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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Junges DHB-Team nach EM-Aus Ganz nah an etwas Großem
Gegen Topfavorit Dänemark musste sich das DHB-Team im EM-Halbfinale geschlagen geben. Doch eine kämpferische Leistung zeigt den Weg in eine vielversprechende Zukunft.
Am Ende musste Nikolaj Jacobsen kräftig durchschnaufen. "Es war ein unglaublich hartes Spiel für uns", brachte der Erfolgstrainer der dänischen Nationalmannschaft nach dem 29:26-Erfolg über die deutschen Gastgeber im Halbfinale der Handball-EM erst mal nur heraus – und in seinem Gesicht war abzulesen, dass er das auch so meinte.
Zuvor hatte eine tapfer kämpfende deutsche Nationalmannschaft vor einem frenetisch jubelnden Publikum in der ausverkauften Kölner Lanxess Arena den Dänen alles abverlangt. Jenen Dänen, die die letzten drei Weltmeisterschaften für sich entscheiden konnten und den Welt-Handball seit Jahren dominieren. Auch wenn es am Ende nicht für den Finaleinzug reichte, dürften die deutschen Handball-Fans Hoffnung gefasst haben. Denn die Leistung gegen Dänemark machte deutlich, was künftig alles in dieser Mannschaft stecken könnte.
Erste Hälfte lässt auf Wunder hoffen
Speziell in der ersten Halbzeit schien das Wunder zum Greifen nahe. Eine aggressive deutsche Defensive stellte die Dänen vor große Probleme und ein erneut guter Torwart Andreas Wolff parierte vieles von dem, was doch noch durchkam. "Zu Beginn der ersten Halbzeit hatten wir wirkliche Probleme mit der deutschen Defensive", analysierte auch Jacobsen. "Wir konnten unsere Eins-gegen-eins-Duelle nicht gewinnen. Sie standen wirklich gut", so der Dänen-Coach. Gleichzeitig fand auch die deutsche Offensive immer wieder Lücken und ließ sich selbst von Weltklasse-Torhüter Niklas Landin nicht beeindrucken. Eine 14:12-Halbzeitführung war die Folge.
Doch in der zweiten Hälfte spielten die Dänen ihre ganze Erfahrung und Qualität aus. Sie wendeten einen taktischen Kniff an und spielten viel Sieben-gegen-Sechs. Dabei handelt es sich um eine Angriffsformation, bei der der Torwart das Feld verlässt und ein zusätzlicher Feldspieler hereinkommt. Die Taktik hat ihre Risiken, da ein Ballverlust zu einfachen Gegentoren führen kann. Doch Dänemark spielte es fehlerlos. Mit dem zusätzlichen Mann verhinderten die Dänen, dass die Deutschen weiter so aggressiv draufgehen konnten.
"Weiß nicht, ob sie überhaupt einen Fehler gemacht haben"
"Die Dänen waren wieder unfassbar effektiv mit ihrem Sieben-gegen-Sechs", zeigte sich Julian Köster nach dem Spiel beeindruckt. "Ich weiß gar nicht, ob sie da überhaupt mal einen Fehler gemacht haben." Und auch Lukas Mertens sah in dem Taktik-Kniff den Schlüssel: "Ich bin der Meinung, dass es tatsächlich an dem siebten Feldspieler lag in der zweiten Halbzeit", sagte er. "Das haben die Dänen wirklich perfekt gespielt, punktgenau."
Dänen-Trainer Jacobsen war der Meinung, dass das Sieben-gegen-Sechs dabei geholfen habe, das Spiel zu beruhigen. "Wir haben die Aggressivität aus der deutschen Defensive genommen", sagte er. Danach habe das Team auch beim Sechs-gegen-Sechs nicht mehr die gleiche Aggressivität gefunden.
Torwart-Wechsel zahlt sich aus
Ein zweiter entscheidender Faktor: In der zweiten Hälfte brachten die Dänen Emil Nielsen für Niklas Landin ins Tor – und der Neue zwischen den Pfosten erwischte einen herausragenden Tag. Insgesamt 42 Prozent der deutschen Würfe konnte er entschärfen und hatte somit wesentlichen Anteil an dem Sieg.
"Es gab eine kleine Phase in der zweiten Halbzeit, wo wir zu viele Bälle wegwerfen oder zu oft am Torhüter scheitern", sagte etwa Jannik Kohlbacher. "Das hat uns am Ende das Genick gebrochen." Die acht Paraden von Nielsen seien einfach "einen Tick zu hoch."
Auch Gíslason analysierte: "Was das Spiel verändert hat, war, dass, nachdem Landin in der ersten Halbzeit schon gut war, Nielsen hereinkam und einen großartigen Tag hatte." Der Wechsel zeigte auch die Qualität über die ganze Breite des dänischen Kaders. "Sie sind beide Weltklasse", bescheinigte Gíslason den dänischen Torhütern. Mertens sagte nur beeindruckt: "Sie konnten Landin auswechseln, das sagt schon alles."
