Spielerberater Raiola ist tot Hass war ein Kompliment für ihn
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Nach der Verwirrung am Freitag hat die Fußballwelt nun traurige Gewissheit: Spielerberater Mino Raiola ist tot. Der Italo-Niederländer war eine der mächtigsten Personen des Sports. Wie kam es dazu?
Mino Raiolas letzte mutmaßlich persönliche Botschaft kam am Donnerstagnachmittag: "Mein derzeitiger Gesundheitszustand für alle, die es wissen wollen: Angepisst, dass ich zum zweiten Mal in vier Monaten für tot erklärt wurde." Unseriöse Medienberichte hatten vermeldet, der mächtigste Spielerberater der Welt sei gestorben.
Zu diesem Zeitpunkt lag Mino Raiola schon seit über vier Monaten in einem Mailänder Krankenhaus. Im Januar war der 54-Jährige ins Spital von San Raffaele eingeliefert worden, musste Berichten zufolge notoperiert werden.
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Die sozialen Medien liefen ob der ursprünglichen Todesmeldung über vor Beileidsbekundungen aller Seiten, Fans zeigten sich bestürzt – wohlgemerkt: für einen Spielerberater, dessen Berufsstand in der Öffentlichkeit noch immer nicht den allerbesten Leumund genießt.
Und nur Mino Raiola konnte das schaffen. Denn seine Geschichte ist die eines der wunderlichsten Aufstiege der Fußballhistorie.
"Mino hätte alle weggefegt"
Wer den 54-Jährigen und seinen Werdegang verstehen will, der landet zwangsläufig bei einem seiner treuesten Wegbegleiter: "Es ist der schlimmste Streit, den wir je hatten", erinnert sich Zlatan Ibrahimovic in seinem Buch "Adrenalin. Was ich noch nicht erzählt habe" über eine Meinungsverschiedenheit mit seinem langjährigen Berater. Es ging 2019 um die Zukunft des Schweden bei seinem damaligen Klub L.A. Galaxy.
"Ich entscheide mich, noch ein Jahr in Amerika zu bleiben, und verhandle deswegen die Vertragsverlängerung. Ganz allein und ohne Mino etwas davon zu sagen, weswegen er sich tierisch aufregt", schreibt Ibrahimovic. "Wäre Mino nach meinem ersten Jahr in Amerika in die Verhandlungen eingetreten, hätte er alles Mögliche verlangt, auch Aktien von den Lakers und ein Fahrrad. Mino war zu stark für die Leute dort. Er hätte sie weggefegt, alles kaputt gemacht, und ich hätte nicht mehr in der MLS gespielt."
Es ist ein kongeniales Duo, das seit 20 Jahren zusammenarbeitet: Hier der in Schweden geborene Sohn bosnischer Eltern, der in schwierigsten Verhältnissen zwischen Vater und Mutter aufwuchs und es zum Weltstar brachte. Da der in den Niederlanden aufgewachsene Sohn einer italienischen Familie, deren Erfolg sich auf der Eröffnung eines – nach Raiolas Aussagen – der ersten italienischen Restaurants des Landes gründet. Der zum mächtigsten Berater der Fußballwelt aufstieg. Gleichermaßen berühmt wie berüchtigt, geliebt wie gehasst.
Vater Raiola ist die prägende Figur
"Bruder, Freund, Berater – er war und ist der Beste", schrieb Zlatan Ibrahimovic im Dezember 2020 bei Facebook. Da wurde Raiola von der italienischen "Tuttosport" gerade zum "Berater des Jahres" ausgezeichnet. Ibrahimovic, Paul Pogba, Gianluigi Donnarumma, Mathijs de Ligt, Romelu Lukaku, Mario Balotelli und Erling Haaland – eine beachtliche Zahl der Größten ihres Sports schwört auf Raiola.
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Als er gerade ein Jahr alt ist, siedelt die Familie aus Salerno aus dem malerischen süditalienischen Kampanien ins niederländische Haarlem über, nur wenige Kilometer von Amsterdam entfernt. In der Jugend kellnert der junge Carmine, den alle nur "Mino" nennen, im "Palladium", dem Restaurant des Vaters. Dieser muss hart schuften, "sieben Tage die Woche hat er gearbeitet", erinnert sich Raiola einmal. "Von ihm habe ich gelernt, nicht aufzugeben." Denn auch Raiola senior hat Erfolg: "Erst ein Sandwichladen, dann eine Pizzeria, dann ein feines Restaurant", beschreibt der stolze Sohn einmal. Wird er heute mitunter als "Pizzabäcker" geschmäht, so gründet dies auf eben jenen ersten Schritten ins Berufsleben.
"Dann mach es doch besser"
Mit dem Fußball kommt er früh in Verbindung, spielt in den Jugendteams des HFC Haarlem, der junge Mittelfeldspieler realisiert aber, dass es für eine eigene große Karriere nicht reichen wird.
Im Restaurant des Vaters zeigt er derweil immer stärkere Wesenszüge eines Organisators: "Ich wurde zum Mittelsmann, da die niederländischen Gäste die italienische Art nicht verstanden." Auch, wenn es Schwierigkeiten mit Lieferungen oder sonstigen organisatorischen Angelegenheiten gegeben habe, sei ihm gesagt worden: "Mino, Du kümmerst Dich darum." So habe er gelernt, "Probleme zu lösen."
