Leichtathletik Am Scheideweg der Karriere: Kaul erlebt neuen Rückschlag
Ratingen (dpa) - Niedergeschlagen haderte Niklas Kaul nicht nur mit dem Abbruch des Zehnkampfs bei der ersten WM- und EM-Qualifikation in Ratingen, sondern auch mit der verlorenen Leichtigkeit.
"Ich möchte mal wieder freien Sport machen, Spaß an dem haben, was ich mache", klagte der 24-jährige Weltmeister. Ein eingeklemmter Nerv in der Halswirbelsäule, Kopfschmerzen und Schwindel zwangen ihn zur Aufgabe. Den abschließenden 400-Meter-Lauf beendete er nach wenigen Metern und befand: "Das ist ein Scheißgefühl."
Kaul bleibt unter seinem Leistungsvermögen
Da die Probleme schon nach den 100 Metern aufgetreten waren, die er in wenig rasanten 11,41 Sekunden rannte, blieb er auch im Weitsprung (7,03 Meter), Kugelstoßen (13,73 Meter) und Hochsprung (1,95 Meter) weit unter seinem Leistungsvermögen. "Aus gesundheitlicher Sicht war es nicht sinnvoll, über 400 Meter alles draufzuhauen, wenn man Kopf- und Halsweh hat", sagte der Ausnahmeathlet vom USC Mainz.
Dieser Rückschlag ist nach seinem überraschenden WM-Triumph 2019 in Doha mit seiner bis heute gültigen Bestleistung von 8691 Punkten nicht der erste - aber er kommt in diesem Jahr besonders ungelegen. Für die Weltmeisterschaften in Eugene/USA (15. bis 24. Juli) hat er als Titelverteidiger eine Wildcard.
Die Norm für die Heim-EM Mitte August in München von 8100 Punkten muss Kaul jedoch noch erfüllen. Dies will er unbedingt, weil sie für ihn einen "größeren Stellenwert" habe als die WM. "Die Heim-EM 2018 in Berlin war für mich mein beeindruckendstes Erlebnis", sagte er.
Um das EM-Ticket noch zu lösen gibt es zwei Möglichkeiten, von der er die erste vorzieht. "Der Blick richtet sich nach Götzis", kündigte der "Sportler des Jahres" von 2019 an und berichtete: "Es geht mir schon wieder ganz gut." Wenn es in drei Wochen beim Meeting in Österreich nicht klappen sollte, könnte er die Norm noch bei der WM erfüllen: "Sport ist leider nie ganz risikofrei. Ich mache mir aber nicht mehr Druck."
Bundestrainerin Stein sieht Kaul am Scheideweg
Davon ist Chefbundestrainerin Annett Stein nicht ganz überzeugt. Sie sieht Kaul am Scheideweg seiner Karriere. "Er muss sich beweisen", sagte sie. Nach so einer herausragenden Leistung wie beim Sieg als jüngster Zehnkampf-Weltmeister der Geschichte gehe es nicht immer so weiter. "Nun wird sich zeigen, wie Niklas Kaul damit umgehen wird und ob er den Rucksack abwerfen kann und wieder genauso leichtfüßig wie bei seinem WM-Titelgewinn zu sein", meinte Stein.
Das frühe Aus ist zunächst nur ein kleiner Rückschlag, nicht zu vergleichen mit dem Ausscheiden wegen einer Fußverletzung im Hochsprung bei den Olympischen Spielen 2021 in Tokio. Es ist aber ein Dämpfer, der an der Psyche nagen könnte. "Ich werde in ein paar Tagen wieder trainieren können, aber es ist super ärgerlich", sagte Kaul, der zudem 2020 wegen einer Ellbogenoperation keine Starts hatte.
Immerhin gewann er in Ratingen trotz des Pechs eine Gewissheit: Zur Not kann er im Hochsprung das Sprungbein wechseln. Statt mit rechts schnellte er sich mit links auf die 1,95-Meter-Höhe. "Es ist kein großes Thema. Die Umstellung habe ich in zwei, drei Trainingseinheiten gemacht", sagte Kaul zu der ungewöhnlichen Vorsichtsmaßnahme nach den Tokio-Spielen, die ihm aktuell aber nicht hilft.