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Rolf Aldag: "Bin froh, dass ich noch lebe"


Tour de France 2011
"Bin froh, dass ich noch lebe"

Von t-online
01.07.2011Lesedauer: 5 Min.

Das Interview führte Björn Lücker

Rolf Aldag gehörte einst zu den Radprofis, die sich quälen konnten. Er war zu Zeiten von Bjarne Riis und Jan Ullrich einer der härtesten Tempofahrer, der auch gerne mal einen Alleingang wagte. Im Jahr 2007 gab der mittlerweile 42-Jährige auf einer Pressekonferenz zu, jahrelang gedopt zu haben. Dennoch blieb er dem Radsport treu und arbeitet als Sportdirektor bei HTC Columbia.

Im Interview mit t-online.de spricht Aldag über die Strapazen im Teamwagen, die Tour-Chancen von Tony Martin und die Planungen für die nächste Saison.

t-online.de: Herr Aldag, Sie sind nun schon seit einigen Jahren als Sportlicher Leiter in Profi-Radsport dabei. Was ist eigentlich härter: Die Tour de France im Rennsattel oder im Teamwagen?

Rolf Aldag: Das ist eine ganz unterschiedliche Situation: Wenn draußen die Sonne scheint bei 20 Grad und die Fahrer erst einmal dahin rollen und die Landschaft genießen können, dann ist es schon schwer zu akzeptieren, dass man sieben Stunden im Auto sitzt und einem der Rücken weh tut. Wenn dann aber im Hochgebirge die Quälerei beginnt, denkt man sich schon manchmal: Das brauche ich jetzt nicht mehr.

Sie sagen es: Sieben Stunden im Auto, ständiges Stop and Go oder aber gewagte Überholmanöver auf engen Passstraßen. Es hieß einmal, dass Sie Beginn ihrer Karriere als Sportlicher Leiter immer eine Tüte im Teamwagen dabei hatten, falls sie sich übergeben müssen.

Um Gottes Willen, nein (lacht)! Natürlich geht es rasant zur Sache. Ich bin eher froh, dass ich nach diversen Abfahrten noch lebe. Ich ertappe mich immer wieder selbst, wie ich mich an den Haltegriff oben rechts neben dem Beifahrersitz klammere. Aber wirklich schlecht ist mir noch nicht geworden. Es sei denn, man muss viel im Rennbuch lesen. Da ist man schon gefährdeter.

Und wie sieht es mit der Anspannung aus. Die Sportlichen Leiter sind ja meistens aufgeregter als die Fahrer selbst.

Ich muss mich da schon manchmal kontrollieren, um nicht ständig über Funk zu reden. Wichtig ist - vor allem in brenzligen Situationen - den Jungs die Ruhe und das Vertrauen zu geben. Es wäre fatal, selber so zu wirken, als würde man sich gleich auflösen. Im Etappenfinale ist die Anspannung dann aber sehr hoch. Wir Sportlichen Leiter können die Aufregung eben nicht so abbauen, wie die Rennfahrer, die ihre Herzfrequenz auf 180 drehen.

Nun geht’s wieder los. Tony Martin ist der Mann für das Gesamtklassement in ihrem Team. Trauen Sie ihm einen Top-Ten-Platz zu?

Das ist das erklärte Ziel und die logische Konsequenz aus den vergangenen zwei Jahren. Bei seiner Premiere ist er mit seinen zwölf Tagen im Weißen Trikot ins Rampenlicht gefahren. Bei der letzten Tour folgte dann die Ernüchterung, weil die Erwartung und der Druck schon sehr groß waren. Viele Leute haben unmögliche Leistungen von ihm erwartet. Daraus hat Tony viel gelernt, er ist routinierter geworden, was sich mit dem Sieg bei Paris-Nizza widergespiegelt hat. Da hat er bewiesen, dass er Verantwortung übernehmen kann.

Das hört sich so an, als wenn Sie von ihm nun den Durchbruch als Klassementfahrer erwarten?

Wir hoffen es, wissen aber auch, dass so viel auf dem Weg nach Paris passieren kann. Für einen Top-Ten-Platz muss einfach alles passen. Wir werden von Tony keine offensive und spektakuläre Fahrweise sehen. Das entspricht nicht seinem Typ Rennfahrer. Er muss seinen Rhythmus fahren und schauen, dass er so lange wie möglich vorne dran bleibt. Nach hinten heraus wird er dann von seinen Zeitfahrqualitäten profitieren.

