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Zum journalistischen Leitbild von t-online.DFB-Elf Hansi Flick hat noch ein Ass im Ärmel
Bisher hat Hansi Flick alle seine Spiele als Bundestrainer gewonnen. Doch die Gegner werden schwerer – und damit auch Flicks Aufgaben. Ein hartnäckiges Problem ist aber nach wie vor ungelöst.
Auf ein paar Stammspieler verzichtete Hansi Flick bei der Nominierung, auch wenn sie keine Verletzung mehr mit sich trugen. Zu lang war ihre Leidenszeit, weshalb der Bundestrainer vorsichtig sein und sie in Ruhe bei ihren Vereinen trainieren lassen wollte. "Robin hat noch kein Spiel über 90 Minuten gemacht", sagte er beispielsweise zur Abstinenz Robin Gosens' bei einer Medienrunde in der vergangenen Woche. Gosens hatte sich Ende September am Oberschenkel verletzt und stand erst Anfang März wieder auf dem Platz.
Lukas Nmecha hingegen steht in Flicks Aufgebot für die Länderspiele gegen Israel und die Niederlande. Auch der Wolfsburger Stürmer hatte monatelang gefehlt. Bei ihm war es der Knöchel, der ihn zur Pause zwang. Auch er stand Anfang März das erste Mal wieder auf dem Platz, hatte zum Zeitpunkt der Nominierung auch noch kein Spiel über 90 Minuten gemacht. Doch die Lage auf seiner Position ist eine andere.
Das Problem mit dem "Spielertyp Werner"
Das Sturmzentrum ist seit einigen Jahren eine Schwachstelle in der Nationalmannschaft. Nicht, weil das Personal nicht ausreicht, sondern einfach, weil gegen tief stehende Gegner noch die Lösungen fehlen. Timo Werner, die prädestinierte "Nummer eins", braucht Raum für seine Sprints in die Tiefe und ist in der Luft eher ungefährlich. Nur 2 seiner 19 Tore für den FC Chelsea erzielte er laut "Transfermarkt" per Kopf. Zuvor in Leipzig waren es 6 von 95.
Wenn die DFB-Auswahl auf einen tief stehenden Gegner mit guten Verteidigern trifft und vermehrt auf Flanken setzen muss, ist der Spielertyp Werner nicht die Ideallösung. Da ist besagter Lukas Nmecha ein Hoffnungsträger. Mit seinen 1,85 Metern hat der Stürmer vom VfL Wolfsburg mehr Präsenz im gegnerischen Strafraum und ist in der Luft gefährlicher als Werner. Zwei seiner acht Treffer für Wolfsburg in dieser Saison erzielte er in mit dem Kopf. Doch im Gesamtpaket hat er noch nicht das Niveau, das ihn zum unangefochtenen Stammstürmer macht.
Für die WM in Katar braucht Flick weitere Optionen, um für jeden Gegner die richtige Antwort zu haben. Und eine Option könnte Kai Havertz sein. Er ist das Ass im Ärmel des Bundestrainers.
Eine Entwicklung, die Flick gefällt
Der filigrane Havertz, der mit seiner Technik und seiner Ballkontrolle im Trikot von Bayer Leverkusen und der Nationalmannschaft begeisterte, hat sich in England weiterentwickelt. Inzwischen fährt der einst zarte Offensivmann häufiger die Ellenbogen aus. Sinnbildlich dafür war eine Szene im Finale des englischen Ligapokals gegen Liverpool.
In der Nachspielzeit der ersten Hälfte der Verlängerung verpasste Havertz seinem Gegenspieler Trent Alexander-Arnold im Laufduell einen Bodycheck, in dessen Folge sich Alexander-Arnold auf dem Boden wiederfand. Kurz danach standen sich beide Stirn an Stirn gegenüber. Havertz behauptet sich. Er setzt sich durch. Nicht nur mit seiner Technik, auch mit seinem Körper.
Bundestrainer Hansi Flick beobachtet dieses neue Element mit Wohlwollen: "Man hat gesehen, dass er körperbetonter spielt und in die Zweikämpfe geht. Das ist eine Entwicklung, die wir wahrnehmen und die uns sehr viel Freude macht." Der "physischere" Havertz ist aktuell in absoluter Topform. In seinen letzten sechs Spielen für Chelsea erzielte der 22-Jährige fünf Tore und bereitete ein weiteres vor. Seine Position: Mittelstürmer.
"Ich habe lange mit Thomas Tuchel (Trainer des FC Chelsea, Anm. d. Red.) telefoniert. Er hat schon länger gesagt, dass er Kai auf dieser Position sieht und er diese ausfüllen kann", erklärte Flick im Zuge der Nominierung. Tuchel trifft mit Chelsea in der Premier League und Champions League immer wieder auf tief stehende Gegner, die wenig Raum für Kombinationen bieten – ähnlich wie die DFB-Elf Flicks. Auch hier sind Flanken ein probates Mittel. Und der 1,90 Meter große Havertz ist ein guter Abnehmer dieser Hereingaben. Von seinen insgesamt elf Saisontoren erzielte er fünf per Kopf. Dazu ist er mit seinem Ballgefühl und seiner Technik bestens geeignet für Kombinationen auf engem Raum.
Flick: "Kai kann vorne viele Positionen ausfüllen. Durchaus kann man ihn als Neuner sehen, aber in unserem flexiblen System auch auf den Außen oder hinter der Spitze." Der 57-Jährige will sich nicht in die Karten schauen lassen, wie er mit Havertz plant. Er ist der Joker in seinem System. Und bei der WM womöglich auch im Sturmzentrum zu finden, wenn es mit Werner nicht geht.
- Eigene Beobachtungen
- Medienrunde mit Hansi Flick am 18. März
- Spielerprofile bei transfermarkt.de