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Etappenjäger Lennard Kämna: Das ist die neue deutsche Tour-Hoffnung


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Deutsche Überraschung beim Giro
"Habe Leben falsch gelebt"– die Wandlung des Lennard Kämna


Aktualisiert am 26.05.2023Lesedauer: 4 Min.
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Lennard Kämna: Der 26-Jährige liegt nach 18 von 21 Giro-Etappen auf Platz sechs – mit 4:27 Minuten Rückstand auf den Briten Geraint Thomas. (Quelle: IMAGO/Fabio Ferrari/LaPresse)

Lennard Kämna hat sich in Windeseile vom Etappenjäger zum Rundfahrer entwickelt. Beim Giro d’Italia überrascht er auf ganzer Linie – und weckt Hoffnungen für die Tour.

Verbales Spektakel ist nicht die Sache von Lennard Kämna. Obwohl er beim Giro d’Italia seit zweieinhalb Wochen für Furore sorgt, neigt der aus der Nähe von Bremen stammende Radprofi nicht zu Euphoriebekundungen. Eher im Gegenteil.

Einmal entschuldigte er sich dafür, dass seine Darbietung auf dem Rad "ein wenig langweilig aussah"; ein anderes Mal gab er vor, gar nicht erst damit anfangen zu wollen, "Träume zu jagen, die ich selbst gar nicht habe". Doch entgegen derartigen Aussagen ist Kämna Spektakel gegenüber gar nicht abgeneigt – allerdings vornehmlich, wenn er im Sattel sitzt.

Vom Etappenjäger zum Rundfahrer

Denn dort hatte Offensive für ihn lange oberste Priorität. Bei der Tour de France 2020 fuhr sich Kämna dank seiner angriffslustigen Fahrweise in zahlreiche Ausreißergruppen und in die Herzen vieler Fans. Er gewann sogar eine Etappe.

Drei Jahre später hat sich der Fahrstil des 26-Jährigen vom deutschen Team Bora-hansgrohe grundlegend verändert. Vor der Saison erkundigte sich Kämna bei seinem Chef Ralph Denk, ob er es einmal mit dem Gesamtklassement bei einer großen Rundfahrt probieren könnte. Denk fand die Idee gut – und machte Kämna hinter dem Russen Alexander Wlassow zum Co-Kapitän bei der Italienrundfahrt. Ohne übermäßige Erwartungen zu schüren.

Nach Aufgabe von Teamkollege im Rampenlicht

Was sich allerdings seit dem 6. Mai ereignet, überrascht selbst langjährige Beobachter der Szene: Nachdem Wlassow krankheitsbedingt aufgeben musste, rückte Kämna beim Giro in die erste Reihe – und hat die beste deutsche Gesamtplatzierung bei einer großen Rundfahrt seit Emmanuel Buchmanns überraschendem vierten Platz bei der Tour de France 2019 fest im Blick.

"Er hinterlässt bisher einen super Eindruck. Es ist ja das erste Mal, dass er auf Gesamtwertung fährt, und man fragt sich, warum er das nicht schon früher gemacht hat", sagt Fabian Wegmann zu t-online – und schmunzelt dabei. Wegmann ist einer, der es wissen muss. Als Aktiver gewann er 2004 als bisher einziger Deutscher das Bergtrikot des Giro; mittlerweile organisiert er deutsche Radsport-Highlights wie die Deutschland Tour oder Eschborn–Frankfurt.

Wegmann über Kämna: "Extrem clever und zurückhaltend"

"Lennard fährt wirklich am Optimum, extrem clever und zurückhaltend – nicht so wie zuvor als Etappenjäger, als er ständig auf Attacken gegangen ist", analysiert Wegmann: "Er hat bisher alles richtig gemacht und sein Team passt extrem gut auf, dass er gesund bleibt."

Der Zusatz am Ende mag auf den ersten Blick naheliegend erscheinen, bei dieser Italienrundfahrt ist er allerdings von immenser Bedeutung. Zahlreiche Favoriten sind vor der drittletzten Etappe am Freitag bereits krankheitsbedingt ausgestiegen – allen voran Superstar Remco Evenepoel, der in seiner belgischen Heimat als legitimer Nachfolger von Jahrhundertfahrer Eddy Merckx gilt.

In solche Sphären wähnte sich der bodenständige Kämna zwar nie, doch auch er galt früh als außergewöhnliches Talent – zumindest in Deutschland. Kein neuer Jan Ullrich, aber immerhin einer, der in der Weltspitze irgendwann ein gehöriges Wörtchen mitreden könnte.

