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Zum journalistischen Leitbild von t-online.EM-Anekdote aus Wembley Anruf vom Gesundheitsamt: "Wieso sind Sie im Stadion?"
England gegen Deutschland in Wembley live erleben: Der Traum eines jeden Fußballfans. Für unseren Reporter war es ebenfalls ein Erlebnis. Jedoch eines mit einer kuriosen Halbzeitüberraschung.
"It’s coming home, It’s coming home, it’s coming – Football’s coming home". Als vor dem Achtelfinalspiel zwischen England und Deutschland der Großteil der 40.000 Zuschauer den alten Klassiker "Three Lions" trällerten, war noch nicht abzusehen, dass 95 Prozent der Stadiongäste mit einem Lächeln das Stadion verlassen sollten. 2:0 für England gegen Deutschland, ein historisches Ereignis.
Auch ich, der t-online-Reporter, befand mich unter den Privilegierten, die, allen Corona-Beschränkungen zum Trotz, dem Klassiker im Wembley-Stadion beiwohnen durften. Allein das Einreiseprozedere glich einer organisatorischen Mammutaufgabe, die nicht nur mir sondern auch vielen meiner Kolleginnen und Kollegen Kopfzerbrechen bereitete.
Der Anruf vom Gesundheitsamt
Nach absolviertem negativen Corona-Test hatte ich es ins Stadion geschafft. Gemeinsam mit meinem t-online-Kollegen Dominik Slišković verfolgte ich die Partie von der Pressetribüne im Unterrang, nahe des "Deutschen Blocks". Die Hymnen ertönten, die erste Hälfte lief. Eine Partie auf unterdurchschnittlichem Niveau, das von seiner Spannung lebte. Mats Hummels verhinderte noch mit einer starken Rettungstat das 0:1, ehe der niederländische Schiedsrichter Danny Makkelie zur Halbzeit pfiff. Dann wurde es kurios – zumindest für mich.
Dominik machte mich auf einen eingehenden Anruf auf meinem Handy aufmerksam. Englische Vorwahl, ich hatte mit diesem Anruf gerechnet. Bereits am Morgen hatte ich einen verpassten Anruf wahrgenommen. Bei Einreise war es Pflicht, eine Kontaktnummer anzugeben, um vom sogenannten "Test and Trace Scheme" (in etwa Test- und Verfolgungszentrum) der Regierung angerufen zu werden.
"Nennen Sie mir ihr Geburtsdatum"
Ich gehe ran: "Hello", beginne ich das Gespräch auf Englisch. "Wer ist da?" Eine Frau meldete sich am anderen Ende der Leitung.
"Hallo, spreche ich mit Noah Platschko?"
"Ja", antwortete ich.
"Ist es in Ordnung für Sie, wenn wir das Gespräch in englischer Sprache fortsetzen?", fragt mich die Frau.
Das ist zumindest das, was ich im lauten Stadionrund wahrnehme. Ich willige ein. "Bitte nennen Sie mir Ihr Geburtsdatum", fährt die Dame, offenkundig vom Gesundheitsamt, fort. Ich gehorche und nenne den Tag meiner Geburt, während ich das Handy ans linke Ohr drücke und mein rechtes zuhalte, in der Hoffnung, zumindest die Hälfte dessen zu begreifen, was am anderen Ende von mir verlangt wird.
"Wieso sind Sie in einem Stadion?"
Aufgrund des Lärmpegels verstehe ich die Frau jedoch kaum – und was sie konkret von mir will. Also übernehme ich die Initiative: "Entschuldigung", sage ich vorsichtig, "ich befinde mich gerade im Stadion. Hier ist es sehr laut, ich verstehe Sie kaum." Stille. Ich habe das Gefühl, gleich bricht die Leitung ab.
Doch dann:
"Sir, in welchem Stadion sind Sie?".
Ich antworte: "Im Wembley-Stadion in London, EM-Achtelfinale. Deutschland gegen England." Wieder Stille.
Und dann: "Wieso sind Sie in einem Stadion? Sie sollten sich isolieren und in Quarantäne sein?!"
Der vorwurfsvolle Ton lässt mir kurz den Schock in die Glieder fahren. Allerdings war ich auf den Anruf ja unterbewusst vorbereitet gewesen: "Sorry, ich bin Journalist, habe eine Akkreditierung und bin extra für dieses Spiel überhaupt nach London geflogen. Das ist meine Arbeit. Es läuft gerade das Achtelfinale der Europameisterschaft." Die Frau reagiert nicht. "Fußball. Deutschland gegen England. In Wembley", konkretisiere ich.
Da scheint es auch am anderen Ende bei ihr anzukommen. "Oh, Sie sind ein Befreiter (exempt). Ich verstehe. Haben Sie einen Corona-Test gemacht?" Ich muss fast anfangen zu lachen: "Ja, natürlich. Mehrere".
"Alles klar, dann wünsche ich Ihnen noch einen guten Tag", verabschiedet sich die Dame. "Ich Ihnen auch", verabschiede ich mich.
Das Gespräch ist beendet, die Halbzeitpause ist auch fast vorbei. Gut drei Minuten ging das Gespräch. Die wenigen Sekunden vor Wiederanpfiff nutze ich noch, um noch kurz auf die Toilette zu gehen. Am Pissoir stehend fange ich an zu lachen. "Was für Zeiten", denke ich mir, drücke die Spülung und gehe zurück auf die Tribüne.
- Eigenes Erlebnis