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WM | Messi lässt sich instrumentalisieren: Der Raub des Emirs


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Fußball-WM in Katar
Der Raub des Emirs

  • Noah Platschko
MeinungNoah Platschko, Doha

Aktualisiert am 19.12.2022Lesedauer: 4 Min.
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Parade in Katar: So euphorisch feiern Fans den neuen Weltmeister. (Quelle: reuters)
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Das war's. Die WM in Katar ist mit dem besten Finale der Geschichte zu Ende gegangen. Ein Rückblick auf vier Wochen voller Widersprüche.

Guten Morgen aus Doha, ein letztes Mal,

denn während Sie diese Zeilen lesen, werden mein Kollege Benjamin Zurmühl und ich bereits auf dem Weg zum International Hamad Airport sein und unseren Rückflug nach Berlin antreten.

Die WM ist vorbei und sie hat einen würdigen Gewinner: Argentinien. In einem dramatischen Finale, bei dem es nach 120 Minuten 3:3 stand, setzte sich die "Albiceleste" im Elfmeterschießen durch. Lionel Messi, dieser Ausnahmekönner, bekam seinen langersehnten WM-Pokal. Die Dramatik dieser Partie, sie war bis ans Dach des Lusail-Stadions zu spüren. Ein spannungsgeladener, würdiger Abschluss einer ... ja, was für einer WM eigentlich?

Die WM und ihre Geschichten

Das komplette Fifa-Event, sein Zustandekommen, die Opfer, die es mit sich brachte, ist zu komplex, um es am Tag danach nur auf das Sportliche zu reduzieren. Diese Weltmeisterschaft hatte bereits vor dem grandiosen Endspiel, wie fast jedes Großereignis, ganz viele besondere Geschichten geschrieben.

Nehmen wir die Iranerinnen und Iraner, die vor dem ersten Spiel beim Schweigen ihres Teams bei der Hymne Tränen der Rührung vergossen. Das Sensationstor des Brasilianers Richarlison. Der spektakuläre Lauf der Marokkaner, die als erstes afrikanisches Team überhaupt das Halbfinale einer Weltmeisterschaft erreichten. Oder eben die nimmermüden Argentinier, die die größte Anhängerschaft in Doha vereinten und am Ende auch den Titel holten.

Doch war die WM eben mehr als eine reine Sportveranstaltung. Wer sich auch nach diesen vier Wochen noch immer hinstellt und fordert, man solle Fußball und Politik trennen, der wird vermutlich nie verstehen, in welchen Kontext diese Großereignisse eingebettet werden müssen.

Messi lässt sich instrumentalisieren

Deutlich wurde dies am Final-Abend wenige Augenblicke, bevor Lionel Messi den langersehnten Pokal entgegennahm. Der Emir von Katar steckte den Fußballstar in ein arabisches Gewand, instrumentalisierte ihn damit für seine Zwecke und stahl ihm und seiner Mannschaft den ikonischen Moment, der doch eigentlich allein der argentinischen Mannschaft und ihren Fans gehörte.

Es gab von Anfang an jene, die boykottierten, die genervt und angewidert waren von einem Turnier, das unter den gegebenen Umständen niemals nach Katar hätte vergeben werden dürfen. Andere wiederum zeigten sich genervt von den Genervten. Lasst uns die Bilder genießen, die Tore, den Spaß am Fußball zulassen, ohne in moralische Gewissenskonflikte zu kommen.

Viele Fans haben das getan, hier in Katar. Wer sich in den vergangenen Wochen mit Fußballbegeisterten in Doha unterhielt, der hörte immer wieder dieselben Argumente. Dass es ja die Aufgabe der Politik sei, sich um faire Löhne zu kümmern, halbwegs erträgliche Schichtzeiten einzuführen und sichere Arbeitsplätze zu garantieren. Wer so argumentiert, der macht einen großen Fehler. Der verkennt das große Ganze, das auf einem am Ende für die Fifa erfolgreichen Turnier fußt, aber zulasten der Ärmsten und Schwächsten der Gesellschaft geht.

Es sind die Widersprüchlichkeiten, die bei dieser WM so stark zutage traten wie bei wohl keiner anderen WM zuvor. Die Gewissensfragen, die einen Tag für Tag verfolgten. Bei jedem Gespräch mit dem Taxifahrer aus Pakistan, der Sicherheitskraft aus Nepal oder dem Busfahrer aus Indien. Es sind die Geschichten der Gastarbeiter, die vor allem im Kopf bleiben nach vier Wochen Fußball.

Es ist eine Schande

Als ich an einem meiner letzten Abende mit meinen Kopfhörern durch die Wolkenkratzer des Glitzerviertels West Bay spazierte, spielte der Algorithmus einen mir bislang unbekannten Song ab. "Price" hieß der Song des Künstlers. "Ich bin bereit, den Preis zu zahlen. Erzähl mir deine schönsten Lügen. Ich bin bereit, den Preis zu zahlen", ging der Refrain – und manifestierte die in mir schwelenden positiven wie negativen Gedanken zu diesem Winterturnier.

Das Klassensystem, das in Doha nach wie vor existiert, ist eines so reichen Landes absolut unwürdig. Und es ist eine Schande, unter welchen Bedingungen die Menschen leben und arbeiten müssen, nur um sich und ihrer Familie den Hauch einer halbwegs lebenswerten Existenz zu ermöglichen.

Diese Geschichten haben sich eingebrannt. Sie bleiben für immer. Allein dafür bin ich dankbar, diese Reise angetreten zu haben. Ich bin dankbar für Amir, den Taxifahrer. Für Mohamed, den Marshal. Für Shaik, den Busfahrer. Und für all die anderen, die mir ein Gefühl für ihre Welt gegeben haben, das ich am heimischen Schreibtisch mit offenem Tweetdeck niemals erfahren hätte.

Und trotzdem genoss ich die Darbietungen der fußballerischen Genies, die über den Rasen tanzten. Ich war und bin dankbar für Lionel Messi. Ob das so in Ordnung ist, darf jeder selbst entscheiden.

Die letzte WM-Anekdote

Am Ende war alles egal. Normalerweise wurden Journalistinnen und Journalisten beim Rein- und Rausgehen ins Medienzentrum genau kontrolliert. Selbst die Wasserflaschen mussten solche des offiziellen Turniersponsors sein. Eine Regelung, die nach dem WM-Finale keinerlei Relevanz mehr hatte. Die Journalisten konnten einfach durchspazieren, ohne dass sie die Sicherheitskontrolle passieren mussten.

Weitere Hinweise

Die nächste WM wird 2026 in den USA, Kanada und Mexiko stattfinden. Dann werden erstmals in der Geschichte nicht 32, sondern 48 Teams um den WM-Pokal kämpfen. In welchem Modus das Turnier ausgetragen wird, steht, Stand heute, noch nicht fest. Mal sehen, mit welcher Idee die Fifa in den kommenden Monaten um die Ecke kommen wird.

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen aus Doha
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