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Ex-Bayern-Star Sandro Wagner: "Wenn ich diese Instagram-Gangster sehe..."


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Sandro Wagner
"Sehe die Gefahr, dass unsere Kinder immer dümmer werden"

InterviewVon Robert Hiersemann

Aktualisiert am 24.09.2019Lesedauer: 7 Min.
Spielte einst für Hertha BSC, Darmstadt 98, Werder Bremen und den FC Bayern in der Bundesliga: Fußballprofi Sandro Wagner.Vergrößern des Bildes
Spielte einst für Hertha BSC, Darmstadt 98, Werder Bremen und den FC Bayern in der Bundesliga: Fußballprofi Sandro Wagner. (Quelle: Imaginechina/imago-images-bilder)
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Vom FC Bayern nach China: Der ehemalige deutsche Nationalspieler Sandro Wagner gibt Einblicke in sein Privatleben in Fernost, bezeichnet die sozialen Medien als "großes Übel" und findet, dass sich Fußballer nicht immer so wichtig nehmen sollten.

Er ist dreifacher deutscher Meister, gewann zweimal den DFB-Pokal und spielte einst für die deutsche Nationalmannschaft. Jetzt ist alles anders: Stürmer Sandro Wagner geht aktuell für den chinesischen Verein Tianjin Teda auf Torjagd und verdient dort angeblich 7,5 Millionen Euro netto im Jahr.

Umso überraschender, wie bodenständig der 31-Jährige im Interview rüberkommt und welche Ansichten er vertritt: soziale Medien? Nichts für Wagner. Die Familie? Das Wichtigste auf der ganzen Welt. China? Eine neue Welt, die er gemeinsam mit seiner Frau und den gemeinsamen Kindern entdeckt.

Das Interview mit dem Fußballstar, der auch damit zufrieden ist, wenn seine Kinder später für die Müllabfuhr arbeiten und der findet, dass sich Fußballer nicht immer so wichtig nehmen sollen.

t-online.de: Herr Wagner, viele Fußballer sagen immer so leicht: 'Ohne meine Familie wäre ich nicht so weit gekommen.' Wie sehen Sie das?

Sandro Wagner (31): Ich denke, dass kein Fußballprofi oder anderweitig erfolgreicher Mensch diesen Satz einfach so leicht dahinsagt. Ich kann aber nur für mich sprechen: Ohne Familie bin ich nichts. Meine Familie ist mein Leben.

Woran machen Sie das fest?

In meiner Idee vom Leben ist die Familie der mit Abstand wichtigste Bestandteil. Deswegen wollte ich schon immer eine eigene große Familie. Ich bin 31 Jahre alt und seit mehr als zehn Jahren glücklich verheiratet. Wir haben bereits drei Kinder und meine Frau ist erneut schwanger. Ich bin ein sehr glücklicher Familienvater und versuche, jede Entscheidung im Leben im Sinne meiner Familie zu treffen.

Wie genau hat Ihre Familie Ihren Karriereweg als Fußballprofi beeinflusst?

Jeder hat in seinem Leben auf eine bestimmte Art und Weise Stress, wird beeinflusst von allen möglichen Dingen. Ständig wird dir irgendetwas abverlangt, du musst dich um vieles kümmern. Aber: Wenn du zu Hause oder allgemein mit den Kindern zusammen bist, zeigt das einem immer wieder auf, wie schön und einfach das Leben sein kann.

Inwiefern war Ihr Leben als Fußballer ohne Kinder anders als das jetzige?

Ich bin sehr früh Vater geworden – insofern weiß ich gar nicht mehr, wie es ist, ohne Dauerbeschallung zu leben und keine Puppen frisieren zu müssen (lacht).

Ist es Ihnen wichtig, dass sich Ihre Familie für Ihren Job interessiert?

Im Gegenteil: Mir ist extrem wichtig, dass sich meine Familie nicht groß damit beschäftigt beziehungsweise nicht beschäftigen muss. Fußball ist bei uns zu Hause nahezu überhaupt kein Thema. Als Familienvater definiere ich mich null über meinen Beruf. Ich finde das immer ein wenig befremdlich, wenn Kollegen das ganze Wohnzimmer wie ein Fußball-Museum dekorieren. Müllmänner haben schließlich auch keine besonders gut geleerte Tonne dort rumstehen.

