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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Thomas Tuchel in Personalnot Dieses bittere Déjà-vu droht Bayern jetzt
Leon Goretzka will beim FC Bayern kein Lückenbüßer sein. Weil beim Rekordmeister schon wieder Abwehr-Alarm herrscht, könnte er das aber schon bald wieder werden.
Aus der Allianz Arena berichtet Julian Buhl
Das Interview, das Leon Goretzka in den Katakomben der Allianz Arena gab, war gerade an einem kritischen Punkt angekommen, die zunehmende Spannung spürbar. Der Nationalspieler, der beim 1:0-Sieg des FC Bayern im Nachholspiel gegen Union Berlin erstmals in diesem Kalenderjahr wieder in der Startelf stand, war auf seine bisherige Ersatzrolle angesprochen worden.
Wie es bei ihm denn so ankomme, dass Chefcoach Thomas Tuchel seine Nominierung für die Anfangsformation beim Sender Sky damit begründet hatte, dass sein Konkurrent Raphaël Guerreiro als Linksverteidiger gebraucht werde und dadurch ein Platz für Goretzka frei geworden sei, wurde der 28-Jährige gefragt.
Goretzka: "Fühle mich nicht wie ein Lückenbüßer"
"Ich fühle mich ehrlich gesagt nicht wie ein Lückenbüßer", antwortete Goretzka lapidar, "mehr kann ich dazu nicht sagen." Danach herrschte erst einmal Stille, ein unangenehmer Moment des Schweigens. Ein Mitarbeiter vom vereinseigenen Sender FC Bayern TV befreite Goretzka schließlich daraus, indem er das Thema schnell auf dessen 200. Pflichtspiel lenkte, das der soeben absolviert hatte.
"Ach, guck mal", sagte Goretzka grinsend und sorgte damit für einen Lacher in der Runde. "Das wusste ich tatsächlich nicht, eine stolze Zahl", sagte er zu seinem Jubiläum, "hoffentlich kommen da noch ein paar dazu."
Ob es noch allzu viele werden, war nach seinen beiden Jokereinsätzen zuletzt mal wieder unter anderem von der "Bild"-Zeitung öffentlich infrage und konkrete Abschiedsgedanken Richtung Premier League in den Raum gestellt worden.
"Ich weiß auch nicht, wo das herkommt. Aber da habe ich im Sommer auch schon einiges erlebt", sagte Goretzka, der schon zu Saisonbeginn nicht zur ersten Wahl Tuchels gehört hatte und deshalb als Verkaufskandidat gehandelt worden war, nun bei Sky. Und stellte klar: "Das kommt für mich nicht infrage, damit beschäftige ich mich gar nicht."
Leon, der Profi
Die spielerische Krise, in der der FC Bayern seit dem Jahreswechsel steckt, beschäftigt ihn dafür umso mehr. "Aktuell müssen wir schon sehr viel hart arbeiten", stellte er nach dem mühevollen 1:0-Sieg gegen Union, der auf die überraschende 0:1-Niederlage am Sonntag gegen Bremen folgte, fest.
Gegen die beiden extrem kompakt verteidigenden Gegner tat sich Bayern äußerst schwer. Dem FC Augsburg, bei dem die Münchner am Samstag zu Gast sein werden, ist das mit Sicherheit nicht entgangen. "Das könnte schon ein ähnliches Spiel werden", sagte Goretzka.
Ob er dabei in der Startelf bleiben wird, ist noch offen. Wie er damit umgeht? "Ich versuche einfach, der beste Spieler zu sein, der ich sein kann, und der Mannschaft damit zu helfen", sagte Goretzka nüchtern. "Ab wann man das von Anfang an darf, das steht nicht in meiner Macht. Den Rest entscheidet der Trainer." Leon, der Profi.
Goretzka will kein Innenverteidiger mehr sein
Schon in der Hinrunde hatte er die aufgrund der großen Verletzungsprobleme im Kader zwischenzeitlich erfolgte Umschulung zum Innenverteidiger klaglos hingenommen und in dieser neuen Rolle durchaus gefallen.
