Darum ist der DFB-Kapitän so variabel Lahm-Berater Grill: "Für Philipp ist Guardiola ein Glück"
Philipp Lahm
Das Interview führte Thomas Tamberg
Herr Grill, Sie sind Berater des Kapitäns der Nationalmannschaft und derzeit wohl besten deutschen Fußballers Philipp Lahm. Würden sie es unterschreiben, dass er sich im Moment auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft befindet?
Grill: Ja, das ist mit Sicherheit so. Er ist jetzt 30 und hat zehn Jahre internationalen Fußball auf höchstem Niveau hinter sich. Er ist in seine Rolle als Mannschaftskapitän der Nationalmannschaft und des FC Bayern zu hundert Prozent reingewachsen. Er fühlt sich in dieser Rolle wohl und das sieht man natürlich auch auf dem Platz.
Obwohl die letzte Saison mit dem Triple fast nicht zu toppen ist, könnte die WM 2014 in Brasilien für Lahm das absolute Karriere-Highlight werden.
Grill: Ich würde es ungern auf diesen einen Höhepunkt zuspitzen, sondern eher die gesamte Entwicklung in der Nationalmannschaft und beim FC Bayern von 2010 bis 2014 als beeindruckenden Prozess hervorheben. Philipp ist Teil dieser beiden Mannschaften, die jetzt zu den besten Teams weltweit zählen. Um letzten Endes Titel zu gewinnen, braucht es auf diesem Niveau immer auch ein bisschen Glück. Das ist dem FC Bayern vergönnt gewesen. Ob es international auch funktioniert, wird sich zeigen. Sollte die Nationalmannschaft tatsächlich Weltmeister werden, wäre das wohl schon der absolute Höhepunkt.
Das Spiel ist in den letzten Jahren immer physischer geworden. Die Zeiten, in denen Spieler mit 35, 36 Jahren noch Top-Leistungen abrufen konnten, dürften vorbei sein. Immer jüngere, gut ausgebildete Spieler rücken nach. Bei Philipp Lahm hat man aber das Gefühl, dass er noch im hohen Fußballalter auf Topniveau spielen könnte.
Grill: Im Augenblick trifft das zu, aber ob es so bleibt, lässt sich nicht sagen. Philipp ist jetzt 30 Jahre alt. Er bestreitet jedes Jahr 40, 50 Spiele. In diesem Alter ist die Regenerationszeit auch bei topfitten Spielern bereits länger. Man ist dann vielleicht auch mal im Kopf müde. Das lässt sich alles nicht mit Sicherheit voraussehen. Bis 36 könnte Philipp mit Sicherheit spielen. Die Frage ist nur, auf welchem Niveau. Ich glaube, es ist ratsam und sinnvoll, das ab einem gewissen Alter von Jahr zu Jahr zu entscheiden.
Philipp Lahm macht derzeit als defensiver Mittelfeldspieler Furore. Diese Rolle ist ihm aber gar nicht so fremd gewesen. Er hat dort bereits in der Jugend gespielt.
Grill: Das ist nicht ganz richtig. In der E-Jugend hat Philipp bei einem kleinen Verein gespielt. Dort wurde er als stärkster Spieler, wie allgemein üblich, zentral eingesetzt. Diese Position ist aber wohl treffender als Mittelpunkt des Geschehens und weniger als tatsächliche zentrale Position im Mittelfeld zu charakterisieren. Nach seinem Wechsel zum FC Bayern, hat er zwar auch zunächst in der Zentralen begonnen, aber man hat dann schnell die rechte offensive Außenbahn für ihn entdeckt, wo er eigentlich bis zur U17 gespielt hat. Erst in der U19 unter Kurt Niedermayer ist Philipp zentral ins defensive Mittelfeld gewandert.
Dort blieb er aber nicht lange, oder?
Grill: Philipp war im Herrenbereich seiner Zeit schon weit voraus. Aber für die Trainer, die damals mit ihm gearbeitet haben, war es nicht vorstellbar, dass ein schmächtiger und kleiner Spieler die Aufgaben eines defensiven Mittelfeldspielers übernehmen kann. Da sie aber von seinen herausragende Fähigkeiten überzeugt waren, haben sie eine andere Position für ihn gesucht, die mit ihren Vorstellungen von den körperlichen Voraussetzungen übereingestimmt haben. Bei den Bayern-Amateuren war das zunächst die rechte Verteidigerposition.
In Stuttgart spielte er dann schnell auf der linken Verteidigerposition.
Grill: Richtig. Es gibt wenig Spieler mit einem starken linken Fuß. Philipp ist praktisch beidbeinig und konnte deshalb auch auf der anderen Seite eingesetzt werden. Aber die Fähigkeit, die Persönlichkeit und die Spielintelligenz die Position im zentralen Mittelfeld zu spielen, hatte er schon immer. Was sich entwickeln musste, war die Bereitschaft der Trainer, einen körperlich kleineren Spieler auf dieser Position einzusetzen. Dass Pep Guardiola den Fußball so interpretiert und er Philipp ins Zentrum des Spiels nimmt, ist für Philipp natürlich ein Geschenk.
