lief 130-mal für die Nationalmannschaft auf und trug die Trikots von Traditionsklubs in Rosenheim, Kaufbeuren oder Ratingen. Heute ist Axel Kammerer Trainer in seinem Heimatort Bad Tölz, wo auch Sohn Maxi seine ersten Schritte auf dem Eis machte. Für Kammerer Junior ging es über die Nachwuchsmannschaft von Salzburg in die kanadische Jugendliga, ehe er zu den Profis der Düsseldorfer EG wechselte. Seit 2021 steht er beim Rivalen aus Köln unter Vertrag.
Nach einigen Runden auf dem Eis schiebe ich erstmals behutsam den Puck vor mir hin und her. Immer wieder verspringt mir allerdings die "Scheibe" und ich muss ihr hinterherrennen. Nach einigen Tests laufe ich in gemächlichem Tempo erstmals auf das leere Tor zu – und setze meinen allerersten Schuss weit am Gehäuse vorbei. Die nächsten Versuche scheitern ähnlich deutlich. Ich bewege mich immer näher heran und schaffe es aus etwa eineinhalb Metern Entfernung, dass die Scheibe tatsächlich über die Linie hoppelt. Kein Kunststück, aber zählt trotzdem.
Der erste Erfolg beflügelt. Leicht übermütig probiere ich meinen ersten Schlagschuss aus. Dabei hole ich so weit aus, dass die Kelle meines Schlägers über meinem Kopf in die Luft zeigt. Tatsächlich treffe ich sogar den Puck. Durch den Schwung verliere ich allerdings das Gleichgewicht und falle ziemlich unelegant auf meinen Rücken.
Dabei merke ich auch, dass die Hockeyausrüstung zwar recht umfangreich ist, aber auch einige Lücken aufweist. Wenn ich die Arme anhebe, ist mein seitlicher Oberkörper kaum geschützt. Gleiches gilt für meine Waden, die von den Schienbeinschonern nicht umschlossen sind. Auch die Handschuhe sitzen ziemlich locker und sind auf den Innenseiten extrem dünn. Schläge auf die Handgelenke oder Unterarme stelle ich mir sehr schmerzhaft vor.
Nationalspieler Kammerer hatte mich schon zu Beginn gewarnt, dass die Rückseite des Körpers deutlich weniger gepolstert ist. Auch das Gesicht und die Halspartie sind kaum geschützt: Nachdem vor einigen Monaten der Profi Adam Johnson in England allerdings von einer Kufe tödlich am Hals verletzt worden war, ist eine schnittfeste Halskrause mittlerweile bei den Profis Pflicht. Im Gesicht wird dagegen nur die Augenpartie durch ein Visier geschützt.
Theoretisch könnten alle Profis auch ein Vollvisier tragen, wie es bei Jugendspielern noch verpflichtend ist. Warum ein solcher Schutz allerdings bei den besten Spielern kaum zu sehen ist, kann mir Kammerer nicht erklären. Auch ein Zahnschutz könne im Extremfall nur bedingten Schutz liefern. "Wenn die Scheibe das Gesicht trifft, dann hilft der Zahnschutz auch nichts." Der einzige Vorteil: Bei einem Treffer mit Schutz würde man wenigstens die empfindlichen Zähne nicht so leicht verlieren.
Entgegen den gängigen Eishockeyklischees hat der Profi aus Köln aber noch keine Zähne auf dem Eis verloren. Auch andere schwere Verletzungen blieben ihm bisher erspart: "Gott sei Dank bin ich bisher recht verschont geblieben."
Meine Schutzkleidung reicht an diesem Nachmittag aus, um mich vor Verletzungen zu bewahren. Nach weiteren Testrunden passe ich mir mittlerweile mit anderen Medienkollegen immer sicherer den Puck zu. "Das sieht so geil aus bei dir!", lobt mich dafür Prosieben-Moderator Matthias Killing von der Seite aus.
Ob er damit recht hat, weiß ich nicht. Jedenfalls macht es ziemlich viel Spaß – und bringt mich trotz der tiefen Temperaturen auf dem Eis gehörig ins Schwitzen. Um das Gleichgewicht zu halten und den Puck nicht zu verlieren, lehne ich meinen Oberkörper ständig nach vorne, was sich in meinem Rücken und den Füßen irgendwann bemerkbar macht. Schwierig wird es jetzt vor allem, wenn ich den Puck im Lauf annehmen soll: Stoppen mit dem Schläger, gleichzeitig nicht langsamer werden und dann auch noch aufs Tor schießen, ist noch etwas zu viel.
Meine anfängliche Freude über meine kleinen Fortschritte treten allerdings in den Hintergrund, als Maxi Kammerer schließlich die Schlittschuhe schnürt und das Eis betritt. Während meine Schüsse noch immer gemächlich Richtung Tor trudeln, reichen bei Kammerer schon kleine Bewegungen mit den Handgelenken, dass die Scheibe mit hoher Geschwindigkeit Richtung Netz rauscht. Trifft er nicht, donnert der Puck mit einem lauten Knall in die Bande oder prallt mit einem "Pling" von den Torpfosten ab. Die härtesten jemals gemessen Schüsse liegen bei mehr als 170 Kilometern pro Stunde. Während ich ihm zusehe, fällt mir wieder ein, warum ich einen Helm trage.
Ähnlich spektakulär wirkt es, als Kammerer kurz auf dem Eis zum Sprint ansetzt: Bis zu 39 Kilometer pro Stunde könne der 27-Jährige erreichen. Der Gedanke, dass sich die Profis mit solch hohen Geschwindigkeit auch gerne gegenseitig die Bande checken, sorgt bei mir kurz für Gänsehaut. Sieht von der Tribüne dann doch etwas langsamer aus als auf dem Eis.
"Wir wissen, dass alles möglich ist"
Mir reicht es, dass ich nach rund eineinhalb Stunden den Puck einigermaßen in der Bewegung führen kann, ohne das Gleichgewicht zu verlieren. Während ich müde in die Kabine trotte, sagt mir Kammerer mit einem Lächeln im Gesicht, er müsse nicht unter die Dusche. Schließlich habe er nicht geschwitzt.
Das wird bei den deutschen Profis während der Weltmeisterschaft in Tschechien wohl anders sein. Dort ist das DEB-Team für Kammerer nach dem WM-Silber im vergangenen Jahr mittlerweile kein Außenseiter mehr: "Wir wissen, dass alles möglich ist. Mittlerweile gehören wir zu den Topnationen", sagt der Kölner selbstbewusst. Eine Sache werden er und ich bei dem Turnier aber gemeinsam haben: Wir werden das Turnier beide von der Couch aus beobachten. Kammerer musste im Vorfeld seine Teilnahme absagen, auf einen Anruf von Bundestrainer Harold Kreis warte ich noch immer.
- Eigene Recherche und Beobachtungen