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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Helmer warnt "Die Bayern müssen sich von der Lewandowski-Abhängigkeit lösen"
Am Sonntag kommt es zum Bundesliga-Topspiel. TV-Moderator Thomas Helmer spricht im Interview mit t-online.de über die Chancen der Bayern und das Problem, welches der Klub international hat.
Wochenende ist Bundesliga-Zeit. Die Bayern, Dortmund, Leipzig und weitere Vereine kämpfen um die nächsten drei Punkte im Titelrennen. Während die Dortmunder bereits am Samstag nach Leverkusen müssen, empfängt der Rekordmeister zum Abschluss des Spieltags am Sonntagabend Leipzig.
Wenige Stunden zuvor wird TV-Moderator Thomas Helmer im Sport1-Doppelpass wieder zur Gesprächsrunde laden, den Auftritt der Dortmunder vom Samstag analysieren und einen Ausblick auf das Topspiel Erster gegen Zweiter werfen.
Vorab hat der 54-jährige, ehemalige Bayern-Pofi Helmer im Interview mit t-online.de über das Topspiel gesprochen. Was das Problem der Münchner ist, welche Neuverpflichtungen er den Bayern ans Herz legt und warum er ein Comeback von Thomas Müller in der Nationalmannschaft für keine schlechte Idee hält, lesen Sie im Interview.
t-online.de: Herr Helmer, die Bayern sind zurück an der Tabellenspitze. Sind sie auf dem Weg zum Titel noch aufzuhalten?
Thomas Helmer (54): Noch ja (lacht).
Woran machen Sie das fest?
Weil für die Verfolger punktemäßig noch alles machbar ist. Aber eins ist klar: Wenn Leipzig verliert, wird es verdammt schwer mit der Meisterschaft. Die Dortmunder sind für mich tatsächlich insgesamt momentan der stärkste Konkurrent – aber die spielen in Leverkusen. Bayern kann der große Gewinner des Spieltags werden.
Wird am Ende wieder der FC Bayern Meister?
Ich hatte in dieser Saison bislang eigentlich nicht das Gefühl, dass sie klar Meister werden. Aber sie haben sich seit Rückrundenstart sehr stabilisiert. Die Bayern sind es gewohnt, auf dieser Position zu agieren und diese zu verteidigen oder auszubauen. Das ist ein Riesenvorteil.
Warum sind die Bayern so stabil?
Ich würde es nicht nur am Trainerwechsel festmachen. Die Winterpause hat ihnen definitiv ganz gutgetan. In der Hinrunde hatte ich immer das Gefühl, dass sie oft nach 60 Minuten ihre Probleme hatten. Das habe ich mittlerweile nicht mehr. Und über die individuelle Qualität brauchen wir nicht reden.
Leipzig steckt derzeit in einer kleinen Krise, sie sind seit drei Partien sieglos und haben ihren Vorsprung verspielt. Kommt der Titel für Rasenballsport zu früh?
Ich mag ihre Spielweise. Sie betreiben sehr viel Aufwand nach vorne, setzen den Gegner unter Druck. Aber wenn sie auf Mannschaften treffen, die ähnlich spielen, dann sind sie schnell entschlüsselt. Da fehlt ihnen die B-, C- oder D-Lösung und sie kommen ins Straucheln.
Dabei ist Julian Nagelsmann doch dafür bekannt, taktische Lösungen zu finden.
Das streite ich auch gar nicht ab. Ich glaube auch, dass das eng wird am Sonntag. Man denkt natürlich, dass sie gerade ihre Probleme haben, und die Bayern es machen. Das ist die große Chance für Leipzig. Sie haben nichts zu verlieren. Eine Hälfte zu schwächeln, wie in der Hinrunde, können sie sich aber nicht erlauben.
In der Liga waren die Bayern immer das Maß aller Dinge, in der Champions League flogen Sie vergangene Saison aber schon im Achtelfinale raus. Enteilt der Rest der Welt den Bayern?
Noch ist es so, dass die Bayern immer eine Chance haben. Sie haben weiterhin den Vorteil, dass die Engländer durchspielen müssen und im März und April in der heißen Phase etliche Spiele auf dem Buckel haben. Aber City und Liverpool haben auch entsprechend größere Kader. Bayern hat zu wenige Spieler. Letztes Jahr haben sie aber nur eine schlechte Halbzeit gespielt – und das hat dann gegen Liverpool das Aus bedeutet.
Trotzdem geben Vereine wie Manchester City, Liverpool oder Paris Saint Germain deutlich mehr Geld aus. Was halten Sie von einer Obergrenze für Transferausgaben oder Gehälter?
Der Gedanke ist gut, aber was die Umsetzung angeht, habe ich keinerlei Hoffnung. Dafür ist zu viel Geld und sind viel zu viele verschiedene Interessen im Spiel. Selbst wenn es eine Regelung gäbe, schauen Sie sich das Financial-Fairplay an, dann wird es immer Vereine geben, die diese umgehen werden.
Sind die Bayern dann auch in fünf Jahren noch konkurrenzfähig?
