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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Pep Guardiola in der Krise Was ist nur los?
Manchester City hat in den vergangenen zwei Monaten einige Rückschläge einstecken müssen. Trainer Guardiola ist nicht mehr der Offensivfanatiker von einst – was ihm zunehmend schadet.
Am vergangenen Freitag hat Manchester City die Klub-WM für sich entschieden. Als europäischer Vertreter sind die "Skyblues", die "Himmelblauen", damit quasi ihrer Verantwortung gerecht geworden, dieses Turnier für sich zu entscheiden. Ob die Trophäe einen exponierten Platz im Vereinsmuseum erhalten wird, bleibt jedoch fraglich, obwohl es neben dem Uefa Super Cup der einzige Titel in dieser Saison bleiben könnte. Denn zu Weihnachten befindet sich das schwerreiche Team in einer erheblichen sportlichen Krise. Was genau ist geschehen?
Zuletzt konnte City in der Premier League lediglich einen Sieg – gegen Aufsteiger Luton Town – einfahren. Daneben gab es vier Remis und eine schmerzhafte 0:1-Niederlage gegen Aston Villa. Damit steht das Team von Trainer Pep Guardiola aktuell nur auf Rang vier mit sechs Punkten Rückstand auf Arsenal. An sich ist das noch kein Drama, zumal sich gerade in der verschleißenden Premier League im März und April die Dinge noch einmal drehen können. Der jüngste Leistungseinbruch von City wirkt trotzdem signifikant und stellt Guardiola vor ein ernsthaftes Problem.
Eine Vorliebe für Mittelfeldspieler
Um dieses Problem genau zu verstehen, braucht es einen kurzen Blick auf die jüngsten Jahre. Guardiola ist noch aus seiner Zeit bei Bayern München, aber erst recht beim FC Barcelona, dafür bekannt, dass er kreative und technisch versierte Spieler in der Regel bevorzugte. Der Katalane selbst sagte einmal etwas scherzhaft, dass er am liebsten mit elf Mittelfeldspielern antreten würde. Seine ersten Jahre bei City, er hatte 2016 in Manchester unterschrieben, waren ebenfalls davon geprägt, dass Guardiola gerne den Offensivspielern das Vertrauen schenkte.
Folglich war sein Team sehr dominant und gewann auch die Mehrheit der Partien, blieb jedoch zuweilen anfällig für Konter. Das machte sich insbesondere in der Champions League bemerkbar, in welcher die "Skyblues" regelmäßig gegen Topteams ausschieden, die schnelle Konter initiieren konnten und die notwendige Stürmerqualität besaßen, um entscheidende Tore zu erzielen. Guardiolas Unbehagen ob dieser Anfälligkeit nahm während seiner Amtszeit zu und gipfelte wohl im 2:5 gegen Leicester City im September 2020.
Totale Unterlegenheit gegen Villa
Danach opferte Guardiola ein Stück weit die offensive Kreativität zugunsten von mehr Ballkontrolle und auch defensiverer Absicherung. Diese taktische Herangehensweise wurde zunehmend verfeinert und gipfelte im ausgeklügelten Spielsystem von vergangener Saison, als City nominell in einem 3-2-4-1 spielte, wobei der vielseitige John Stones stets zwischen Mittelfeld und Abwehr rochierte. Die Konterabsicherung wurde dadurch immer stabiler und zeitweilig ein Qualitätsmerkmal von City. Es schien so, als hätte Guardiola gewissermaßen die Gretchenfrage seiner Karriere gelöst: Wie kann ich ein Team konstruieren, das ständig am Ball ist, aber eben nicht ausgekontert wird?
In dieser Saison kippte das Ganze wieder zu Ungunsten von Guardiola und City, denn trotz der weiterhin hohen Ballbesitzanteile, fehlt nun die Kreativität und Durchschlagskraft in der Mitte. Gegen Aston Villa kam de facto nur ein Mittelfeldspieler zum Einsatz, nämlich Bernardo Silva. City erspielte sich bei 54 Prozent Ballbesitz nur zwei Torschüsse, Villa schoss 22-mal, darunter der siegbringende Treffer durch den Ex-Leverkusener Leon Bailey. Diese Partie sorgte für Aufruhr in England, weil sich keiner daran erinnern konnte, dass ein Guardiola-Team jemals derart offensiv impotent war.
