Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Enttäuschung gegen Österreich "Selbst schuld"
Gegen Österreich erfuhren die Halbfinal-Träume des DHB-Teams einen Dämpfer. Schuld war vor allem die Offensive. Doch die Hoffnung bleibt.
Raunen im Minutentakt, immer wieder lang gezogene "Oooohs" und hin und wieder ein lautes "Das gibt's doch nicht!": Es waren Ausdrücke der Enttäuschung und Fassungslosigkeit, die am Samstagabend durch die Lanxess Arena von Köln hallten. Der Schock über die Leistung der deutschen Handball-Nationalmannschaft im zweiten Hauptrundenspiel gegen Österreich war in dem mit 19.750 Zuschauern erneut ausverkauften "Handball-Tempel" allgegenwärtig.
Dabei war das lange um gute Stimmung bemühte Publikum bereit, nach dem Krimi-Sieg gegen Island im ersten Hauptrundenspiel eine weitere Handball-Partie mit dem deutschen Team zu feiern. Stattdessen musste es bei dem 22:22-Remis einen Dämpfer nach dem anderen hinnehmen. Verantwortlich dafür war die deutsche Offensive, die einen rabenschwarzen Tag erwischte. Statt sich zum nächsten Wintermärchen zu jubeln, könnte das Kölner Publikum nun schon bald das Ausscheiden bei der Heim-EM betrauern.
"Dann kommt so eine Scheiße dabei raus"
An Torchancen mangelte es dem deutschen Team gegen Österreich sicherlich nicht. Ganze 45 Mal warfen die DHB-Stars auf das gegnerische Tor, darunter auch zahlreiche gut heraus gespielte freie Würfe. Doch am Ende standen trotzdem die magere Ausbeute von 22 Toren und eine desolate Erfolgsquote von 49 Prozent.
Als würden die blanken Fakten noch nicht aussagekräftig genug sein, bemühte sich ein sichtlich konsternierter Kai Häfner nach dem Spiel um ganz deutliche Worte ob der schwachen Offensivleistung. Man habe sich viele Chancen erarbeitet, nur den Ball nicht ins Tor gekriegt, so auch seine Analyse. Auch freie Würfe haben man "einen nach dem anderen" liegen gelassen. "Dann kommt insgesamt so eine Scheiße dabei raus", so Häfners klares Urteil. Torwart Andreas Wolff bemühte sich unterdessen gar fast darum, sich von der Angriffsleistung zu distanzieren: "Über den Angriff kann ich nicht viel sagen, ist nicht mein Ding. Bin ich auch ganz froh drum gerade", sagte er.
Torwart bringt Deutsche zur Verzweiflung
Auch Trainer Alfred Gíslason wollte nichts beschönigen. Durch die ungenutzten Chancen habe die Mannschaft "sich selbst immer wieder eingegraben und festgefahren". Sein Fazit: "Wir waren an unsere Misere im Angriff komplett selbst schuld."
Eine Mitschuld traf aber sicherlich auch den stark aufgelegten österreichischen Keeper Constantin Möstl. Der erst 23-Jährige spielte sich gegen die Deutschen "in einen kleinen Rausch", wie es Julian Köster ausdrückte. Mit 17 von 36 Bällen und einer Quote von 47 Prozent scheiterte fast jeder zweite Torabschluss an ihm. Gíslason bescheinigte dem Keeper eine "Weltklasseleistung ohne Ende", Österreichs Nationaltrainer Aleš Pajovič "das beste Spiel, was er je gespielt hat".
Abwehr und Wolff retten einen glücklichen Punkt
Als Ausrede wollte das von den deutschen Spielern und Verantwortlichen aber keiner gelten lassen. "Klar ist es unser Anspruch, dass wir auch gegen starke Torhüterleistungen besser abschließen als heute", sagte etwa DHB-Sportvorstand Axel Kromer. "Der Torwart war fantastisch, aber wir waren auch einfach nicht gut genug", analysierte Gíslason weiter.
Besonders ärgerlich dabei: Gerade die in den letzten Spielen so wenig in Erscheinung getretenen Außenspieler waren gegen Österreich deutlich besser integriert, beteiligten sich aber hauptsächlich an der schlechten Chancenverwertung. Rechtsaußen Timo Kastening verwandelte nur vier seiner acht Würfe und verwarf auch einen Siebenmeter. Linksaußen Lukas Mertens traf ebenfalls bei fünf Versuchen nur zweimal.
