Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Rekordmeister geht in Barcelona unter Das wird in Leipzig niemand hören wollen
Der deutsche Rekordmeister steckt plötzlich mitten in einer überraschenden Situation – nun ist Trainer Kompany gefragt, meint t-online-Kolumnist Stefan Effenberg. Einen anderen Bundesligatrainer nimmt er in Schutz – und trifft eine Vorhersage.
Ich sage es ganz deutlich: Diese 1:4-Niederlage des FC Bayern beim FC Barcelona habe ich so nicht kommen sehen.
So ein Ergebnis tut natürlich weh. Ich kann mich noch an unser 0:3 bei Olympique Lyon 2001 erinnern, nach dem wir auch von unserem Präsidenten Franz Beckenbauer in unsere Einzelteile zerlegt wurden. Danach gewannen wir alle unsere restlichen Spiele und holten den Champions-League-Titel. Manchmal kann so eine deutliche Niederlage also auch die Möglichkeit bieten, ein Zeichen zu setzen.
Viele zeigen jetzt mit dem Finger auf Min-jae Kim und Dayot Upamecano, in denen sie die Hauptschuldigen für die Niederlage ausmachen. Aber was sollen die beiden machen, wenn vor ihnen Joshua Kimmich und João Palhinha auch nicht performen? Dann fehlt die Stabilität, dann wackelt das ganze Gebilde – so wie Mittwochabend. Es wäre daher unfair, Kim und Upamecano herauszuheben. Davon dürfen sich die beiden auch nicht irritieren lassen.
Ohnehin: Dass die Bayern defensiv anfällig sein können, war bereits in einigen Saisonspielen ersichtlich – und ist dem System von Trainer Vincent Kompany geschuldet. Die Stabilität der Mannschaft steht und fällt mit dem Auftreten der Spieler im Zentrum, und deshalb erwarte ich gerade von Spielern der Klasse Kimmichs und Palhinhas, dass sie da die Sicherheit wiederherstellen können. Das ist elementar.
Das "Finale dahoam" schwebt über allem
Es kann sein, dass der Start in die Champions-League-Saison ein wenig geblendet hat. Beim Blick auf das 9:2 gegen Zagreb hätte man tatsächlich den Eindruck gewinnen können: Diese Bayern sind nicht zu schlagen. Aber: Auch dieses Ergebnis stand phasenweise auf sehr wackeligen Füßen, nachdem die Gäste innerhalb weniger Minuten auf 2:3 verkürzen konnten. Das zweite Spiel dann gegen Aston Villa hatte eigentlich keinen Sieger verdient, es setzte trotzdem eine Niederlage für die Bayern.
Nun ist die Situation für die Bayern in der Champions League enorm angespannt. Nach drei Spielen nur drei Punkte – eigentlich müssten sie jetzt die verbleibenden fünf Spiele in Folge gewinnen, um die Qualifikation für die nächste Runde sicher zu schaffen. Das hat so wohl niemand erwartet. Natürlich waren es zwei schwierige Auswärtsspiele nach dem 9:2 zum Auftakt gegen Dinamo Zagreb, erst bei Aston Villa, jetzt in Barcelona – von einem FC Bayern darf man aber trotzdem erwarten, mit sechs oder sieben Punkten aus diesen drei Partien herauszugehen. Jetzt stehen sie unter Druck. Das "Finale dahoam" 2025 schwebt über allem. Es ist die vielleicht letzte Chance auf ein Champions-League-Endspiel für Manuel Neuer und Thomas Müller, zumal noch im eigenen Stadion. Und dieser große Traum ist jetzt für den Moment in weitere Ferne gerückt.
Aber: Unmöglich ist es natürlich nicht – gerade auch mit Blick auf das Restprogramm der Bayern in der Gruppenphase. Mit Paris Saint-Germain (26.11.) wartet noch ein großes, unangenehmes Spiel, immerhin aber in München. Die anderen Gegner – Benfica (6.11.), Schachtjor Donezk (10.12.), Feyenoord (22.1.) und Slovan Bratislava (29.1.) – sind absolut machbar, wenn sich die Bayern jetzt zusammenreißen und noch stärker voll auf das große Ziel Finale konzentrieren.
Vincent Kompany muss jetzt gewissenhaft analysieren – und zur Erkenntnis gelangen, die Taktik bei Gegnern mit extrem hoher Qualität anzupassen, um das Risiko zu minimieren. Vielleicht kommen sie mal etwas mehr aus der Tiefe, vielleicht stehen sie mal etwas kompakter, vielleicht überlassen sie mal dem Gegner mehr Spielanteile. Wir sind früher auch nicht mit der gleichen Einstellung in Spiele gegen das damals noch starke Manchester United oder Real Madrid gegangen wie gegen den Tabellen-13., -14., -15 der Bundesliga. Das muss die Lehre für Kompany sein. Ansonsten wird das für ihn und die ganze Mannschaft zum Vabanquespiel. Und das darfst du dir beim FC Bayern nicht erlauben.
