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Zum journalistischen Leitbild von t-online.DFB-Team gescheitert Löw, Müller und die große Enttäuschung
Raus ohne Applaus: Die Reise des DFB-Teams bei der EM endet mit einem 0:2 in Wembley. Die Löw-Elf offenbarte dabei, dass sie nicht mehr zur Weltspitze gehört. Nun folgt der Neuanfang.
90 Minuten gespielt. Deutschland liegt 0:2 gegen England hinten. Der 4. Assistent an der Linie testet kurz das Signal seiner Anzeigetafel, auf der für einen Sekundenbruchteil eine vier aufblinkt. Vier Minuten Zeit für die deutsche Mannschaft, das Unmögliche doch noch möglich zu machen.
Vier Minuten später ist es vorbei. Deutschland ist raus. Joachim Löw ist Geschichte. Der Bundestrainer dreht sich zu seiner Bank, klatscht sich kurz mit Co-Trainer Marcus Sorg ab. Dann steht da Thomas Müller, den Löw kurz umarmt, ehe er in den Kabinentrakt geht.
Es war jener Müller, der in der 81. Minute die große Chance hatte, die Ära Löw noch nicht an diesem regnerischen Sommerabend in London zu Ende gehen zu lassen. Doch der Rückkehrer, vom Bundestrainer noch 2019 aus der Mannschaft befördert, schoss knapp links vorbei.
Müller wartet damit weiterhin auf sein erstes EM-Tor. Ob er jemals noch die Möglichkeit für ein weiteres bekommt, womöglich bei der Heim-EM 2024 in Deutschland, ist völlig offen.
Große Emotionen bei Trainer und Spielern
"Es war eine große Enttäuschung für uns alle. Es tut uns leid, dass wir jetzt aus dem Turnier raus sind", sagte der scheidende Bundestrainer nach Abpfiff. "Wir hätten uns natürlich etwas anderes erhofft. Im Moment ist bei allen Spielern Totenstille, alle Spieler sind maßlos enttäuscht."
Doch so groß die Enttäuschung bei den Akteuren auf dem Platz gewesen sein mag, so groß dürfte sie auch bei den Anhängern des DFB-Teams gewesen sein. Denn bis auf einige wenige Torchancen, die sich die deutsche Mannschaft erarbeite, bleibt das Offensivspiel der Löw-Elf weitgehend blass. "Die Mannschaft muss noch ein Stück weit reifen, um als Team erfolgreich zu sein", bilanzierte Löw, der nach Abpfiff trotz seines nun bevorstehenden Abschieds gefasst wirkte.
Auch einen Rückblick auf seine 15 Amtsjahre wagte er: "Wir haben uns stetig entwickelt. Der Titel 2014, der Sieg im Confed-Cup 2017: Es gab viele Momente mit Menschen, die mir sehr viel gegeben haben. Das sind Erfahrungen, die ich nicht missen möchte."
Joshua Kimmich weinte bittere Tränen – und auch Kapitän Manuel Neuer war nach Spielschluss gedanklich bei seinem Trainer. "Nach dem Abpfiff habe ich Richtung Mittellinie geschaut, auch Richtung Trainerbank. Und es war schon ein sehr trauriges Gefühl, als ich den Jogi jetzt gesehen habe, weil er einfach ein klasse Mensch ist."
Neuer weiter: "Ich denke, dass er eine klasse Ära geprägt hat. Und dass es heute so zu Ende geht, ist natürlich schade und auch sehr traurig."
Löws Personalentscheidungen müssen diskutiert werden
Einer, der zunächst nichts sagte, war Müller. Seine vergebene Großchance steht sinnbildlich für das in der Mannschaft schlummernde Potenzial, welches allerdings nicht ausgenutzt wurde. "Es sind Kleinigkeiten, die entscheiden", sagte Löw nach Abpfiff. Doch damit macht er es sich zu einfach. Denn nicht nur die mangelnde Verwertung der zugegeben wenigen Chancen galt es anzuprangern, sondern auch die Personalentscheidungen Löws.
Sei es die späte Einwechslung Jamal Muasialas (90.+2, Lichtblick gegen Ungarn), die fehlenden offensiven Abläufe – von einem klaren Offensivkonzept ganz zu schweigen – oder das Ignorieren von Akteuren wie Florian Neuhaus und Kevin Volland, die auch wegen ihrer starken Saison im Verein in den Kader berufen wurden.
Löw wirkte zuweilen ratlos. Planlos. Und wie seine Mannschaft: mutlos. Dass er nach der Niederlage dem Team die internationale Erfahrung und Reife absprach, war grotesk.
Zukunft bei vielen Spielern ungewiss
Während sich Löw und Nationalmannschaftsdirektor Oliver Bierhoff am Tag danach auf der letzten Presskonferenz aus Herzogenaurach erklärten, äußerte sich Müller bei Instagram über seine vergebene Chance (Mehr dazu lesen Sie hier).
"Dieser Moment, wenn du es alleine in der Hand hast, deine Mannschaft in ein enges K.-o.-Spiel zurückzubringen und eine ganze Fußballnation in Ekstase zu versetzen. Diese Möglichkeit zu bekommen und sie dann ungenutzt zu lassen, tut mir verdammt weh."
Müllers Zukunft im DFB-Team ist ungewiss. Genauso wie die von Toni Kroos, Manuel Neuer oder auch Mats Hummels. Für die Spieler geht es nun erst einmal in den Urlaub, ehe im September in St. Gallen gegen Liechtenstein das Ziel WM in Katar in Angriff genommen wird. An der Seitenlinie wird dann Hansi Flick stehen. Wo und ob Löw die Partie schauen wird, ist nicht bekannt.
- Eigene Recherche