Stolz und Enttäuschung
Angesichts dieser Übermacht mischte sich bei Spielern und Trainer auch Stolz in die Enttäuschung. So beschrieb Köster die Enttäuschung zwar als "riesig", sagte aber auch: "Es war klar, dass wir heute einen Sahnetag hätten erwischen müssen und dass Dänemark der große Favorit war. Ich finde, wir machen hier einen unglaublich starken Kampf, gehen sogar mit einer Führung in die Halbzeit und sind nahe dran, hier etwas Großes zu schaffen."
Mertens sagte: "Ich bin stolz auf das Team, stolz auf uns. Ich hoffe, wir haben Werbung für den deutschen Handball gemacht." Und auch Gíslason sagte, er sei "sehr stolz" auf sein Team. "Alle Spieler haben ihr Bestes gegeben, um so lange wie möglich in der Partie zu bleiben", so der Bundestrainer weiter. Dass sie enttäuscht seien, zeige nur die Mentalität der Mannschaft, die auch immer besser werde. "Wenn sie sich die Leistung aber anschauen, dann werden sie merken, dass sie ein sehr besonderes Spiel geliefert haben und da kann die Mannschaft Selbstvertrauen mitnehmen", so Gíslason.
Eine junge Mannschaft
Die Topleistung dürfte auch Selbstvertrauen geben, da der Großteil der deutschen Mannschaft noch am Anfang ihrer Karrieren steht. Gíslason hatte ohnehin schon einen jungen Kader für die EM nominiert. Nach dem Ausfall von Patrick Groetzki im letzten Testspiel und der Abreise von Kai Häfner aus privaten Gründen vor dem Dänemark-Spiel, musste die deutsche Mannschaft abgesehen von Wolff fast gänzlich ohne wirklich erfahrene Spieler auskommen. Sogar Leistungsträger wie Kapitän Johannes Golla (26 Jahre), Spielmacher Juri Knorr und Abwehrbollwerk Julian Köster (beide 23) haben den Zenit ihrer Karriere wohl noch vor sich.
Hinzu kommen jüngere Spieler mit noch viel weniger Erfahrung. So feierte der 22-jährige Martin Hanne erst in den Testspielen vor der EM sein Nationalmannschaftsdebüt. Auch die U21-Weltmeister David Späth, Nils Lichtlein, Justus Fischer und Renars Uscins haben erst eine Handvoll Länderspiel vorzuweisen. Viele von ihnen konnten trotzdem überzeugen. Dabei zeigte speziell Uscins im wichtigsten Spiel gegen Dänemark wohl seine beste Turnierleistung mit fünf Treffern und vier Assists.
Es geht noch um Olympia
"Wir haben sehr viele unerfahrene Leute, die hier ein Riesenspiel bringen", stellte auch Gíslason fest. Er ist der Überzeugung, dass die Mannschaft an der Erfahrung nur wachsen werde. "Diese Spiele sind unglaublich wichtig für uns." Schon das Spiel gegen Ungarn, bei dem die deutsche Mannschaft eine starke Antwort auf das enttäuschende Unentschieden gegen Österreich zeigte, sei wichtig gewesen. Nun gegen die Starspieler von Dänemark, die sie "eigentlich nur vor dem Fernseher gesehen haben", gut zu spielen, werde den Jungen "wahnsinnig viel" bringen.
Ob es mit mehr Erfahrung für die Mannschaft irgendwann tatsächlich für noch mehr als das Halbfinale reicht, wird sich zeigen. Unmittelbar hat die Mannschaft aber nun noch das Spiel um Platz drei gegen Schweden vor der Brust. Dabei kann sie die Heim-EM nicht nur mit einer Medaille krönen, sondern auch die Olympia-Qualifikation klarmachen. Denn mit Gastgeber Frankreich und Weltmeister Dänemark sind beide Finalteilnehmer bereits für die Olympischen Spiel im Sommer in Paris qualifiziert. Das bei der EM zu vergebende Ticket fällt somit an den Drittplatzierten.
Der erste Schritt in eine vielversprechende Zukunft
"Wir sind stolz, dass wir uns noch mit einem dritten Platz belohnen können", sagte deshalb Kohlbacher. "Wir wollen nicht den gleichen Fehler machen wie 2019 und mit dem vierten Platz hier rausgehen. Die Olympia-Quali und Medaille ist das neue Ziel und ich glaube, es fällt keinem schwer, die Krone wieder aufzusetzen."
Auch Köster gab sich kampflustig: "Das ist unser letztes Spiel hier bei einer Heim-Europameisterschaft"; so der Jungstar. "Wir wollen uns noch mal richtig von den Fans verabschieden, die uns wirklich bis hierhin getragen haben. Zudem ist es ein Medaillenspiel um die Olympia-Qualifikation. Ich glaube, mehr Ansporn brauchen wir nicht." Der Schritt zu Olympia, er könnte ein erster Schritt in eine vielversprechende Zukunft werden.
- Eigene Beobachtungen
- Pressekonferenz mit Alfred Gíslason und Nikolaj Jacobsen
- Gespräche mit Spielern im Interviewbereich