Der BVB muss aufpassen
Jetzt wartet ein ganz entscheidendes Spiel: die 2. Runde im DFB-Pokal bei Mainz 05 am 30. Oktober. Sollten die Bayern dort tatsächlich ausscheiden und damit den ersten möglichen Titel der Saison verspielen, dann werden Diskussionen um Kompany deutlich an Fahrt aufnehmen. Diese Partie ist bis Jahresende die wichtigste für den deutschen Rekordmeister. Es geht nicht nur darum, den Triple-Traum am Leben zu halten. Es geht auch darum, die Stimmung und die Atmosphäre vereinsintern zu bewahren, keine Unruhe aufkommen zu lassen. Davon hängt der gesamte weitere Saisonverlauf ab.
Auch bei Borussia Dortmund ist nun der Trainer im Fokus. Nach dem 2:5 bei Real Madrid wurde schnell behauptet, Nuri Şahin hätte sich vercoacht mit den Umstellungen und Wechseln, die er vornahm. Es ist eine schwierige Situation, in der noch andere Faktoren beachtet werden müssen.
Denn beim Vorwurf an Şahin wird vergessen, dass da ja auch elf Spieler auf dem Platz standen, die ihre Aufgaben erfüllen mussten. Bei einer 2:0-Führung in Madrid gilt es grundsätzlich, das eigene Tor zu sichern, statt weiter nach vorn zu spielen, auf den dritten oder gar vierten Treffer zu gehen und dadurch defensiv angreifbar zu sein. Zumal bei der vielleicht stärksten Mannschaft weltweit, die zu Hause immer einen Gang höherschalten kann – das hat auch schon vor Wochen der VfB Stuttgart leidvoll erfahren müssen.
Wenn die geforderten Spieler dann aber nicht das leisten können, was erwartet wird, dann ist die Erkenntnis eher: Der BVB ist einfach nicht mehr in die Zweikämpfe gekommen und hatte keine Möglichkeit mehr, sich zu befreien. Und das liegt dann auch an der Mannschaft. Şahin sollte sich jetzt fragen: Haben die Spieler, die ich gebracht habe, das abgerufen, was ich von ihnen erwartet habe? Das muss jetzt seine Analyse sein.
Ich muss es aber trotzdem auch sagen: Das ist alles noch sehr wackelig beim BVB. Schon am vergangenen Wochenende war es ein knappes Ding beim 2:1 gegen St. Pauli, jetzt haben sie es in Europa ordentlich abbekommen – wenn auch bei Real Madrid. Das ist nie konstant, nie dominant, was Dortmund zeigt, sondern viel zu wechselhaft. Jetzt müssen sie aufpassen, dass sie national nicht schon im November den Anschluss an die Spitzengruppe verlieren.
Das spricht für Hoeneß' Gespür
Dem VfB Stuttgart und seinem Trainer Sebastian Hoeneß muss ich indes Respekt zollen: Nach einem 0:4 beim FC Bayern haben die Schwaben das Kunststück vollbracht, sich innerhalb weniger Tage wieder aufzurappeln – und 1:0 bei Juventus Turin zu gewinnen. Der VfB scheint sehr, sehr lernfähig zu sein. Das spricht für Hoeneß' Gespür, das spricht für eine gefestigte, selbstbewusste Mannschaft, die sich auch von einem Rückschlag nicht bremsen lässt. Hier hat Hoeneß richtig analysiert und seinen Spielern vermittelt, was falsch lief – und wie es besser geht.
Eine ganz andere Situation liegt bei RB Leipzig vor: In der Bundesliga sind die Sachen bemerkenswert stabil und mit erst zwei Gegentoren Tabellenzweiter, punktgleich mit Spitzenreiter FC Bayern. In der Champions League dagegen: null Punkte nach drei Spielen. Dort warten nun Celtic Glasgow und Inter Mailand als nächste Gegner, und das auch noch auswärts. Das wird verdammt schwierig. Ich sage nun etwas, das wahrscheinlich niemand in Leipzig hören will, aber: Vielleicht kann ein Aus in der Gruppenphase der Schlüssel sein, um in der Bundesliga bis zum Ende vorne um den Titel mitzuspielen.
Das will auch Bayer Leverkusen, um die erste Meisterschaft der Vereinsgeschichte zu verteidigen. Schon die ersten Saisonwochen haben gezeigt, dass eine Wiederholung der historischen vergangenen Spielzeit unmöglich ist. Trotzdem sind sie in der Bundesliga weiter im Rennen und auch in der Königsklasse gut dabei – das muss auch der Anspruch sein für einen deutschen Meister.
Eins ist klar: Der Herbst wird spannend – in der Champions League und in der Bundesliga.
- Stefan Effenberg ist Botschafter des FC Bayern München und sagt dazu: „Ich repräsentiere den FC Bayern, insbesondere im Ausland. Mein Engagement hat keinen Einfluss auf meine Kolumnen bei t-online. Hier setze ich mich weiterhin kritisch und unabhängig mit dem Fußball auseinander — auch und insbesondere mit dem FC Bayern.“