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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Rekordverdächtiges Gewicht Ein Deutscher revolutioniert den Fußballschuh
Der Fußball entwickelt sich laufend weiter – und mit ihm die Ausstattung. Fußballschuhe sind längst auch Ingenieurskunst. Für t-online erklären drei Wettbewerber, wie die Zukunft des "Stiefels" aussieht.
Als "künstliche Schnittstelle zum Untergrund" sieht ihn Forscher Dr. Thomas Sterzing, als Lifestyle-Produkt sieht ihn Adidas, wenn es ihn in einer veganen Edition präsentiert, als Riesengeschäft sieht ihn Puma, wenn Superstar Neymar 100 Millionen Euro gezahlt werden, um für ihn zu werben: den Fußballschuh.
Oder wie es Ex-Nationalspieler und Real-Madrid-Star Toni Kroos im t-online-Interview ausdrückte: "Der Fußballschuh ist für mich als Profi das wichtigste Werkzeug, um meinen Job erfolgreich ausüben zu können. Ich habe eine Bindung zu meinem Fußballschuh. Und ich will mich in ihm so wohl wie möglich fühlen."
So geht es nicht nur dem Weltstar Kroos, sondern auch Millionen von Amateurfußballern. Sie alle verbinden mit ihrem Paar Fußballschuhe Emotionen, Geschichten – und oftmals vor allem die Hoffnung, dass der Zauber des eigenen Idols durch das Schuhmodell, das man sich bei ihm abgeguckt hat, zumindest zu einem kleinen Teil irgendwie auf einen selbst abfärbt.
Für Real-Routinier Kroos ist dabei besonders ein Kriterium enorm wichtig: dass sein Schuh aus echtem Leder besteht.
Das ist insofern bemerkenswert, als dass es in den vergangenen Jahren eine enorme Abkehr vom klassischen Lederschuh im Fußball gab. Denn das Material hat einen großen Nachteil, erklärt Matthias Leibitz im Gespräch mit t-online: "Leder zieht sich, im Gegensatz zu etwa Polyester, bei Regen und anderer Nässe mit Feuchtigkeit voll. Die Schuhe können Kickern so schnell wie ein Klotz am Fuß hängen."
Kunststoffschuhe bestechen mit rekordverdächtigem Gewicht
Leibitz ist Geschäftsführer von Imotana, einem deutschen Start-up, das mit maßangefertigten Schuhen aus dem 3D-Drucker den Fußballmarkt aufmischen will. Dieses Konzept sei mit Lederschuhen gar nicht umsetzbar, denn: "Unser Anspruch ist, dass wir unseren Kunden maßgefertigte Schuhe anbieten, die ab Tag eins perfekt passen und auch passend bleiben. Leder hat die Eigenschaft, dass es arbeitet, sich also beispielsweise weitet und je nach Belastung mit der Zeit seine Form verliert." Auch deshalb setzt das Unternehmen aus der Nähe von Freiburg auf hochwertige Kunststoffe – und kann so Schuhe anbieten, die nur rekordverdächtige 200 Gramm wiegen.
Der Markt für klassische Lederstiefel sei jedoch weiterhin vorhanden, sind sich Adam Lyon und Harrison Cook vom US-amerikanischen Sportartikelhersteller New Balance sicher. Schuhe aus Känguru- und Kalbsleder seien "immer noch eine beliebte Wahl bei Spielern, die ein hohes Maß an Komfort und Geschmeidigkeit suchen", betonen die beiden Schuhentwickler auf t-online-Nachfrage.
Eine weitere Alternative stellen Schuhe aus Textilmischgeflechten dar. Die Vorteile solcher Strick-, Garn- und Kunststoffgewebe-Verbindungen sind laut Lyon und Cook vor allem die "formschlüssige Passform und eine hervorragende Verbindung zum Ball", die durch die ebenmäßige Textur des Schuhs entstehen.
