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WM 2022: Marokko gegen Frankreich – Der hungrige Löwe hat noch nicht genug


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WM-Überraschung will Frankreich schlagen
Der hungrige Löwe hat noch nicht genug

Von Benjamin Zurmühl, Doha

14.12.2022Lesedauer: 5 Min.
Walid Regragui: Der Nationaltrainer Marokkos hat das Finale im Blick.Vergrößern des Bildes
Walid Regragui: Der Nationaltrainer Marokkos hat das Finale im Blick. (Quelle: IMAGO/Simon Stacpoole)
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Der Mann hinter Marokkos WM-Sensation ist Walid Regragui. Der 47-Jährige vereint den ganzen afrikanischen Kontinent hinter sich.

Wenige Minuten nachdem Marokko den Topfavoriten aus Portugal aus dem WM-Viertelfinale geworfen hatte, versammelte Walid Regragui seine Mannschaft um sich. "Seid ihr noch hungrig?", fragte der 47-Jährige. Die Antwort war – wenig überraschend – ein klares Ja. Die Mission ist für die große Überraschung dieser Weltmeisterschaft noch nicht vorbei.

Den besagten Hunger verspürte Regragui selbst noch am Tag vor dem Spiel gegen Frankreich (ab 20 Uhr im Liveticker bei t-online). "Für uns ist das Halbfinale nicht genug. Wir wollen mehr, wir sind noch nicht zufrieden. Wir wollen, dass Afrika an der Spitze der Welt steht", sagte er auf der Pressekonferenz am Dienstag.

Der marokkanische Trainer hat aus seinen ambitionierten Zielen nie ein Geheimnis gemacht. Stars wie Hakim Ziyech riet er vor der WM, sie sollten sich nicht nur auf drei Spiele vorbereiten. Für Regragui war klar, dass die Gruppenphase für die "Atlaslöwen" nicht das Maximum sein darf. Und das gilt auch für das Halbfinale: "Wir sind zwar nicht die Favoriten am Mittwoch, aber ich bin selbstbewusst. Vielleicht erklären Sie mich für verrückt, dass ich das sage, aber ein bisschen Verrücktheit ist gut."

"Wir sind alle Marokkaner"

Der "verrückte" Walid Regragui trifft am Mittwoch auf keinen gewöhnlichen Gegner. Frankreich ist seine zweite Heimat. Im September 1975 wurde Regragui in Corbeil-Essonnes, einem Vorort von Paris, geboren. Er wuchs als Sohn marokkanischer Einwanderer in bescheidenen Verhältnissen auf. Heutzutage wolle er daraus kein großes Thema machen, betont er auf den Pressekonferenzen.

Aus seiner Bindung zu Marokko hingegen schon. Weil manche seiner Spieler ebenfalls in anderen Ländern geboren wurden, hinterfragten einige marokkanische Journalisten ihre Liebe zur Heimat und forderten andere Akteure für den WM-Kader. Regragui gefiel das gar nicht. "Ich bin auch in Frankreich geboren, bin dort Trainer geworden und habe dort studiert. Trotzdem bin ich Marokkaner. Wir sind alle Marokkaner", betonte er auf einer Pressekonferenz.

Der 47-Jährige präsentiert sich selbstbewusst bei dieser WM, ist zum Sprachrohr eines ganzen Kontinents geworden. Journalisten aus Kenia, Guinea, Ägypten und Tunesien loben den Anführer der "Atlaslöwen" für seine Art und dafür, wie er für den Fußball in Afrika wirbt. Vor dem Viertelfinale gegen Portugal kritisierte er die europäischen Topklubs dafür, meist nur europäische Trainer einzustellen: "Es ist unvorstellbar, dass Man City oder Barça einen arabischen Trainer einstellen, als ob wir nicht das Zeug dazu hätten."

Wenn selbst die Mütter tanzen

Regraguis Selbstbewusstsein überträgt sich auf die Mannschaft. Die Spieler glauben an sich und ihre Stärken. So schaltete Marokko auch Portugal und Spanien aus, ohne dabei ein Gegentor zu kassieren. Regragui ist überzeugt davon, dass der Geist in der Mannschaft der beste bei der WM sei.

"Der Schlüssel ist der Spirit im Team. Das ist das Wichtigste im Fußball", betonte er am Dienstag. Um diesen Spirit zu kreieren, ließ sich Regragui etwas einfallen. Er erlaubte den Spielern, nicht nur ihre Partnerinnen nach Katar mitzunehmen, sondern auch Familienmitglieder. Das sei Teil der marokkanischen Kultur, begründete der Trainer. Vor allem die Mütter rücken bei der WM in den Vordergrund. Einige von ihnen waren nach Siegen Marokkos auf dem Rasen zu sehen.