De Bruyne fehlt, Gündoğan wird vermisst
Ein erschwerender Faktor ist die personelle Situation. Guardiola setzte nicht ganz freiwillig auf nur einen einzelnen reinrassigen Mittelfeldspieler. Kevin De Bruyne, der wichtige Offensivantreiber, fehlt wieder einmal verletzungsbedingt. İlkay Gündoğan spielt mittlerweile in Barcelona und wird in Manchester immer mehr vermisst. Kalvin Phillips spielt seit seinem Wechsel im Sommer 2022 keine nennenswerte Rolle, obwohl er zeitweilig Stammspieler der englischen Nationalmannschaft war. Und die Neuzugänge Mateo Kovačić und Matheus Nunes haben sich das Vertrauen von Guardiola noch nicht erarbeitet. Was aber darüber hinaus deutlich geworden ist: Die Funktionalität eines Systems steht und fällt zuweilen mit einem bestimmten Spieler. Und der war in der vergangenen Saison John Stones.
Denn Stones konnte nahezu perfekt zwischen Abwehr und Mittelfeld pendeln. Bei eigenem Ballbesitz rückte er auf und spielte meist an der Seite von Mittelfeldanker Rodri, gegen den Ball wiederum ließ sich Stones in die Abwehrkette zurückfallen und stärkte die Innenverteidigung. Es braucht ein hohes Maß an Spielverständnis und gutes Timing, um eine solche Hybridrolle auszuführen. Dadurch war es City möglich, die Restverteidigung zu sichern, aber eben trotzdem mit genügend Spielern den Ballbesitz voranzutreiben.
Stones mit Situation überfordert
Allerdings fehlte Stones zu Beginn dieser Saison wegen einer Hüftverletzung und hatte Schwierigkeiten, nach seiner Rückkehr im Oktober zur Form zu finden. Zudem fand sich Stones manchmal in einer merkwürdigen Position wieder. Gegen Aston Villa zum Beispiel spielte er im zentralen Mittelfeld an der Seite von Manuel Akanji, den Bundesliga-Zuschauer aus seiner Zeit bei Borussia Dortmund noch als klassischen Innenverteidiger kennen dürften. Damit war Stones nicht mehr der Zuträger bei eigenem Ballbesitz, sondern musste sich als Spielgestalter versuchen.
Was jedoch in den vergangenen Wochen angesichts der personellen Experimente, die Guardiola unternehmen musste, deutlich wurde: Es ist für Mittelfeldspieler zumeist einfacher, mit dem notwendigen Einsatz und einem klugen Stellungsspiel in die Rolle eines Verteidigers zu schlüpfen, als für Verteidiger offensiv einen Mittelfeldspieler zu mimen. Gegen Villa hatte City den tiefsten Ballbesitz – betrachtet anhand der durchschnittlichen Position des Balles – der vergangenen Jahre. So verwundert es nicht, dass nur zwei Schüsse, beide von Erling Haaland übrigens, zustande kamen.
Nun ist Guardiola wohl genau der Trainer im europäischen Fußball, dem man am ehesten zutraut, sich aus solch einer Krise zu coachen, zumal er weiterhin über einen der besten Kader überhaupt verfügt, der lediglich durch Verletzungen ein wenig gehandicapt war. Viel Hoffnung ruht selbstverständlich auf einer baldigen Rückkehr von De Bruyne, der in der vergangenen Saison ein kongeniales Duo mit Gündoğan bildete, aber auch schon häufig genug bewiesen hat, dass er auf sich gestellt, die Offensive von City ankurbeln kann. Mit dem Belgier sowie einer wieder besseren Balance zwischen Abwehr und Mittelfeld sollten die "Skyblues" weiterhin in der Premier League oben mitmischen. Der nächste Test wartet am Mittwoch beim Auswärtsspiel in Liverpool gegen den FC Everton.
- Eigene Recherche