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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Calmund zum Eberl-Zoff "Dafür ziehe ich meinen letzten Restbauch noch ein"
Im t-online-Interview blickt Reiner Calmund auf das Topspiel des FC Bayern gegen Leverkusen. Er spricht auch über den Zoff zwischen den Managern und wird dabei deutlich.
Am Samstag kommt es zum mit großer Spannung erwarteten Duell des FC Bayern mit Bayer Leverkusen. Der entthronte Dauerchampion aus München empfängt den amtierenden Meister in der Allianz Arena (ab 18:30 Uhr im Liveticker bei t-online). Nach vier Siegen in den ersten vier Bundesliga-Spielen gehen die Bayern als Tabellenführer und mit drei Punkten Vorsprung auf die zweitplatzierten Leverkusener in die Partie.
Das direkte Aufeinandertreffen hat einen richtungsweisenden Charakter für den weiteren Saisonverlauf. Reiner Calmund hat die Rivalität der beiden Klubs, die bereits um die Jahrtausendwende ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte, als Manager der Leverkusener selbst miterlebt. Den Titel gewann er als Verantwortlicher am Ende aber nie. Im Interview mit t-online blickt er auf das Topspiel voraus. Und positioniert sich eindeutig im Zoff von Leverkusens Geschäftsführer Fernando Carro mit Bayerns Sportvorstand Max Eberl.
t-online: Herr Calmund, am Samstag tritt das ein, worauf Sie selbst noch als Manager jahrzehntelang selbst hingearbeitet haben: Bayer Leverkusen reist erstmals als Meister zum Topspiel gegen den FC Bayern nach München. Mit welchem Gefühl gehen Sie in die Partie?
Reiner Calmund: Man sieht jetzt schon in den ersten Spielen, wo der Zug für Bayern München hingeht. Sie haben eine herausragende Mannschaft. Mit Manuel Neuer, Joshua Kimmich, Jamal Musiala, Harry Kane und wie sie alle heißen. Und wissen Sie, was?
Bitte.
Wenn ich kein Leverkusener wäre, würde ich dem Kane auch mal eine Meisterschaft gönnen. (lacht) Das, was Bayern bisher zeigt, ist jedenfalls allerfeinste Sahne. Sie spielen bisher nicht nur wie ein deutscher Meister, sondern auch wie ein Champions-League-Sieger. Deshalb sind sie auch ohne Wenn und Aber jetzt Favorit in dem Spiel. Trotzdem ist Leverkusen für eine Überraschung gut, auch wenn sie zuletzt ein paar Problemchen bekommen haben.
Sie spielen auf die 2:3-Niederlage gegen Leipzig an, mit dem ihre Ungeschlagen-Serie am 2. Spieltag gerissen ist?
Da war ich im Stadion und habe in den ersten 40 Minuten eines der besten Spiele von Leverkusen überhaupt gesehen. Dieses Tempo, das Kombinationsspiel – es war eine Augenweide. Man hätte nicht nur 2:0, sondern schon 3:0 oder 4:0 führen können. Am Ende ist dann ein wenig die Konzentration und damit dann auch das Spiel verloren gegangen. Daran muss man arbeiten.
15. Spieltag
Ist das ein Auftrag an Cheftrainer Xabi Alonso?
Nein. Xabi Alonso muss nichts ändern. Er ist ein Glücksfall für den Fußball und für Bayer Leverkusen. Das Einzige, worauf er achten muss, ist das Thema Konzentration – vor allem in der Abwehr. Aber das weiß er auch selbst, das muss ich ihm nicht sagen.
Trauen Sie ihm und seiner Mannschaft trotzdem zu, den Meistertitel zu verteidigen?
Sie können da wieder mitmischen. Wenn man auf die Favoriten schaut, kommen für mich als Erstes die Bayern, dann Leverkusen, dahinter Dortmund, Leipzig und vielleicht noch Stuttgart infrage. Von den Voraussetzungen her steht Bayern aber nach wie vor über allen anderen.
Wie meinen Sie das?
Ihr Kaderwert liegt bei fast einer Milliarde (923 Millionen Euro laut transfermarkt.de; Anm. d. Red.). Damit gehören Sie zu den Top 5 in Europa. Leverkusen folgt deutlich dahinter (Platz 13 mit 627 Millionen Euro; Anm. d. Red.). Geld allein schießt zwar keine Tore, es hat aber doch eine gewisse Aussagekraft.