Wie gehen Ihre Kinder mit Ihrem Job als Fußballprofi um?

Ganz entspannt, für sie ist es auch nichts Besonderes, zumal sie es von Geburt an gewohnt sind. Nur mein Sohn interessiert sich mehr und mehr für Fußball und fragt mich oft nach Joshua Kimmich. Der ist sein Lieblingsspieler.

Wie haben Sie Ihren Kindern denn erklärt, dass Sie zum Fußballspielen nach China gehen, weit weg von der Heimat, der restlichen Familie? Verstehen Kinder: 'Papa kann hier viel mehr verdienen'?

Das war tatsächlich nicht so einfach. Meine Jungs sind noch in einem Alter, in dem das kein Problem war. Meine Tochter ist allerdings bereits acht und hat mich gefragt, warum ich noch mehr Geld verdienen möchte. Ich hätte doch bereits schon einen Porsche …

… womit sie womöglich nicht ganz unrecht hat.

Ich musste wirklich lachen und finde es erfrischend, wie simpel Kinder argumentieren und einfach im Hier und Jetzt leben. Davon können wir Erwachsenen uns manchmal durchaus eine Scheibe abschneiden. Ich denke aber, dass sie die Entscheidung irgendwann nachvollziehen können, zumal ich diese perspektivisch auch im Sinne der Familie getroffen habe.

Zunächst einmal mussten aber Ihre Kinder das gewohnte Umfeld verlassen.

Sie haben an sich das schönste Leben in München: Familie, Freunde, eine super Schule und unser tolles Zuhause. Deshalb war das auch der Punkt, bei dem ich mich mit der Entscheidung am schwersten getan habe, als das Angebot kam. Für mich war entscheidend, dass in Tianjin alle Voraussetzungen erfüllt sind, dass wir alle zusammen dorthin können und ein gutes Leben führen. Schließlich habe ich lange genug in meiner Karriere nicht bei meiner Familie wohnen können.

Wie kommt Ihre Familie in China zurecht?

Ich bin wirklich stolz auf meine Kinder und meine Frau. Von Tag eins an haben sie sämtliche Gegebenheiten und die neue Kultur angenommen – dadurch hatten sie in den ersten neun Monate eine super Zeit. Meine Kinder sprechen bereits fließend Englisch und ein bisschen Chinesisch. Ich denke, der interkulturelle Austausch mit Kindern anderer Herkunft kann für ihre persönliche Entwicklung auch absolut wertvoll sein.

Gab es spezielle Familienerlebnisse in China, an die Sie besonders gerne denken?

Meine Kinder haben einen chinesischen Freund: Er heißt Dung Dung und liebt unser Essen. Dung Dung hat in den vergangenen Monaten beim Abendbrot häufig an unserem Tisch gesessen, was man an seinem kleinen Bäuchlein sieht (grinst). Die Kinder können nicht wirklich miteinander sprechen, dennoch spielen sie den ganzen Tag zusammen, haben einfach Spaß gemeinsam. So etwas als Vater zu sehen, freut mich extrem: Wie Beziehungen unter den Kindern keine Grenzen kennen, losgelöst sind von verschiedener Herkunft, Kultur und Sprache.

Ihre Kinder wachsen mit einem Papa auf, der Fußballstar ist. Soll Ihr Nachwuchs Ihnen beruflich nacheifern?

Nein, ich möchte, dass sie einfach das finden, was sie glücklich macht. Ich werde nie Druck aufbauen oder eine hohe Erwartungshaltung erzeugen, sondern sie bei allem unterstützen. Ich finde es schlimm, wenn Eltern ihre Kinder irgendwo reindrängen. Ich habe es schon mal gesagt und meine es nicht despektierlich dem Berufszweig gegenüber: Wenn meine Kinder Müllmänner werden wollen – eins fährt, die anderen schieben die Tonnen rein, ist das für mich völlig in Ordnung. Hauptsache, sie sind glücklich.