Textilmischgeflechte sind es auch, die einen der großen Trends der vergangenen Jahre ermöglichen: schnürsenkellose Fußballschuhe mit sockenähnlichem Einstieg. Trotz der unzähligen Vorteile und der dahinter steckenden Innovationskraft vermeiden große Sportartikelhersteller wie etwa Adidas, "All in" zu gehen und nur noch solche Schuhe anzubieten.
Roman Möhlinger, Manager PR Adidas Football, antwortet auf die Nachfrage, ob Fußballschuhe ohne Schnürung die Zukunft des Sports sind, ausweichend: "Wir bieten unsere Fußballschuhe sowohl schnürlos als auch mit Schnürsystem an und lassen die Spielerinnen und Spieler selbst entscheiden, welcher Schuh für sie der Beste ist."
Fußballschuhe mit Schnürsenkeln? "Nur noch eine Frage des Looks"
Deutlich offensiver argumentiert da schon Imotana-Geschäftsführer Leibitz. Er sagt: "Bei unseren Schuhen ist die Frage, Schnürsenkel oder keine, nur noch eine des Looks. Durch die Maßanfertigung sitzt der Schuh überall hauteng, also auch am Spann. Die Notwendigkeit von Schnürsenkeln besteht nicht mehr." Auch die Sorge, der sockenähnliche Einstieg könne ausleiern und der Schuh so seinen eng anliegenden Komfort verlieren, kassiert Leibitz ein. "Da besteht aufgrund der Beschaffenheit des Materials überhaupt keine Gefahr. Dafür ist das Garn viel zu robust", so der Experte.
Lyon und Cook von New Balance gehen in die Tiefe: "Es ist wichtig, die Elastizität der Garne auszubalancieren. Das bedeutet, das Material muss zum einen während des gesamten Spiels einen ausreichenden Halt gewährleisten. Gleichzeitig muss aber auch sichergestellt sein, dass die Elastizität nicht so hoch ist, dass sich der Schuh im Mittelfußbereich einengend und daher unbequem anfühlt."
Für das im Sommer 2021 veröffentlichte schnürsenkellose Modell Tekela v3+ bedeute dies konkret, "dass die Garne so verwendet werden, dass sie sich nicht über ihre plastische Verformungsgrenze hinaus dehnen, wodurch sichergestellt wird, dass sie sich nach dem Dehnen wieder zurückfedern und den engen Komfort beibehalten."
Ein Aspekt, der bei all den Trends und Neuerungen immer noch viel zu kurz kommt bei den Sportartikelherstellern, ist die Gesundheitsvorsorge. Ein diffiziles Thema, zu dem Dr. Sterzing in seiner Publikation "Der Fußballschuh der Zukunft" schreibt: "Die Wirkung des Schuhs auf die Verletzungsprävention ist schwieriger zu erfassen, da bei Auftritt von Verletzungen, neben dem Zusammenspiel von Schuh und Untergrund, weitere Einflussfaktoren (...) zu beachten sind."
Ein Zusammenhang zwischen (den falschen) Schuhen und Verletzungen ist jedoch kaum von der Hand zu weisen. Das betont auch Start-up-Boss Leibitz, der erläutert:
"Der Standardschuh einer traditionellen Marke wird immer in derselben Länge und Breite produziert. Hat der Käufer Füße, die von dieser Norm abweichen, quetscht er sich immer irgendwo etwas ab. Mit der Dauer eines Fußballspiels spürt man solche Unstimmigkeiten dann immer brutaler. Der Spieler belastet den Fuß dadurch automatisch anders, nimmt eine abnormale Haltung zum Selbstschutz ein, was die Gelenke langfristig ebenfalls schädigt."
Maßangefertigte Schuhe, wie etwa die seines Unternehmens Imotana, würden einem solchen Teufelskreis entgegenwirken.