Ist das Gelbe Trikot ein Thema?

Da träumen doch alle von! Eine realistische Chance haben wir aber wohl nur zu Beginn der Tour. Der Schlüssel hierfür liegt im Mannschaftszeitfahren auf der zweiten Etappe, in das wir hochkonzentriert hinein gehen werden. Wer hier gewinnt, hat auch das Gelbe Trikot - und zwar bis zur achten Etappe. Auch Tony kann dann in Gelb fahren. Die wellige vierte Etappe zur Mur de Bretagne liegt den Sprintern nicht. Da könnte seine Stunde schlagen.

Apropos Sprinter: Mark Cavendish soll für Etappensiege sorgen. Trumpft er ähnlich stark auf wie in den vergangenen zwei Jahren?

Davon gehe ich aus. Mark kann sich sehr gut auf den Punkt konzentrieren und fokussieren. Von 16 Massensprints in den vergangenen drei Tour-Jahren hat er 15 gewonnen - das sagt eigentlich alles. Für flache Ankünfte ist er der absolute Topfavorit. Das Problem ist nur: Die ASO hat die Finals der Etappen diesmal meist semischwer gemacht haben. Das heißt: Die reinen Sprinter fahren am Limit und für die Teams wird es noch schwerer, das Feld zu kontrollieren. Taktisch wird die Tour diesmal eine hochinteressante Angelegenheit.

Sie suchen für die nächste Saison einen neuen Hauptsponsor. Spüren sie dadurch mehr Druck, Erfolge einfahren zu müssen?

Nein, eigentlich nicht. Natürlich wollen wir so schnell wie möglich Planungssicherheit haben. Aber für die Fahrer ist das primär egal. Die trainieren acht Monate im Jahr auf das Ziel, bei der Tour de France erfolgreich zu sein. Da steht der Sport klar im Vordergrund. Es spielt keine Rolle, ob sie noch einen Vertrag für das kommende Jahr haben oder nicht.

Doch es kursieren Gerüchte, dass das Team Sky Cavendish verpflichten will. Und seine Anfahrer Bernhard Eisel und Mark Renshaw sollen auch auf der Einkaufsliste stehen.

Wer mit wem in Verbindung gebracht wird, ist mir derzeit egal. Wichtig ist jetzt, eine gute Tour zu fahren und das zu machen, was wir die vergangenen fünf Jahre gemacht haben. Das siegreichste Team und die Nummer eins in der Welt zu sein Und dann werden wir - wenn wir die Planungssicherheit haben - über Verträge reden. Ich bin sicher, dass wir auch in der nächsten Saison eine schlagkräftige Truppe haben. Wir wollen uns aber nicht von Individualisten abhängig machen. Wir waren immer stark darin, junge, hungrige Fahrer zu entdecken und zu entwickeln. Bestes Beispiel ist zurzeit John Degenkolb: Einige meiner Kollegen haben mich schon gefragt: "Wo habt ihr den denn schon wieder hergeholt?“

Kommen wir noch mal zur diesjährigen Tour. Wie schätzen Sie die Überquerung der Passage du Gois zu Beginn der Tour ein? Immerhin spielten sich hier 1999 Dramen ab, als einige Favoriten auf der glitschigen Straße an der Atlantikküste stürzten und viel Zeit einbüßten.

Ich erinnere mich noch gut daran. Ich konnte die Tour wegen eines Armbruchs nicht fahren und habe die Etappe während meiner Reha im Fernsehen verfolgt. Es war absolut surreal, wie die Fahrer Reihenweise vom Rad fielen. Da habe ich mir schon gedacht: Für irgendetwas muss der Armbruch ja gut sein. Vor allem Alex Zülle traf es hart. Wäre er durchgekommen, wäre die Tour richtig spannend geworden. So brauchte Lance Armstrong seinen Vorsprung nur zu verwalten. Aber so etwas passiert diesmal sicher nicht.

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Warum?

Der große Unterschied liegt darin, dass die Straße damals gegen Ende der Etappe gefahren wurde, diesmal aber zu Beginn. Ich denke, dass sich die Fahrer per Twitter, SMS oder E-Mail untereinander absprechen, da geschlossen ganz relaxt herüber zu fahren. Es gibt überhaupt keinen Grund, gleich zu Beginn alles aufs Spiel zu setzen und eine schlimme Verletzung zu riskieren.

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