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Was ist Ihnen in der Erziehung Ihrer Kinder besonders wichtig?

Erstmal ist es mir wichtig, dass Kinder Kinder sein dürfen. Sie müssen nicht 24 Kurse pro Woche besuchen und alles können. Wir versuchen, unseren Kindern so viel Spielzeit zu geben wie möglich und sich frei entfalten zu lassen. Der Druck in unserer Gesellschaft kommt früh genug. Wir wollen unseren Kindern gewisse Werte vermitteln, die in unseren Augen wichtig sind: Respekt und das liebevolle Miteinander sind Eigenschaften, die heutzutage jedoch immer mehr verloren gehen.

Was werden Sie Ihren Kindern künftig mit Blick auf die sozialen Medien vermitteln wollen?

Ich werde immer hingestellt wie ein Steinzeitmensch, nur weil ich diesen Quatsch nicht aktiv nutze. Soziale Medien sind für mich ein ganz großes Übel. Ich habe mich während eines Trainingslagers mal bei Instagram anonym angemeldet, um zu schauen, was dort so abgeht. Und ich muss sagen: Mir fehlen die Worte. Wie dort miteinander umgegangen wird, so stumpf, asozial, sinnlos. Da frage ich mich schon, wo soll das noch hinführen? Dazu leben dort Leute davon, ihr Leben mit anderen zu teilen. Die können nichts und kriegen Geld dafür, wenn ich ihnen beim Frühstücken zuschaue. Ich finde diese Entwicklung krank, auch weil das für Kinder ein falsches Bild vom Leben vermittelt.

Was genau kann diese Welt mit Kindern anstellen? Was ist Ihre Befürchtung?

Ich sehe die Gefahr, dass unsere Kinder immer dümmer und letztlich auch unglücklicher werden. Weil sie falschen Vorbildern hinterher eifern, die eine glattgeleckte Glamour-Welt vorheucheln. Wenn es nur noch darum geht, die Internetgemeinde und die Pseudo-Stars dort zu fragen, wie ich mir die Haare schneiden lassen soll oder wie ich mir in drei Minuten am besten mein Gesicht anmale, dann läuft etwas in die falsche Richtung. Und wenn ich diese ganzen kleinen Instagram-Gangster sehe mit ihren Goldketten ... Im echten Leben muss Mami kommen, wenn es ein Problem gibt. Eigene Erfahrungen machen, sich durch echten Kontakt mit anderen Menschen entwickeln – spüren, wie Dinge beim anderen tatsächlich ankommen, wenn man sie sagt, das gibt es immer weniger. Und ich finde, das hat schlimme Auswirkungen auf die Gesellschaft. Aber vielleicht ist das heutzutage einfach alles normal. Und ich bin nicht normal, kann ja auch sein.

Themenwechsel: Wünschen Sie sich eigentlich manchmal, dass Sie kein Fußballprofi geworden wären?

Ich liebe mein Leben und bin dem Fußball für jede Sekunde auf dem Platz sehr, sehr dankbar. Aber: Natürlich hätte ich auch sonst ein zufriedenes Leben gehabt. Wie gesagt, ich definiere mich privat 0,0 Prozent über meinen Beruf. Das sind zwei verschiedene Dinge, die ich strikt trenne.


Einige Kollegen sehen das anders – so entsteht oft das Bild des arroganten Fußballprofis.

Ich weiß, dass ich teilweise selbst arrogant rüberkomme – vor allem für Leute, die mich nicht gut kennen. Aber Ehrlichkeit und Arroganz sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Was machen wir Fußballer denn schon Besonderes? Wir können gut gegen den Ball treten, oder wie ich eher mal den Gegner (lacht). Ich würde gut finden, wenn sich der eine oder andere Kollege nicht so wichtig nehmen würde. Wir sind als Menschen nicht anders als beispielsweise diejenigen, die für acht Euro in der Stunde unsere ältere Generation pflegen.

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