Radsport Tour de France 2020: Mit Verlegung, ohne Zuschauer?
Frankfurt/Main (dpa) - Am Osterwochenende hätten John Degenkolb, Nils Politt und Co. eigentlich überhaupt keine Zeit gehabt, über die Tour de France nachzudenken.
Doch wegen der Coronavirus-Pandemie ist der für Ostersonntag angesetzte Frühjahrsklassiker Paris-Roubaix längst auf unbestimmte Zeit verschoben - genauso wie alle anderen Rennen bis zum 1. Juni und damit auch der Giro d'Italia, der im Mai in Budapest hätte beginnen sollen. Und die Tour de France, die 2020 vom 27. Juni bis 19. Juli stattfinden soll? Dort ist bislang weder eine Verlegung noch eine Absage beschlossen, auch wenn das Szenario einer normalen Tour von Woche zu Woche unrealistischer scheint.
John Degenkolb, Tour-Etappensieger und früherer Paris-Roubaix-Sieger, hat sich nun selbst Gedanken über die Austragung der diesjährigen Frankreich-Rundfahrt gemacht. Auf die Frage, ob Geisterrennen bei der Tour realistisch seien, antwortete der 31-Jährige bei "t-online.de" (Sonntag): "Ja, klar. Auch wenn die Fans an der Strecke natürlich das Salz in der Suppe sind – wenn es die Situation nicht anders zulässt, ist das eine realistische Option. Bei Paris-Nizza hat man zum Teil schon gesehen, wie das funktionieren kann."
Ähnlich sieht es Politt, für den eine Frankreich-Rundfahrt ohne Zuschauer "besser wäre, als gar keine Tour de France". Dies sagte der 26 Jahre alte Kölner dem "Deutschlandfunk". "Für alle Radsportteams wäre es sehr, sehr wichtig, wenn die Tour stattfinden würde – gerade auch für die Sponsoren", äußerte der letztjährige Paris-Roubaix-Zweite und ergänzte: "Und dort hat die Tour dann auch einen gewissen Vorrang gegenüber den anderen Veranstaltungen."
Dass der derzeitige Tour-Zeitplan mit Start in Nizza für Ende Juni haltbar ist, kann sich Degenkolb nach der Absage aller Rennen in den kommenden sieben Wochen nicht vorstellen. Er wisse "natürlich auch, dass die Chance schwindend gering ist, dass die Tour de France wie geplant starten wird. Ich wünsche mir aber, dass dann ein späterer Termin gefunden werden kann", sagte "Dege". Dass die Organisatoren derzeit noch mit einer Verschiebung oder gar einer Absage zögern, findet Degenkolb dennoch richtig, "denn der Radsport ist nun einmal zum Großteil von der Tour abhängig".
Während bei Olympia und Fußball-EM eine Verschiebung um ein Jahr schnell beschlossen wurde und Wimbledon aufgrund einer Versicherung wegen Pandemien die Absage etwas leichter fiel, ist die Tour das letzte ganz große Sportevent dieses Sommers, das nach derzeitigem Stand noch stattfinden soll. Tour-Boss Christian Prudhomme hatte Degenkolbs Vorschlag einer Geistertour aber bereits eine Absage erteilt. Offiziell haben sich die Veranstalter Zeit bis zum 15. Mai erbeten, um über das weitere Vorgehen in der Corona-Krise zu beraten.
Für die Teams ist die Tour existenziell, hängen doch die mit Abstand meisten Sponsorengelder am größten Radrennen der Welt. Demzufolge wäre auch dem deutschen Vorzeigerennstall Bora-hansgrohe eine Verschiebung auf den späteren Sommer wesentlich lieber als eine drohende Absage. Bora-Sportdirektor Enrico Poitschke sagte dem Portal "radsport-news.com" dazu: "Wichtig für den gesamten Radsport ist, dass die Tour stattfindet und dass wir wieder Rennen fahren können. Wann, ist uns eigentlich, ich will nicht sagen egal, aber der Zeitpunkt selbst ist nebensächlich."