Die großen Marken machen einen entscheidenden Fehler
Während Adidas und New Balance Stars wie Paul Pogba und Raheem Sterling in ihre Produktentwicklung einbinden, holt Imotana vor allem Rückmeldung aus dem Fußball-Freizeitbereich ein – und macht damit auf einen interessanten Widerspruch im Fußballschuhgewerbe aufmerksam.
Denn, die Stiefel der großen Marken, wie etwa Adidas und New Balance, aber auch Nike und Puma, werden vordergründig nach den Bedürfnissen von Profifußballern gestaltet und produziert – für den großen Umsatz sorgen dann jedoch die Feierabendkicker.
"Amateure haben ganz andere Anforderungen als Profis", stellt Leibitz klar, "die spielen nicht auf den perfekten Böden und gehen vielleicht auch ansonsten nicht ganz so pfleglich mit ihrem Equipment um." Dennoch sind die Hobbysportler auf Ausstattung angewiesen, die fernab ihrer fußballerischen Realität entwickelt wurde – und zahlen dafür auch noch einen saftigen Preis.
So kostet der Adidas-Klassiker Predator in der High-End-Ausführung 280 Euro, das Topmodell des Nike Mercurial 290 Euro. Der Markt gibt solche Preise jedoch her. "Die Hälfte meiner Mannschaftskollegen im Amateurteam, in dem ich spiele, haben Fußballschuhe für über 200 Euro", erzählt Leibitz, der deutlich macht: "Es gibt viele Menschen, die bereit sind, eine Menge Geld für ihr Hobby auszugeben."
Eben dieses Publikum spricht er auch mit Imotana an, dessen Schuhe es für circa 200 Euro gibt. Dabei ist ihm eine Sache wichtig zu betonen: "Wir bieten unseren Kunden durch die Individualisierung zu diesem Preis einen riesigen Vorteil."
Start-up-Boss glaubt an eine Zeitenwende
Ist der Fußballschuh der Zukunft also der in der App personalisierte und per 3D-Drucker maßangefertigte Fußballschuh? Gut möglich – vor allem, wenn größere Marken, wie Adidas und New Balance etwa, diese neue Sparte auch für sich erschließen. Bis dahin jedoch werden sie weiterhin vor allem auf die Innovationskraft der Fußball-Superstars setzen, die mit ihnen an ihren Produkten arbeiten.
Wobei anzumerken ist: Einen ikonischen Schuh, wie etwa den goldenen Predator, den Zinedine Zidane bei der WM 2006 trug, der eine Generation von jungen Nachwuchskickern prägte und bis heute bei ihr unvergessliche Erinnerungen weckt, haben die großen Platzhirsche seit Langem nicht mehr hervorgebracht. Stattdessen wird die sich ausbreitende Ideenlosigkeit mit Neuauflagen und Rückgriffen aufs Design-Archiv kaschiert – und damit die lukrative Nostalgie der einst jungen Fans befriedigt.
Das alles wirft auch die Frage auf: Was, wenn Jugend- und Amateurfußballer irgendwann nicht mehr dem aufmerksamkeitsökonomischen Zwang folgen, jedes Jahr das neueste Schuhmodell ihres Idols haben zu müssen? Leibitz glaubt, dass diese Zeitenwende bereits begonnen hat: "Es wird längst nicht mehr so viel Energie darauf verschwendet, sein Idol zu kopieren wie noch etwa zu meiner Zeit als Jugendlicher."
Oder mit anderen Worten: "Kein Jugendlicher hat Bock darauf, den gleichen Schuh wie neun andere Teamkollegen zu tragen, nur weil Cristiano Ronaldo den vergangene Woche in der Champions League anhatte."
- Eigene Recherche
- Videointerview mit Imotana-Geschäftsführer Matthias Leibitz
- Mail-Korrespondenz mit Adidas-Manager Roman Möhlinger
- Mail-Korrespondenz mit New Balance Global Football
- Dr. Thorsten Sterzing: Der Fußballschuh der Zukunft: Wechselwirkung von Schuh, Untergrund und Training (Conference Paper, Januar 2016)