So waren sich die Deutschen schmerzlich bewusst, dass selbst der eine Punkt am Ende sehr glücklich war. Kapitän Johannes Golla sagte: "Mit der schlechten Leistung über mehr als 50 Minuten müssen wir glücklich sein mit dem Punkt." Trainer Gíslason erklärte: "Wenn wir uns das Spiel angucken, können wir mit dem Punkt sehr glücklich sein. Auch wenn wir in den letzten 15 Sekunden die Chance hatten, das Spiel zu gewinnen. Aber ich denke, das wäre sogar unfair gewesen."
Dass die Deutschen nicht mit einer deutlichen Niederlage von der Platte gingen, war einmal mehr der starken Defensive um einen mal wieder herausragenden Torwart Andreas Wolff zu verdanken. Im Verbund schickten sie auch die so wurfgewaltigen österreichischen Rückraum-Stars Mykola Bilyk und Lukas Hutecek mit schlechten Quoten nach Hause. Bilyk traf fünfmal bei zwölf Versuchen, Hutecek verwandelte nur drei seiner zwölf Abschlüsse. Mit einer Quote von 39 Prozent und drei von sechs gehaltenen Siebenmetern hatte sich speziell Wolff nach der Partie nichts vorzuwerfen.
Defensive als Hoffnungsschimmer
Genau daran versuchte sich die DHB-Auswahl auch nach dem Spiel hochzuziehen, um wieder Mut zu fassen. "Weiterhin können wir auf unsere Abwehr und unseren Torhüter bauen. Das war beides wieder durchaus ansprechend", sagte Sportvorstand Kromer. Auch Wolff sah eine Abwehr, die "gut stand".
Die Situation in der Hauptrundengruppe I ist für die Deutschen allerdings ungleich komplizierter geworden. Deutschland hat das Weiterkommen nun nicht mehr in der eigenen Hand, muss bei zwei Siegen gegen Ungarn und Kroatien auf einen Ausrutscher Österreichs gegen Frankreich oder Island hoffen, um sich doch noch als Zweiter für die Endrunde zu qualifizieren.
Der Blick geht nach vorne
Dennoch bleibt man pragmatisch bis optimistisch. An der Ausgangslage für das Team selbst habe sich nichts geändert, betonte Gíslason. Man müsse einfach beide Spiel gewinnen. Der Blick richtet sich deshalb auch bei den Spielern nach vorne: "Die Gefühlslage ist aktuell natürlich sehr schlecht, aber wir müssen gucken, dass wir da relativ schnell wieder herauskommen", sagte etwa Häfner. Jeder einzelne sei nun gefordert, denn die Mannschaft habe schon gezeigt, dass sie besser spielen kann. "Auch wenn der Punktverlust sehr teuer für uns werden kann. Es ist jetzt so und jetzt müssen wir nach vorne schauen."
Auch Köster betonte: "Es bleibt gar keine Zeit, um den Kopf in den Sand zu stecken. Das ist vielleicht ganz gut. Wir machen weiter." Mit Blick auf die kommenden Duelle gab sich Wolff kämpferisch: "Es ist in beiden Fällen eine Mannschaft, die auf Augenhöhe mit uns ist. Dementsprechend ist es möglich, wenn wir einen guten Tag haben und die Fehler von heute nicht wiederholen, dass wir diese Mannschaften auch schlagen können." Und Kromer sagte weiter: "Wir wissen, dass auch Österreich nicht zwangsläufig alle Spiele noch gewinnen wird."
Hoffnung darauf, dass Österreich tatsächlich noch einmal stolpern könnte, machte am Ende ausgerechnet deren eigener Trainer. "Die Franzosen haben gezeigt, sie sind nicht von dieser Welt", sagte Pajovič mit Blick auf das bevorstehende Duell seines Teams mit dem Rekordweltmeister und deutete eine gewisse Müdigkeit seiner Mannschaft an: "Es waren jetzt auch fünf Spiele in acht Tagen. Schauen wir mal, was passiert." Sollte es tatsächlich zu einer Niederlage der Österreicher kommen, bleibt den Fans in der Kölner Arena nur zu hoffen, dass das deutsche Team wenigstens diese Chance verwandeln wird.
- Eigene Beobachtungen vor Ort