Eine Wiederholung ist von seiner Seite aus trotzdem nicht unbedingt erwünscht. Goretzka sieht seine Stärken weiterhin im zentralen Mittelfeld. "Wir haben ja jetzt extra einen Verteidiger gekauft. Von daher bin ich sehr guter Dinge", sagte er. Gemeint war damit Eric Dier, der in der Pause für den verletzten Dayot Upamecano ins Spiel kam.
Schon wieder Abwehr-Alarm bei Bayern
"Er hat mir gut gefallen, hat kommuniziert, war sehr selbstbewusst, sehr rigoros in den Zweikämpfen – so, wie man sich das erhofft", sagte Goretzka auf t-online-Nachfrage: "Das war ein sehr gelungenes Debüt. Es ist auch nicht immer einfach, gerade als Innenverteidiger in so ein laufendes Spiel reinzukommen."
Er habe Vertrauen in Dier, dass der 30-Jährige der Mannschaft sofort weiterhelfen könne. "Uns bleibt ja auch nichts anderes übrig", sagte Goretzka und lachte. Denn weil Upamecano mit einem Muskelfaserriss im Oberschenkel wohl mindestens drei Wochen ausfällt, muss Dier, der wie sein Kumpel Harry Kane von Tottenham Hotspur kam, nun sofort liefern.
"Das war der Sprung ins kalte Wasser. Das war überraschend für ihn, eine Halbzeit zu spielen", sagte Tuchel zum Debüt seines Neuzugangs. "Man sieht seine Präsenz, sein Selbstvertrauen, seine Erfahrung."
Dier muss nun schnell beweisen, dass seine Winterverpflichtung für die Bayern tatsächlich eine sinnvolle war und er weiterhin auf Topniveau performen kann. Denn ausgerechnet vor dem Liga-Topspiel in Leverkusen am 10. Februar und dem Achtelfinalhinspiel in der Champions League bei Lazio Rom vier Tage später herrscht bei Bayern schon wieder Abwehr-Alarm.
Darum steigt der Druck bei den Wintertransfers
Auch Aushilfsrechtsverteidiger Konrad Laimer, der einen Schlag auf die Wade abbekommen hat, humpelte am Mittwochabend angeschlagen durch die Katakomben der Allianz Arena. Auf dem Weg Richtung Ausgang kündigte er an, "in die Röhre" zu weiteren Untersuchungen zu müssen und hoffte noch, "dass es nicht so schlimm ist". Am Donnerstagmittag folgte dann die bittere Diagnose: Wie Sky berichtet, fällt der Österreicher fällt mit einem Muskelfaserriss bis zu sechs Wochen aus.
Darüber ist auch der Einsatz von Joshua Kimmich, eigentlich Bayerns Mittelfeldchef, aber auch eine mögliche Notlösung auf der Rechtsverteidigerposition, zumindest am Samstag gegen Augsburg fraglich. Der Nationalspieler klagt nach einem Sturz über Schmerzen an der Schulter. Weitere Untersuchungen sollen Klarheit über die Schwere der Verletzungen schaffen.
Durch die Verletzungen von Upamecano und Laimer steigt auch der Druck in Sachen Wintertransfers für die Abwehr noch mal enorm. Wie schon in der Hinrunde, als zwischenzeitlich kein einziger gelernter Innenverteidiger mehr zur Verfügung stand, gehen den Bayern nämlich die Abwehrspieler aus. Damit droht ihnen ein bitteres Déjà-vu, das sie unbedingt vermeiden wollen.
Auch deshalb wollen die Bayern nun einen neuen Anlauf bei ihrem Wunschkandidaten Nordi Mukiele von Paris Saint-Germain nehmen. Sollte allerdings auch der nicht erfolgreich verlaufen, könnte Goretzka, dann wieder in der Innenverteidigung, am Ende doch erneut zu dem werden, was er eigentlich nicht sein will: ein Lückenbüßer.
- Eigene Beobachtungen vor Ort in der Allianz Arena
- Mixed-Zone-Gespräch mit Leon Goretzka