Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.U21-Coach Kuntz vor EM-Finale Der "Kumpeltyp" wird zum Serientäter
Zum dritten Mal in Serie steht Stefan Kuntz mit der deutschen U21-Nationalmannschaft im EM-Finale. Zufall oder Glück ist das nicht. Es ist das Ergebnis einer Erfolgsformel, die an andere Trainergrößen erinnert.
Stefan Kuntz ist Aufregung vor dem Finale nicht wirklich anzumerken. Während sein Spieler Salih Özcan zwei Tage vor dem Finale am Laptop sitzt, um in der Video-Pressekonferenz die Fragen der Journalisten zu beantworten, pirscht sich Kuntz hinter ihm an, klopft ihm auf die Schulter und lacht in die Kamera. Kuntz, der bereits 2017 und 2019 mit der U21 um den EM-Titel spielte, kann gelassen in das Endspiel gegen Portugal (Liveticker bei t-online) gehen. Die Erwartungen an die Mannschaft hat er ohnehin wieder einmal übertroffen, der Titel ist zwar jetzt das Ziel, doch ein Erfolg ist die EM auch ohne Pokal.
Genauso locker wie Kuntz' Ausstrahlung ist auch sein Umgang mit der deutschen U21. Die Spieler fühlen sich wohl mit dem Trainerteam, dass nicht nur fachlich, sondern auch menschlich auf hohem Niveau mit ihnen arbeitet. Es ist den Verantwortlichen anzumerken, dass sie aus den jungen Spielern erwachsene Profis machen wollen, die bereit sind für den nächsten Schritt in ihrer Karriere.
Einer von ihnen ist Mergim Berisha, der nach einer starken Saison bei Red Bull Salzburg sich nun auch im Finale der U21-EM beweisen will. Über seinen Trainer findet er nur lobende Worte: "Stefan Kuntz schenkt jedem einzelnen Spieler das Vertrauen. Er ist taktisch ein sehr guter Trainer, kann uns motivieren und bringt Feuer in die Mannschaft rein." Was Kuntz besonders wichtig ist? "Der Zusammenhalt. Er will, dass wir auf dem Platz und auch außerhalb alles füreinander geben. Und ich glaube das ist auch der Grund, warum wir so erfolgreich sind."
Auf ähnliche Art und Weise beschreibt auch Teamkollege Salih Özcan den Trainer Stefan Kuntz: "Ich kenne den Stefan schon sehr lange. Die Beziehung zwischen Trainer und Spieler ist sehr gut. Er redet mit jedem einzelnen und baut einen Draht auf."
Fürsprecher für das Bundestraineramt
Was Berisha und Özcan beschreiben, ist nicht neu. Praktisch seit Amtsübernahme von Kuntz im Herbst 2016 loben die Spieler den Mann, der mit seiner Art schnell das Vertrauen der Spieler gewinnt. Er begeistert sie für sich und seine Spielidee, sodass sie gar nicht auf die Idee kommen, auf dem Platz nicht 100 Prozent ihrer Leistungsfähigkeit zu geben. Wie ein Vater geht er mit den Spielern um, baut sie auf, wenn sie auf dem Boden liegen und kritisiert sie, wenn sie dem Team schaden.
Kein Wunder, dass die Spieler zu den größten Fürsprecher für den A-Bundestrainer Kuntz wurden, als Joachim Löw seinen Rücktritt bekanntgab. "Ich traue ihm alles zu. Ich habe selten einen Trainer gehabt, mit dem ich so gut klargekommen bin. Ich würde es ihm wünschen", sagte Mittelfeldspieler Niklas Dorsch der Deutschen Presse-Agentur. Torhüter Finn Dahmen urteilte: "Ich traue es ihm auf jeden Fall zu. Er wäre sicherlich keine schlechte Wahl."
Ein Meister im Kaschieren
Bundestrainer wurde Kuntz zwar nicht, doch sein Wert für den DFB ist auch so ungemein hoch. Denn der 58-Jährige kaschiert mit seiner Arbeit die Fehler des vergangenen Jahrzehnts in der Nachwuchsarbeit. Während andere Nationen wie Frankreich oder Portugal Spieler aus den besten Mannschaften ihres Landes zur Verfügung haben, sind Profis vom FC Bayern, RB Leipzig oder Borussia Dortmund im DFB-Kader Fehlanzeige.
Das liegt auch am Fehlen von Jamal Musiala (bei der Profi-EM) und Youssoufa Moukoko (verletzt), doch auch mit ihnen würde Deutschland im internationalen Vergleich klar zurückliegen. Am häufigsten vertreten mit drei Akteuren ist Zweitliga-Aufsteiger Greuther Fürth (Anton Stach, David Raum, Paul Jäckel).
"Jeder will alles für ihn geben"
Sein Erfolgsrezept: die Mannschaft. Individuelle Nachteile gegenüber der Konkurrenz kaschiert er durch das gute Kollektiv. Teamabende, Exkurse in andere Sportarten, Gastredner, persönliche Gespräche: Stefan Kuntz und seine Assistenten lassen sich viel einfallen, um in der kurzen Zeitspanne, in der die Talente beim DFB sind, möglichst effektiv auszubilden.
Und das macht auch den Trainer Stefan Kuntz aus. Er entwickelt die Spieler weiter, indem er sich auch für den Menschen dahinter interessiert. Er bleibt locker, ohne die Seriosität zu verlieren. Er ist ein "Kumpeltyp", dem die Spieler vertrauen. Das sieht auch Salih Özcan so: "Die Stimmung ist familiär und dadurch will auch jeder alles für ihn geben."
Damit erinnert Kuntz an Trainertypen wie Christian Streich oder Jürgen Klopp, die ebenfalls von ihrer guten Beziehung zu den Spielern profitieren.
So sagte Emre Can einst als Liverpool-Spielerin der "Sport Bild" über Klopp: "Er ist viel emotionaler und legt dir auch mal einen Arm auf die Schulter." Ein Satz, der bei der Video-Medienrunde auch von Salih Özcan über Stefan Kuntz hätte fallen können.
- Video-Medienrunde der U21 mit Mergim Berisha und Salih Özcan (04.06.2021)
- Eigene Beobachtungen