Trotzdem gelang es Bayer, Bayern zu schlagen. Neben Alonso gilt Geschäftsführer Fernando Carro als Architekt der Leverkusener Meistermannschaft. Ist er das auch für Sie?
Das verdienstvolle Bayer-04-Trio besteht aus dem Cheftrainer Alonso, Manager Simon Rolfes und natürlich dem Fußball-Boss Fernando Caro. Fernando war jahrelang Konzernvorstand bei Bertelsmann. Schon dort hatte er mit Umsätzen zu tun, wie jetzt die gesamte Bundesliga. Er hat gute Verbindungen, ist ein ganz feiner, lieber Kerl, manchmal aber auch impulsiv. Das haben sie in München ja auch schon festgestellt. Und das ist auch richtig so, dass da keiner kuscht.
Sie spielen auf das kleine verbale Scharmützel an, das er sich mit Bayerns Sportvorstand Max Eberl geliefert hat? Carro sagte: "Ich halte von Max Eberl nichts, absolut nichts. Und ich würde nicht mit ihm verhandeln."
Ich würde das nicht auf die Goldwaage legen. Bayern München ist als Klub aufgestellt wie kaum ein anderer Weltverein. Was Christoph Freund mit einer positiven Ausstrahlung, Kompetenz und Leidenschaft mit Max Eberl da im Duo leisten, dafür ziehe ich meinen letzten Restbauch noch ein. Im Vorstand und im Aufsichtsrat steckt unter anderem mit Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge unglaublich viel Kompetenz und Erfahrung. Herbert Hainer und Jan Christian Dreesen führen Bayern München mit einem hochdekorierten Aufsichtsrat an. Trotzdem muss ich sagen, auch wenn ich Max sehr schätze: Ich würde dem Fernando bei seiner Attacke keinen Vorwurf machen.
Das müssen Sie erklären.
Wenn ich mir die Fakten anschaue, die ich in den Medien gelesen habe, hieß es da: Bayern München ist an Jonathan Tah interessiert und der bestätigt auch sein Interesse, dorthin wechseln zu wollen. Richtig?
Das war zu lesen und deckt sich so auch mit unseren Informationen.
Im zweiten Schritt hieß es: Bayern will den Deal nur machen, wenn sie vorher gewisse Spieler verkaufen. Im dritten Schritt wurden diese Spieler dann auch verkauft. Richtig?
Matthijs de Ligt und Noussair Mazraoui sind zu Manchester United gewechselt.
Und im vierten Schritt hat Bayern Tah dann trotzdem nicht genommen. Ist es dann so falsch, wenn der Fernando da noch mal ein bisschen ein Bäuerchen macht? Ich mag den Max. Aber in diesem Fall bin ich viel näher bei Fernando, und zwar nicht nur, weil ich Leverkusener bin. Fernando ist zwar sehr emotional, er hat da aber für mich nichts falsch gemacht.
Die Geschichte bringt nun ein wenig zusätzliche Brisanz in das Duell mit den Bayern, die sich nach einer titellosen Saison nun mit ihrem neuen Trainer Vincent Kompany vor allem sportlich revanchieren wollen. Kompany ist Eberls erste große Personalie.
Ich habe es überhaupt nicht verstanden, mit wie vielen kritischen Blicken Kompanys Verpflichtung begleitet wurde. Man sieht jetzt, dass die Chemie zwischen ihm und der Mannschaft und auch dem Verein hervorragend stimmt. Für mich ist das kein Wunder.
Warum?
Natürlich ist er mit Burnley auf- und direkt wieder klar abgestiegen. Aber Jürgen Klopp hat das zum Beispiel mit Mainz 05 genauso erlebt. Kompany war Fußballer des Jahres in Belgien, bester Spieler der Premier League unter Pep Guardiola. Der kann schon was. Man muss neidlos anerkennen, wie toll die Mannschaft momentan spielt und Vincent Kompany hat seinen Anteil daran. Ihn zu verpflichten, war ein sehr cleverer Schachzug.
Vor ihm kontaktierte Bayern aber zahlreiche andere Trainer. Der eigentliche Wunschkandidat war ein gewisser Xabi Alonso. Wie lange wird er noch in Leverkusen zu halten sein?
