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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Herrmann holt Biathlon-Gold Erst bekam sie "auf die Fresse" – nun teilt sie aus
Die bisherige Saison? Eher enttäuschend. Die Generalprobe? Schwach. Denise Herrmann reiste unter schlechten Vorzeichen zu Olympia. Doch ihre Topleistung im Einzel hat Gründe.
Ziemlich genau 17 Sekunden lag Denise Herrmann vornüber im Schnee. Überwältigt von der Erschöpfung. Komplett platt. In der knappen Dreiviertelstunde zuvor hatte sich die 33-Jährige auf der Biathlon-Anlage von Zhangjiakou völlig verausgabt. Die Belohnung: olympisches Gold.
Dafür war die mittlerweile in Ruhpolding wohnhafte Sächsin im Einzelrennen über 15 Kilometer bis an die Schmerzgrenze gegangen – und darüber hinaus. Das hatte sie allerdings jäh vergessen: "Dass ich das heute geschafft habe, macht mich unglaublich stolz und glücklich. Mir fehlen die Worte", sagte die von der Situation überwältigte Herrmann nach dem Rennen am ZDF-Mikrofon.
Kurz danach fiel sie den DSV-Betreuern an der Strecke in die Arme und fing hemmungslos an zu weinen. Der ganze Druck, die ganze Anspannung der vorherigen Stunden und Tage – ja eigentlich sogar der ganzen Saison – fiel plötzlich von ihr ab.
"Ich habe dieses Jahr ordentlich auf die Fresse bekommen"
Herrmann hatte sich früh dafür entschieden, die Saison auf die Olympischen Spiele auszurichten. So wirklich klappte das aber lange nicht. Bei der Generalprobe vor gut zwei Wochen in Antholz landete sie auf einem schwachen 23. Platz und auch sonst verlief die Saison eher mau. Entsprechend nahm sie nach dem Sieg kein Blatt vor den Mund: "Ich habe dieses Jahr ordentlich auf die Fresse bekommen, aber ich wusste, dass ich es kann."
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Nach Antholz hatte sich die 33-Jährige ins Höhentrainingslager zurückgezogen, um sich an die Bedingungen in Zhangjiakou – die olympische Biathlonanlage liegt auf etwa 1.700 Metern – zu gewöhnen. Damit lag sie offenbar goldrichtig, denn in der Loipe spielte die ehemalige Langläuferin ihre Stärke aus.
Das beflügelte Herrmann auch beim Schießen, ihrer Achillesferse. "Ich habe mich gut gefühlt. Dass ich schießen kann, wusste ich auch", verriet Herrmann, die 19 von 20 Schüssen ins Ziel setzte. Das war im Einzel, in dem jeder Fehlschuss direkt eine Strafminute nach sich zieht, die Basis für den Gold-Coup.
Dabei bewies sie besonders im letzten Schießen Nervenstärke: Während die Konkurrentinnen Anais Chevalier-Bouchet (2. Platz) und Marte Olsbu Roeiseland (3.) jeweils einen Fehler schossen, setzte Herrmann alles auf eine Karte – und traf ihre fünf Versuche direkt hintereinander. Eine Schusseinlage, die in die deutsche Biathlon-Geschichte eingehen könnte.
Dafür gab es ein Extralob von Laura Dahlmeier, die 2018 in Pyeongchang als letzte deutsche Biathletin Gold holte. "Beim letzten Schießen entscheidet es sich, ob du eine Medaille gewinnst oder nicht – und da ist sie cool geblieben."
Herrmann schreibt Geschichte
Dabei kam Herrmann zugute, dass die Bedingungen mit relativ leichtem Wind und "nur" minus neun Grad Celsius wesentlich angenehmer und kalkulierbarer waren als in den vergangenen Tagen.
"Ich bin sehr begeistert, das hat sich nicht angedeutet. Wir haben aber im Saisonverlauf immer auf die Mädels vertraut", frohlockte Frauen-Bundestrainer Florian Steirer. Denn mit Vanesa Voigt als Vierte wäre fast noch eine weitere Deutsche auf dem Podium gelandet.
Mit ihrer Medaille ist Herrmann nach Susi Erdmann (Bob, Rodeln) die erst zweite deutsche Athletin, die in zwei unterschiedlichen Wintersportarten eine Medaille gewann. Daran dürfte die 33-Jährige, als sie nach dem Zieleinlauf erschöpft mit dem Kopf im Schnee lag, aber sicher noch nicht gedacht haben.
- Eigene Beobachtungen vor Ort