Start der Nations League "Grenzwertig": Löw hadert mit Länderspiel-Programm
Ohne vier Bayern-Stars, aber mit drei Neulingen: Die DFB-Elf startet nach 288 Tagen Pause in das Länderspieljahr 2020 – und muss dafür nicht nur mit der Corona-"Blase" zurechtkommen.
Aus sicherer Entfernung schaute Joachim Löw zu den wartenden Journalisten hinter der Absperrung, der Bundestrainer zupfte seine weiße Maske zurecht und lehnte dankend die Interview-Wünsche ab. Auch die Nationalspieler um Ersatzkapitän Toni Kroos zogen am Montagmittag ohne ein Wort und mit Mund-Nase-Schutz ins Stuttgarter Wald-Hotel, wo sie sich als Erstes ihre Hände desinfizierten. Danach unterzogen sie sich einem Corona-Test und verbrachten die Zeit bis zum Ergebnis alleine auf dem Zimmer.
"Das erste, was die Spieler gemacht haben, war, dass sie sich einem Abstrich unterzogen haben", betonte Teamarzt Tim Meyer. Doch obwohl die von der Außenwelt abgeschotteten Stars alle erdenklichen Sicherheitsmaßnahmen einhalten, weiß auch Meyer: "Eine absolute Sicherheit gibt's bei Corona nicht. Wir können lediglich versuchen, dass wir die Sicherheit so weit wie irgend möglich hochschrauben."
Löw: "Schön, dass wir uns wieder der Normalität annähern"
Knapp zehn Monate nach der letzten Zusammenkunft der deutschen Fußball-Nationalmannschaft ist nichts mehr, wie es einmal war. Das DFB-Team startet aus einer "Blase" heraus in die EM-Saison, wie Oliver Bierhoff betonte. Nichts soll den Auftakt in der Nations League mit den Spielen am Donnerstag in Stuttgart gegen Spanien und drei Tage später in Basel gegen die Schweiz (beide 20.45 Uhr/ZDF) gefährden.
- Start der Nations League: Löw nominiert drei Neulinge
Das Leben in der DFB-"Bubble" sei der Nationalmannschaft "ja schon mal vorgeworfen" worden, scherzte Bierhoff kürzlich, "aber in diesem Fall ist es unter dem medizinischen Aspekt zu sehen." Bei der Begrüßung in der Hotel-Lobby verzichtete er auf Umarmungen und streckte den Kickern stattdessen die Faust entgegen. Der DFB-Tross werde laut Bierhoff bis auf Training und Spiel "im Hotel bleiben, keine Besuche empfangen, keine Zahnpasta kaufen". Die Partie gegen Spanien findet zudem ohne Zuschauer statt.
Für Löw ist es trotz der besonderen Umstände "schön, dass wir uns wieder der Normalität annähern". Beim ersten Training in Kleingruppen je nach Belastungsstand am Montagabend im ADM-Sportpark der Stuttgarter Kickers sollten alle Spieler mit einem negativen Testergebnis teilnehmen. Das galt auch für die Legionäre Kroos (Real Madrid), Thilo Kehrer und Julian Draxler (beide Paris St. Germain), die aus Risikogebieten anreisten, aber nicht länger in Quarantäne mussten.
Löw (60) selbst sprüht nach der mit dann 288 Tagen längsten Länderspielpause seit 70 Jahren vor Tatendrang. Er kann es "kaum erwarten, wieder mit den Spielern auf dem Platz zu stehen und zu arbeiten".
Länderspiele als "Lebensversicherung"
Die Ziele bleiben – Corona hin oder her – hoch. "Der maximale Erfolg muss unser Anspruch sein", betonte Assistenzcoach Marcus Sorg.
Viel Aufmerksamkeit wird das Trainerteam den Rückkehrern Leroy Sane und Niklas Süle widmen. Die Bayern-Profis sind nach ihren schweren Kreuzbandverletzungen wieder fit, müssen aber "in einen Trainings- und Wettkampfrhythmus kommen", so Löw. Das Mantra des Bundestrainers gilt auch hier: "Die oberste Priorität hat die EM im nächsten Jahr."
Der anstehende Länderspiel-Doppelpack mit den Neulingen Robin Gosens, Florian Neuhaus und Oliver Baumann hat aber nicht nur Test-Charakter. Für das DFB-Team gilt es, anders als im Premierenjahr den sportlichen Abstieg aus der Nations League zu verhindern. Außerdem haben die Ergebnisse direkten Einfluss darauf, ob Deutschland bei der Auslosung zur WM-Qualifikation in Lostopf 1 oder 2 landet. Trotzdem verzichtet Löw zum Start auf die vielbelasteten Münchner Triple-Sieger Manuel Neuer, Serge Gnabry, Leon Goretzka und Joshua Kimmich. Auch den Leipziger Champions-League-Halbfinalisten Lukas Klostermann und Marcel Halstenberg schenkt er eine Pause. "Niemand hat mich darum gebeten", betonte Löw.
Der Bundestrainer weiß, dass er es sich in der Termin-Hatz nicht mit den Klubs verscherzen darf. Schließlich stehen bis zum Gruppenfinale der Nations League am 17. November in Spanien acht Länderspiele auf dem Plan. Selbst für Löw ist das ein "grenzwertiges" Mammutprogramm, er persönlich hätte stattdessen gerne "zwei, drei Trainingseinheiten mehr" gehabt. Doch der Deutsche Fußball-Bund (DFB) braucht die Einnahmen aus diesen Länderspielen dringend, Generalsekretär Friedrich Curtius nannte sie zuletzt "unsere Lebensversicherung".
- Nachrichtenagentur SID