Der Präsident des HFC Haarlem ist regelmäßiger Gast im Restaurant, Raiola nervt ihn ständig mit scharfer Kritik an der Klubführung, bis der ihm irgendwann aus einer Laune heraus sagt: "Dann mach es doch besser." Und zu seiner Überraschung nimmt der nassforsche junge Mann die Herausforderung an. Mit gerade Anfang 20 wird er Sportdirektor des damaligen Zweitligisten. Es ist der endgültige Startschuss seiner Karriere im Profifußball. Später macht er sich selbstständig und zieht durch Verbindungen und geschickte Deals das Interesse auf sich. Sein Vorteil über die Jahre: Raiola spricht gleich mehrere Sprachen, neben Niederländisch und Italienisch auch Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch und Portugiesisch.
Pavel Nedved als große Entdeckung
Gleich eine ganze Reihe namhafter niederländischer Spieler wechselt in den kommenden Jahren nach Italien, die Serie A ist die damals dominierende Liga in Europa. 1992 wechselt Nationalspieler Bryan Roy für umgerechnet 2,5 Millionen Euro von Ajax zu Foggia, es ist der erste große Transfer Raiolas. Auch beim Transfer von Dennis Bergkamp und Wim Jonk aus Amsterdam zu Inter 1993 ist Raiola beteiligt. Vom Erfolg bestätigt, macht sich Raiola als Spielerberater Mitte der 1990er-Jahre endgültig selbstständig. Der Name seiner späteren Firma: "Maguire Tax & Legal", benannt nach dem von Tom Cruise gespielten Sportmanager aus dem gleichnamigen Film.
Sein erster wirklich "eigener" Transfer: der Wechsel von Pavel Nedved von Sparta Prag zu Lazio Rom, nachdem der Tscheche mit starken Vorstellungen bei der EM 1996 auf sich aufmerksam gemacht hatte. "Fünf Jahre später zahlte Juve dann fast 77 Millionen Lire (ca. 39 Millionen Euro, Anm. der Red.) für ihn", erzählte Raiola einmal mit Stolz.
Anfang der 2000er fädelt er den Wechsel des damals 22-jährigen Zlatan Ibrahimovic von Ajax zu Juventus Turin für damals 16 Millionen Euro ein. Bis heute sind durch Transfers zum FC Barcelona, zu Inter Mailand, zum AC Mailand und zu Paris St. Germain noch 145,3 Millionen dazugekommen. Die 105 Millionen, die Manchester United 2016 auf den Tisch legte, um den einst verschmähten Pogba von Juventus Turin zurückzuholen? Ohne Raiola nicht möglich. Ebenso der Transfer von de Ligt, dessen Wechsel aus Amsterdam nach Turin für 85,5 Millionen von ihm orchestriert wurde. Das nächste Gigantenunternehmen sollte 2022 Haaland werden, dessen Transfer jeden Rahmen sprengen könnte.
Ibrahimovic? "Völlig bescheuert"
Dabei eckt Raiola in den vergangenen Jahren auch immer mehr an, schreckt vor Auseinandersetzungen nicht zurück. Er legt sich offen mit der Fifa an, bezeichnet den Weltverband als "korrupten Laden", stichelt, Pep Guardiola habe "nicht die Eier, sich mir gegenüberzusetzen". Seine Methoden sind verpönt, über die Jahre bezeichneten Kollegen ihn gerne mal als Schande für ihren Berufsstand.
Trainerlegende Sir Alex Ferguson, selbst nicht um offene Worte verlegen, wütete einstmals im Pogba-Transferwirrwar gegen den "Scheißkerl". "Die Sportdirektoren hassen mich? Wieso? Ich saß jedenfalls noch nie mit einer Waffe auf dem Tisch bei Verhandlungen", sagt Raiola Sport1 im vergangenen Dezember, "ich weiß einfach sehr gut, welchen Wert meine Spieler haben und was die Vereine brauchen. Wenn die mich hassen, dann ist es das größte Kompliment für mich. Dann mache ich etwas gut."
Die von ihm betreuten Spieler schätzen dagegen seine offene Art, sein bedingungsloses Engagement für ihre Interessen (und durchaus auch seine eigenen – er soll Provisionen im Millionenbereich kassieren). Ibrahimovic soll sich einst für Raiola als Berater entschieden haben, als der ihm unverblümt mitteilte, er sei "völlig bescheuert".
Der Markt wurde verändert
Raiola ist sich seines Einflusses und seiner prägenden Rolle im aktuellen Weltfußball bewusst – geht damit aber unprätentiös um, wenn auch mit einer großen Genugtuung: "Ich habe immer versucht, die Industrie zu erneuern mit meinen Verträgen", erklärt er im Interview mit Sport1. "Jeder, der Erfolg hat, macht etwas, das den Markt verändert." Er und andere Berater hätten "in den letzten 20 Jahren ein zweites Spiel kreiert", abseits vom Rasen. "Das ist der Calcio Mercato (ital. "Transfermarkt", Anm. d. Red.). Normalerweise war es so: Man spricht vier, fünf Tage über das Spiel. Heute spricht man zwei Tage über das Spiel und fünf Tage über das Geschäft."
Nur einer konnte das schaffen. Am Samstag gab seine Familie bekannt: Mino Raiola ist im Krankenhaus San Raffaele von Mailand gestorben.