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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Blick in die Zukunft DFB im EM-Jahr: "Die Zahlen sind alarmierend"
Die Verantwortlichen des DFB starten mit Demut ins EM-Jahr – vielleicht auch zwangsläufig. Sie versuchen die Erwartungen an die neu formierte Nationalmannschaft zu dämpfen. Und beim Blick in die Zukunft ist gar von "Alarm" die Rede.
Weltmeister Frankreich, Europameister Portugal – die bis jetzt feststehenden Vorrunden-Gegner der deutschen Nationalmannschaft bei der EM 2020 in diesem Sommer könnten schwieriger nicht sein. Trotzdem sagte der neue DFB-Präsident Fritz Keller vor einigen Wochen: "Das Halbfinale muss es mindestens sein." Stellvertretend für seine höchsten Angestellten hat Keller damit wohl eher nicht gesprochen.
Nationalmannschaftsdirektor Oliver Bierhoff versuchte im Rahmen einer Veranstaltung im Dortmunder Fußballmuseum, die Erwartungen eher zu bremsen. Er sagte am Dienstag: "Wir gehen nicht im Bewusstsein ins Turnier, Favorit zu sein." Nach der Auslosung befinden sich Mannschaft und Verband laut Bierhoff in "Habachtstellung" – der Respekt vor den kommenden Aufgaben ist groß, auch wenn eine deutsche Mannschaft natürlich immer "nach dem Größten" strebe. Ähnlich hatte sich Bundestrainer Joachim Löw in den vergangenen Monaten geäußert.
Bierhoffs Aussagen sind beispielhaft für die neue Haltung im größten nationalen Sportverband der Welt. Der vor wenigen Jahren noch stolze Weltmeister ist zurückgestutzt worden auf die Rolle des Herausforderers – und will das auch gar nicht mehr schönreden.
Der Nationalelf fehlt Qualität
Beispiele dafür gab es beim Medientalk im Fußballmuseum gleich mehrere: Bierhoff lobte zwar die vielversprechende Entwicklung des jungen DFB-Teams in den vergangenen Monaten. Er hatte sich aber auch mit Zahlen gewappnet, um beispielsweise den Vergleich mit der jungen WM-Mannschaft von 2010 zu widerlegen. Die damalige Mannschaft hätte mit beispielsweise Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger und Miroslav Klose bereits über größere Turnier-Erfahrung verfügt, erklärt er. Und auch die damals jungen Wilden, wie Boateng, Hummels oder Özil, hätten bereits deutlich mehr Spielpraxis auf Top-Niveau vorzuweisen gehabt.
► Die Botschaft: ähnlich spektakuläre Leistungen, der Sturm ins Halbfinale, sind zwar nicht unmöglich – sie sollten aber lieber nicht erwartet werden.
Im Nachwuchs nur noch zweitklassig
Auch beim Gespräch über den deutschen Fußball-Nachwuchs zeigte sich ein ähnliches Muster. Hier zitierte ein DFB-Sprecher aus dem DFL-Report über die abgelaufene Bundesliga-Hinrunde. Nur drei Prozent der in der Bundesliga eingesetzten Spieler seien Kandidaten für die deutsche U21 – und damit nur noch halb so viele wie im Vorjahr. Zudem sei mittlerweile auch die Mehrheit der eingesetzten Spieler aus dem Ausland, ein klares Indiz für die mangelnde Qualität einheimischer Profis.
"Diese Zahlen sind alarmierend", meinte Panagiotis Chatzialexiou, der Sportliche Leiter der Nationalteams. Bierhoff selbst ergänzte, dass der Vergleich mit den führenden Fußball-Nationen England, Frankreich und Spanien in dieser Hinsicht "noch schlimmer" aussehe. Dort kommen junge Spieler teilweise auf das Fünffache an Spielzeit.
► Die Botschaft: der deutsche Fußball-Nachwuchs hat den Anschluss verloren – und es wird Jahre dauern, diese Entwicklung zu korrigieren.
Die Aussagen zeigen, dass der DFB in dieser Hinsicht aus dem Debakel bei der WM 2018 gelernt hat. Die Verantwortlichen benennen die offenkundigen Probleme nun deutlicher – und arbeiten bereits an Lösungen. "Wir haben warnende Tendenzen erkannt in gewissen Bereichen – und wir müssen uns massiv bewegen", sagte Bierhoff. Für eine bessere Ausbildung der Spieler wird derzeit unter dem Dach der neuen DFB-Akademie intensiv geforscht, die Trainerausbildung wird wieder praxisorientierter, die Strukturen des deutschen Nachwuchsfußballs auf den Kopf gestellt. So aktiv und umtriebig hat der DFB in den vergangenen Jahren nicht gewirkt.
Das Ziel gab der DFB-Direktor auch gleich aus. Es lautet: zurück an die Weltspitze. Zumindest da dürfte Einigkeit mit dem neuen DFB-Präsidenten Fritz Keller herrschen – und Millionen Fußball-Fans in Deutschland. Doch auf dem Weg dahin will niemand weitere Rückschläge ausschließen.
- Mediatalk im Fußballmuseum, eigene Beobachtungen vor Ort