Nach WM- und EM-Titeln im Zeitfahren der Junioren wechselte der 1,81 Meter große Blondschopf noch als Teenager ins Profilager und heuerte beim Team Stölting an. Dort fuhr er zusammen mit Fabian Wegmann, der sich damals im Herbst seiner Profikarriere befand. Schon damals fiel Wegmann der junge Teamkollege auf: "Von den körperlichen Voraussetzungen war Kämna schon mit 20 so weit – vielleicht nicht für die Top 10, aber das Potenzial hat man da schon deutlich gesehen", erklärt Wegmann im Hinblick auf Kämnas aktuellen Giro-Höhenflug.

Ehrgeiziger Jungprofi mit Zeitfahrqualitäten

Doch der ehrgeizige Kämna übertreibt es mitunter: "Er ist sehr früh Profi geworden und hat schon in jungen Jahren sehr viel trainiert, sehr große Umfänge auch – das könnte vielleicht etwas zu viel gewesen sein", vermutet Wegmann. Seinen Weg ging der sowohl am Berg als auch im Zeitfahren auffällige Jungprofi vorerst unbeirrt weiter.

2017 wechselte er mit 20 Jahren zum Team Sunweb und wurde zum bis dahin jüngsten Fahrer der UCI WorldTour, einer Art Champions League des Profiradsports. Im selben Jahr gab er sein Debüt bei der Vuelta a España, einer der drei Top-Rundfahrten neben Tour und Giro, und ließ im Zeitfahren als Achter aufhorchen.

Doch ein Jahr später geriet die Karriere des Talents ins Stocken. Kämna kam nach einigen Erkrankungen nicht in Form und sein Team verordnete ihm eine mehrwöchige Rennpause. 2021 legte der damals erst 24-Jährige erneut eine Pause ein – diesmal sogar für mehrere Monate. Grund waren mentale Probleme.

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"Ich habe die Zeit, in der ich aus meinem Tunnel als Leistungssportler rausmusste, nicht gut verkraftet", erklärte Kämna später. Ihm fehle die innere Balance. "Sobald es Schwierigkeiten gibt, habe ich Probleme, mir Befriedigung abseits des Sports zu holen. Ich habe es verpasst, mich für andere Dinge zu öffnen, andere Interessen zu entwickeln. Ich habe mein Leben falsch gelebt."

Schweres Bergzeitfahren am Samstag

Bemerkenswerte Worte für einen Mittzwanziger – dem es an Talent für seinen Sport nie gemangelt hat. Wegmann ist über die fahrerische Wandlung des 26-Jährigen daher nicht verwundert: "Lennard war schon immer ein Rundfahrer. Das Einzige, was ihm ein bisschen im Weg stand, war der Kopf", sagt der Ex-Teamkollege.

Er geht nicht davon aus, dass Kämna auf den letzten drei Etappen noch "total einbrechen" werde. "Das Podium halte ich für unrealistisch, aber zumindest der vierte Platz – wie Buchmann 2019 bei der Tour – ist nicht unmöglich", so Wegmann. Entscheidend könnten dabei Kämnas besondere Qualitäten im Kampf gegen die Uhr sein. Am Samstag wartet bei der zweitletzten Etappe nämlich ein knüppelhartes Bergzeitfahren mit bis zu 22 Prozent Steigung, bevor die Rundfahrt am Sonntag in Rom ausklingt.

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"Wenn Lennard das nach Hause bringt, wird er einen ganz enormen Schritt nach vorne machen, was das Selbstvertrauen angeht. Das bringt einen extremen Schub. Und wenn man einmal so weit vorne landet, ist die Tour der nächste Schritt – wenn das Profil passt", prognostiziert Wegmann im Hinblick auf ein Kapitänsamt beim wichtigsten Radrennen überhaupt.

Vielleicht wird sich dort ein weiterer Traum erfüllen, den Kämna gar nicht selbst hat. Ein großes Spektakel wird er darum wohl nicht machen – und wenn, dann nur auf dem Rad.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Fabian Wegmann
  • butenunbinnen.de: Bremer Radprofi Kämna: "Mein Tour-Aus war super-ärgerlich"
  • rad-net.de: Radprofi Kämna nach Pause: "Habe mein Leben falsch gelebt"
  • radsport-news.com: Lullt Thomas Roglic und Almeida zum Geburtstag ein?
  • cyclingmagazine.de: Vorschau auf den Giro d’Italia 2023 mit Dan Lorang #Giro (Podcast)
  • procyclingstats.com: Teamprofil von Bora-hansgrohe
  • giroditalia.it: CLASSIFICATIONS
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