Nach EM-Final-Niederlage Rassistische Beleidigungen schocken England
London (dpa) - Mit Empörung und Entsetzen haben Politik, Fußballverband und Gesellschaft in Großbritannien auf rassistische Beleidigungen gegen die englischen Elfmeter-Fehlschützen im EM-Finale reagiert.
"Dieses England-Team verdient es, als Helden verehrt und nicht rassistisch beschimpft zu werden", twitterte Premierminister Boris Johnson. "Die Verantwortlichen für diese entsetzlichen Beschimpfungen sollten sich schämen." Prinz William sprach von "abscheulichem Verhalten", das ihn "krank" mache. "Es muss jetzt aufhören, und alle Beteiligten sollten zur Rechenschaft gezogen werden", twitterte der Queen-Enkel.
Üble Beschimpfungen und Verwünschungen
Die Europameisterschaft war bis zum Finale von gesellschaftlichen Themen wie der Debatte über Alltagsrassismus durchzogen. Ausgerechnet die Nationalmannschaft Englands, die vor jedem Spiel bei der EM auf ein Knie gegangen war, um gegen Rassismus und Diskriminierung zu protestieren, wurde zum Abschluss von üblen Beschimpfungen und Verwünschungen heimgesucht.
Der konservative Politiker Johnson und seine Innenministerin Priti Patel hatten jedoch zuvor durchaus immer wieder Verständnis für Menschen gezeigt, die ihren Unmut über das Knien der Spieler gegen Rassismus sowie die Bewegung "Black Lives Matter" äußerten. Nach dem Brexit als verbindendes Thema haben die Tories nun vielfach den "War on Woke" als Thema für sich entdeckt, also das Engagement gegen allzu waches Eintreten gegen Rassismus und zu viel politische Korrektheit.
Neville kritisiert Johnson
Oppositionsführer Keir Starmer sagte, Johnsons Worte klängen hohl. "Hier geht es um Führung, und der Premierminister hat diesen Test nicht bestanden", sagte der Chef der Labour-Partei. Ex-Profi Gary Neville machte Johnson persönlich für die rassistischen Beleidigungen verantwortlich. "Der Premierminister hat gesagt, es sei in Ordnung für die Bevölkerung des Landes, Spieler auszubuhen, die versuchen, Gleichberechtigung zu fördern und Rassismus zu verteidigen", sagte der TV-Kommentator dem Sender Sky News. "Es fängt ganz oben an." Ein Sprecher Johnsons wies die Vorwürfe scharf zurück.
Bukayo Saka (19) vom FC Arsenal hatte im verlorenen Finale gegen Italien den letzten Elfmeter vergeben. Zuvor hatten schon Marcus Rashford (23) von Manchester United und Jadon Sancho (21), der vor einem Wechsel von Borussia Dortmund zu Manchester United steht, verschossen. Alle drei sind schwarz.
Italien gewann das Elfmeterschießen 3:2. Daraufhin wurden die Fehlschützen in Sozialen Netzwerken rassistisch beleidigt. In der Nähe von Manchester wurde ein Wandgemälde beschädigt, das Rashford zeigt. Der Stürmer hat sich wiederholt für Belange sozial schwacher Kinder eingesetzt. Sein Verein stärkte Rashford den Rücken. "Wir sind stolz, dass Marcus mutig war und angetreten ist", teilte Manchester United mit.
Maßnahmen gegen Post-Verfasser
Der britische Sportminister Oliver Dowden twitterte, er teile die Wut auf die "erschreckenden rassistischen Beschimpfungen auf die heldenhaften Spieler". Er kündigte an, die Social-Media-Netzwerke in die Pflicht nehmen zu wollen, solche Äußerungen nicht zu verbreiten. Instagram-Eigner Facebook betonte in einer Stellungnahme, niemand dürfe Opfer rassistischer Beleidigungen werden. "Wir haben gestern Abend schnell Kommentare und Konten entfernt, die Englands Fußballer beleidigt haben, und werden weiterhin Maßnahmen gegen diejenigen ergreifen, die gegen unsere Regel verstoßen."
Auch der englische Fußballverband sowie die Europäische Fußballunion UEFA verurteilten den Rassismus im Internet scharf. Die Londoner Polizei kündigte eine Untersuchung an." Thronfolger Prinz Charles rief zu Toleranz und Einigkeit auf. "Die reiche Vielfalt der Kulturen zu erkennen, die dieses Land so besonders – und in vielerlei Hinsicht einzigartig – machen, ist das Herzstück dessen, was wir als Nation sein können", sagte der älteste Sohn der Königin. Der Londoner Viertligist Leyton Orient erteilte einem Fan, der rassistische Beleidigungen getwittert hatte, ein lebenslanges Stadionverbot.
Der in Sri Lanka geborene Journalist, Unternehmensberater und Musiker Stephan Anpalagan, Gründer und Geschäftsführer der gemeinnützigen Organisation "Demokratie in Arbeit", twitterte in der Nacht zum Montag: "An diesem Abend, in dieser Nacht sind die Schwarzen Schuld. Und sie sollen bezahlen, nötigenfalls mit ihrem Leben. Im Jahr 2021. Mitten in Europa. Wegen eines verlorenen Fußballspiels. Man kann es nicht glauben, man will es nicht glauben." Und: "Die Firnis der Zivilisation ist dünn. An manchen Tagen ist sie sogar durchsichtig und erlaubt einen Blick in die Unterwelt."