Ist die neue Herausforderung noch einmal ein zusätzlicher Motivationsschub für Philipp Lahm?
Grill: Er hat bereits in den letzten vier Jahren auf Topniveau gespielt. Aber zentral wird das noch stärker wahrgenommen, da in der öffentlichen Denkweise ein Zentrumspieler in der Hierarchie über einem Außenbahnspieler gesehen wird. Für Philipp ist es aktuell sicherlich ein Geschenk, weil er in dieser Rolle nochmal neue Muster entwickeln muss. Er hat einen zusätzlichen Anreiz. Blickt man auf seinen Werdegang, gibt es für ihn nicht viel Schöneres, als in seinen letzten Karrierejahren noch einmal auf einer neuen Position zu spielen und eine neue Herausforderung anzunehmen.
Im Prinzip schließt sich da ein Kreis. Er hat im Mittelfeld angefangen über Außenbahn, und jetzt zum Karriereende wieder im Zentrum. Er profitiert von all den Erfahrungen, die er im Laufe der Jahre sammeln konnte.
Grill: Genau so kann man es sagen. Er hat in der U19, wo eigentlich schon Herrenfußball gespielt wird, diese Position gespielt und sie hervorragend ausgefüllt. Damals ist er zweimal deutscher Meister geworden. Und jetzt hat er diese Position wieder.
Ist Guardiola ein Glück für Bayern und für Philipp Lahm?
Grill: Ich denke, für Philipp ist Guardiola ein Glück, weil er sich sehr gut mit ihm austauschen kann. Guardiola hat ja diesen Satz gesagt, dass Philipp der intelligenteste Spieler sei, den er je trainiert hat. Er scheint also Philipps Kompetenzen sehr zu schätzen. Und jeder Angestellte wünscht sich doch, dass er von seinem Chef geschätzt wird und dass er erkennt, was für Fähigkeiten der Mitarbeiter hat.
Ist Guardiola derzeit der führende Trainer in der Welt?
Grill: Aus meiner Sicht verbindet er Fußballsachverstand mit einer Art zu führen, die ihn zu einem herausragenden Trainer macht. Wenn ich mir das Urteil überhaupt erlauben darf.
Mit Julian Green steht schon Ihr nächster Schützling in den Startlöchern, der zum großen Wurf ausholen könnte. Welche Qualitäten hat der junge Mann?
Grill: Er ist ein extrem talentierter Stürmer, der einen enormen Instinkt hat für dieses Spiel und einen ausgeprägten Torriecher hat. Er bringt alles mit. Er ist schnell, er ist technisch stark und kann sehr variabel spielen, was heutzutage von einem modernen Angreifer gefordert wird. Er kann auf der Außenbahn spielen, er kann aber auch im Zentrum spielen. Er attackiert auch sehr gut gegen den Ball. All das macht ihn sehr interessant.
So interessant, dass er bald in die US-Nationalmannschaft berufen wird?
Grill: Sobald er beim FC Bayern in der ersten Mannschaft in Vorbereitungsspielen zum Einsatz kam, hat er Tore erzielt. Dadurch sieht man einfach, dass er eine Perspektive hat. Und auch Jürgen Klinsmann sieht das so. Der US-Verband ist ja auch sofort aktiv geworden und sieht die Möglichkeit, dass er für die US-Nationalmannschaft spielen kann und womöglich sogar bei der WM in Brasilien dabei sein wird.
Green kann für Deutschland oder die USA spielen. Wie wird er sich entscheiden?
Grill: Sein Vater ist Amerikaner, seine Mutter ist Deutsche. Jetzt ist gerade ein Prozess im Gange. Julian muss nun genau drüber nachdenken, was für ihn eine gute Möglichkeit ist.
Inwieweit wird er da von Ihnen beraten?
Grill: Beratung ist in diesem Punkt wichtig, damit er eine vernünftige Entscheidungsgrundlage hat. Man muss ihm eine Vorstellung liefern, wohin das Ganze gehen kann und was es bedeutet, für Amerika zu spielen.
2009 wären Sie beinahe Sportdirektor beim HSV geworden. Sind Sie froh, dass es nicht geklappt hat?
Grill: Das würde ich so nicht formulieren. Ich denke, dass Katja Krauss und Bernd Hofmann sich an mich gewandt haben, weil sie mir diese Aufgabe zugetraut haben. Darum hätte ich das auch gerne gemacht. Wie es sich dann entwickelt hätte und mit welchen Schwierigkeiten man dann konfrontiert gewesen wäre, weiß man heute nicht.
Einen Satz zur aktuellen Situation des HSV. Oder wollen Sie sich lieber nicht dazu äußern?
Grill: Die Frage muss man stellen. Und der Satz lautet: ‚Damit habe ich nichts zu tun!‘