Warum sein Vorgänger gehen musste

Regragui ist erst seit wenigen Monaten Nationaltrainer der Nordafrikaner. Ende August übernahm er den Posten von Vahid Halilhodžić, der nach Unstimmigkeiten mit der Verbandsführung gehen musste. Der bosnische Trainer hatte zwar mit Marokko die WM-Qualifikation geschafft, war dabei aber mit einigen Stars aneinandergeraten. Amine Harit (Olympique Marseille, früher Schalke 04), Noussair Mazraoui (FC Bayern) und Hakim Ziyech (FC Chelsea) sollen unter anderem Besprechungen geschwänzt haben und mehrfach zu spät zum Training gekommen sein.

Halilhodžić schmiss das Trio daraufhin aus dem Kader. Während der Qualifikation war das für den Verband auch in Ordnung, für die WM wollten die Bosse aber die drei Stars wieder dabeihaben. Dem 70 Jahre alten Trainer gefiel das nicht. Er sah darin einen Gesichtsverlust und lehnte ab. Nach zwei erfolglosen Testspielen musste er gehen.

Unter seinem Nachfolger, Walid Regragui, gibt es keine dieser Geschichten. Unter ihm ziehen alle mit, er hat besonders zu Ziyech ein enges Verhältnis. Nachdem Kapitän Romain Saïss gegen Portugal verletzt ausgewechselt werden musste, übernahm der frühere Querschläger die Binde. Regragui vertraut seinen Stars und sieht Verantwortung als einen Schlüssel für eine erfolgreiche Integration.

"Er ist wie ein Vater, wie ein Bruder"

Bei den Spielern ist der 47-Jährige sehr beliebt. Sie hören auf ihn, folgen seinem Plan – und belohnen ihn nach den Siegen. Sowohl gegen Spanien als auch gegen Portugal ließen sie ihn mehrfach hochleben.

Mittelfeldspieler Ilias Chair beschrieb seinen Trainer auf der Pressekonferenz vor dem Frankreich-Spiel ausschließlich lobend, obwohl er noch keine Minute bei dieser WM spielen durfte: "Man kann sehen, was er mit den Spielern gemacht hat. Er hat eine familiäre Umgebung geschaffen und ist meiner Meinung nach der beste Trainer in diesem Turnier. Andere sagen vielleicht, dass er sehr jung oder unerfahren ist, aber uns Spielern ist das egal. Er ist der bestmögliche Mann, um uns so weit zu bringen. Nicht nur im Fußball, sondern auch, wenn es um das Leben geht, die Religion – egal. Wir können immer zu ihm kommen, er ist wie ein Vater, wie ein Bruder." Regragui klopfte seinem Spieler lachend auf den Arm und sagte: "Ich glaube, morgen wird er spielen."

Diese Überzeugung der Spieler braucht der marokkanische Trainer auch für seinen Spielstil. Denn die "Atlaslöwen" spielen defensiv, verteidigen viel und haben nur selten den Ball. Stetig den Gegner anzulaufen, ihn unter Druck zu setzen und kaum selbst anzugreifen, gefällt nicht jedem Fußballer. So sind bereits einige Trainer an Akteuren gescheitert, die sich mehr nach Offensivfußball sehnen.

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Regragui weiß seine Spieler für seinen Weg zu begeistern, obgleich es viel Geduld und Durchhaltevermögen erfordert. Doch der Erfolg spricht für ihn: "In Europa wollen sie, dass wir tanzen und dribbeln, so wie andere afrikanische Mannschaften. Aber die sind alle raus."

Wie kann Marokko Frankreich wehtun?

Während der Senegal, Kamerun und Ghana die WM längst wieder nur vom Fernseher verfolgen können, steht Marokko gegen Frankreich im Halbfinale. Die Nordafrikaner gehen gegen den Weltmeister aber als Außenseiter ins Spiel. Die meisten Augen sind dabei auf das Duell der Freunde und Superstars Kylian Mbappé (Frankreich) und Achraf Hakimi (Marokko) gerichtet. Bei Paris Saint-Germain spielen sie zusammen, nun sind der Linksaußen und der Rechtsverteidiger direkte Gegenspieler.

Auf das Schlüsselduell angesprochen, sagte Trainer Regragui mit einem Grinsen: "Wir sollten uns nicht zu sehr auf Mbappé fokussieren, sondern darauf, wie wir Frankreich wehtun können." Dabei helfen sollen auch die marokkanischen Fans, die bei jedem Spiel zahlreich vertreten sind. "Wir haben zusammen mit Argentinien die besten Fans in der Welt. Morgen spielen wir zu Hause."

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen
  • Teilnahme an Pressekonferenzen Marokkos bei der WM in Katar
  • Nachrichtenagenturen dpa, SID
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