Die Zahl der internationalen Top-Spieler, die noch bei keinem Weltverein spielen, ist begrenzt. Die Aufgabe der Bayern wird es sein, diese zu verpflichten. Kai Havertz ist eine ernsthafte Option, über die die Bayern nachdenken müssen. Timo Werner auch.
Da haben sich die Bayern aber angeblich dagegen ausgesprochen, weil er nicht ins System gepasst hat.
Dann muss ich als Verein eben ein wenig anders spielen. Natürlich passt er da rein. Ein Ratschlag: Die Bayern müssen sich von der Lewandowski-Abhängigkeit lösen. Wenn er in einem Tief ist oder sich verletzt, was machen die Bayern dann? Wenn du die Champions League gewinnen willst, musst du besser besetzt sein.
Beim Gewinn der Champions League 2013 hatten die Bayern mit Mandzukic, Gomez und Pizarro sogar drei Stürmer im Kader …
Sehen Sie. Liverpool und City haben in der Offensive die Breite. Selbst Leipzig, wenn auch auf einem anderen Niveau, hat viele Möglichkeiten in der Offensive zu wechseln. Bei Bayern fehlt mir die Flexibilität. Sowohl was die Formation als auch den Kader angeht.
Sie haben Kai Havertz angesprochen. In diesem Sommer steht auch wieder ein großes Turnier an, in der Nationalelf tummeln sich die Talente. Können Sie nachvollziehen, dass Löw auf jemanden wie Thomas Müller komplett verzichtet?
Den jungen Spielern täte Thomas Müller ganz gut. Er könnte die Jungs führen, auch wenn ihm sicher kein Gefallen damit getan wäre, wenn er nur als Maskottchen in der Nationalelf agiert und auf der Bank sitzt, um die anderen Spieler bei Laune zu halten.
Mit Lukas Podolski hat das 2014 doch ganz gut funktioniert.
Das haben Sie jetzt gesagt. Viel Spaß mit den wütenden Poldi-Fans (lacht).
Podolskis ehemaliger Nationaltrainer und ihr alter Bayern-Kollege Jürgen Klinsmann ist seit Ende der Hinrunde zurück in der Bundesliga. Wie sehen Sie die Entwicklung von Hertha BSC unter ihm in den vergangenen Monaten?
Hertha BSC hat jetzt mit Lars Windhorst einen Investor im Rücken und im Winter über 75 Millionen Euro ausgegeben. Ich weiß gar nicht, ob es in der heutigen Zeit noch ohne geht, wenn man ganz oben mitspielen will. Ein Mittelweg ist immer schwierig. Die Vereine mit Investor nur zu verteufeln, finde ich aber zu kurz gedacht.
Standen Sie denn mit Jürgen Klinsmann in Kontakt?
Ich habe ihm bei seiner Rückkehr viel Glück gewünscht, aber mehr nicht. Er hat genug Schlaumeier um sich rum. Jürgen ist in seinem Weg immer sehr konsequent. Und man muss auch die andere Seite sehen: So viel Aufmerksamkeit wie jetzt hatte Hertha lange nicht. Als Hauptstadtklub mehr im Mittelpunkt zu stehen, das ist doch auch nicht so schlecht.
Der Verein erntet auch viel Kritik.
Aber ist das nicht typisch für Hertha? Dieser kritische Blick auf die graue Maus in der Liga. Dazu hat Berlin als Stadt eben auch viel anderes zu bieten. Mich stört, dass die Kritik dann zuweilen auch unsachlich wird und ins Persönliche geht.
Nochmal zurück zu Lars Windhorst: Würde es insgesamt der Liga vielleicht sogar guttun, wenn mehr Vereine diesem Modell nachgehen würden?
Lars Windhorst hält sich, so wie ich das mitbekomme, relativ im Hintergrund. Ich bin bei diesem Thema zwiegespalten. Wir alle lieben ja den sympathischen kleinen Verein von nebenan; Freiburg ist da das Paradebeispiel. Da wird großartige Arbeit gemacht und ich will nicht, dass so ein Klub dann aus der Bundesliga verschwindet.
An welche Vereine denken Sie noch?
Werder Bremen zum Beispiel. Da sind die finanziellen Mittel derzeit nicht vorhanden. Und Bremen wird in absehbarer Zeit auch nicht international spielen, kämpft diese Saison gegen den Abstieg. Eine ganz schwierige Situation.
Da ist der Ärger von Vereinen wie Bremen oder Freiburg über Hertha oder Leipzig doch nachvollziehbar.
Ja, aber ich glaube, dass die Entwicklung nicht mehr aufzuhalten ist.
Denken Sie also, dass 50+1 fallen wird?
Ist es am Ende nicht egal? Ob es offiziell fällt oder ob die Regelung umschifft wird? Wenn wir uns Vereine wie zum Beispiel Leipzig, Wolfsburg oder jetzt Hertha angucken, dann haben diese Vereine einen finanziellen Vorteil. Mit oder ohne 50+1. Aber die Fans müssen eben auch gehört und der Dialog geführt werden. Entscheidungen dürfen nicht über die Köpfe der Fans hinweg gefällt werden.