Ich hoffe, dass er noch möglichst lange in Leverkusen bleibt. Aber ich bin auch kein Traumtänzer und weiß, dass die ganz großen Vereine ihn haben wollen. Er ist ein sehr kluger und guter Mann, der für Leverkusen und jeden anderen Klub Gold wert ist. Eins setzt für mich aber die Diamanten auf die Krone.
Ja?
Nach dem 3:0 in der letzten Rückrunde gegen Bayern hat er seine Co-Trainer und den gesamten Staff mit vor die Fan-Kurve genommen. Viele sagen das nur dahin, Alonso hat seine Wertschätzung für sein Team bei diesem großen Anlass aber gezeigt. Er ist nicht nur ein guter Taktiker und Trainer bei der Mannschaft. Er hat auch ein gutes Herz. Es ist ihm gelungen, auch vom Geist und dem Kopf her eine Mannschaft auf den Platz zu bringen, die sogar ungeschlagen Meister geworden ist. Das hat es in 60 Jahren Bundesliga jetzt zum ersten Mal gegeben. Da gehört auch Glück dazu und das wird man so schnell auch nicht wiederholen können.
Alonso ist auf dem Weg zum Welttrainer. Fürchten Sie, dass er früher oder später doch noch zu Bayern wechselt? Oder wäre Ihnen Real Madrid dann lieber?
Im Moment fürchte ich mich nicht vor seinem Abschied und freue mich, dass er da ist. Und hoffe, dass es so lange wie möglich mit ihm weitergeht. So jemanden wie ihn wird irgendwann ein Verein von ganz oben abholen. Aber ich sitze im Stadion ja immer in der Nähe seiner Familie. Und ich habe den Eindruck, dass die sich alle im Moment noch sehr wohl in Leverkusen fühlen.
Das gilt für den Moment auch für Florian Wirtz bei Leverkusen. Der FC Bayern wirbt aber auch um ihn bereits offensiv. Könnte auch er früher oder später in München landen?
Man kann es natürlich nicht ausschließen. Aber da sind auch die großen spanischen und englischen Klubs noch im Rennen. Alle anderen können sich ihn, glaube ich, auch gar nicht leisten. Es kann aber auch sein, dass er sagt: "Ich bleibe noch ein oder zwei Jahre länger in Leverkusen."
Auch Wirtz wird immer mit der ersten Leverkusener Meisterschaft verbunden bleiben. Was bedeutet Ihnen persönlich dieser Titel?
Ich habe mir immer gewünscht, dass die Schale noch mal in Leverkusen vorbeikommt und ich sie auch mal streicheln kann. Das ist jetzt in Erfüllung gegangen. Die Meisterschaft habe ich gefeiert, als wenn ich selbst mitgespielt hätte. Ich war davon völlig emotionalisiert – genau wie Christoph Daum. Fernando Carro hat Christoph und mich mit unseren Familien in die Meisterfeiern voll mit eingebunden. Das werde ich ihm nie vergessen.
Macht es dieses gemeinsame Erlebnis mit Christoph Daum, der vor einem Monat mit nur 70 Jahren seiner Krebserkrankung erlegen ist, noch mal spezieller für Sie?
Ich war sehr froh, dass Pierre Littbarski die Trauerrede für mich übernommen hat. Ich konnte das nicht und hätte sicher geheult. Das glaubt mir "Drecksack" ja eigentlich keiner. Ich hatte mit Christoph Daum im letzten Jahr noch viele schöne gemeinsame Erlebnisse.
Sie haben viel Zeit miteinander verbracht?
Wir haben noch seinen 70. Geburtstag gefeiert. Ich bin auch glücklich darüber, dass er mit Uli Hoeneß noch seinen Frieden geschlossen hat. Es gab ein gemeinsames Treffen am Tegernsee und die beiden haben sich die Hand gegeben. Christoph und ich konnten noch mal alles zusammen feiern: im Februar das 3:0 gegen Bayern, die Meisterschaft und den Pokalsieg in Berlin. Während der EM waren wir noch zwei Wochen gemeinsam auf einer Kreuzfahrt unterwegs. Da ist er noch mal richtig aufgeblüht. Sein Tod ist ein bitteres Ende, das mich immer noch nicht ganz losgelassen hat.
- Telefonisches Interview mit Reiner Calmund