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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ergreifende Szene "Wenn sie nicht dabei ist, ist es nicht dasselbe"
Das bislang beste Spiel der Frauenfußball-WM bot hochklassigen Fußball. Frankreich und Brasilien schenkten sich nichts. Und die Zuschauer waren völlig aus dem Häuschen.
Aus Brisbane berichtet Christoph Cöln.
Das 2:1 (1:0) zwischen Frankreich und Brasilien war ein Spitzenspiel in jeder Hinsicht. Nicht wenigen Experten galt das Duell der beiden Fußball-Großmächte in Gruppe F ohnehin als vorgezogenes Endspiel. Und es hielt, was die Ansetzung versprach. Auch wegen zweier Superstars des Sports. Für eine von ihnen gab es einen Kuss, die andere war bitter enttäuscht. Aber der Reihe nach.
Beide Teams sind in Australien und Neuseeland angetreten, um den Titel zu holen, und beide stellten eindrucksvoll unter Beweis, warum dieser Anspruch gerechtfertigt ist. Was auf dem Spiel stand, zeigte sich bereits in der 11. Minute. Da rauschte Frankreichs Kenza Dali mit großzügigem Anlauf in ihre Gegenspielerin hinein. Mit gestrecktem Bein räumte sie Gomes Tamires im Mittelfeld ab und traf dabei gleich beide Knie der Brasilianerin. Dali hatte Glück, dass ihr die Unparteiische nur Gelb zeigte.
Einen Angriff später hätte es fast im Tor der Südamerikanerinnen eingeschlagen, doch Torfrau Leticia lenkte Eugenie Le Sommers Kopfball gerade noch um den Pfosten. Kurz darauf war Leticia dann aber machtlos.
Von links schickte Frankreichs Sakina Karchaoui einen Flankenball auf die Reise, der gefühlt eine Ewigkeit unterwegs war, dennoch durfte Diani zuerst an den Ball. Sie bedankte sich mit der Kopfballverlängerung zu Le Sommer, die die Kugel ebenfalls weitgehend unbedrängt zum 1:0 einnickte (17. Minute). Brasiliens Abwehr war zwar irgendwie dabei, griff aber nicht ein.
Statistiken ausgeglichen, doch ein Team war überlegen
In der 23. Minute bot sich dann Brasiliens Adriana die große Gelegenheit zum Ausgleich, doch sie verzog frei stehend aus zwölf Metern. Ähnlich fahrlässig machte es Grace Geyoro in der 32. Minute. Im Eins-zu eins-Duell gegen Leticia scheiterte sie an Brasiliens herausgeeilter Torhüterin. Den Pass in die Schnittstelle der brasilianischen Abwehr hatte einmal mehr Karchaoui gespielt. Die Mittelfeldspielerin von Paris St. Germain zeigte in der ersten Hälfte eine beeindruckende Leistung, indem sie ihre Mitspielerinnen immer wieder in Szene setzte.
Die Statistiken waren zur Halbzeit nahezu ausgeglichen, doch Frankreich hatte die erste Hälfte dominiert und Brasilien musste froh sein, nicht höher zurückzuliegen.
Der Moment, der dieses Spiel zunächst zum Kippen brachte, kam in der 49. Minute. Frankreichs Selma Bacha startete einen kraftvollen Lauf über den linken Flügel, kurz vor der Grundlinie holte sie zur Flanke aus, vor dem Tor der Brasilianerinnen standen ihre Mitspielerinnen schon bereit. Doch dann kam Ronnycleide Antonia. Mit Wucht.
Brasiliens Verteidigerin warf sich mit dem ganzen Körper in den Schuss, lenkte ihn zur Ecke. Sie stand auf, schüttelte die Fäuste und animierte ihre Mitspielerinnen nicht nachzulassen. Es war ein Weckruf.
Für Superstar Marta ist es wohl die letzte Chance
Die Seleção kam wie verwandelt aus der Pause. Plötzlich gelang ihr, was in der ersten Hälfte schiefgegangen war. Sie traf das Tor. In der 58. Minute erzielte Debinha nach tollem Zuspiel tatsächlich den Ausgleich. Die mehrheitlich brasilianischen Fans im Stadion schrien ihre Freude heraus. Auf einmal war Samba-Zeit.
Das Spiel drehte nun noch einen Gang höher. Frankreich wehrte sich, Brasilien fuhr wütende Angriffe aufs gegnerische Tor. Das Publikum hielt es nicht mehr auf den Sitzen, die La-Ola-Welle schwappte durchs Stadion.
Technisch auf hohem Niveau, taktisch anspruchsvoll und mit Torchancen üppig garniert, bekamen die 49.378 Zuschauer im Stadium von Brisbane eines der besten Spiele bei dieser Weltmeisterschaft bislang zu sehen. Auf dem Rasen fand das Spektakel auch nach dem Ausgleich seine Fortsetzung, Chancen im Minutentakt, harte Zweikämpfe und immer wieder atemberaubende Solos von beiden Teams.
"Wenn sie nicht dabei ist, ist es nicht dasselbe"
In der 83. Minute gelang ausgerechnet Frankreichs Starspielerin Wendie Renard das 2:1. Es war der Moment, der Brasilien die Hoffnung raubte. Ausgerechnet Renard, die übrigens nicht verwandt ist mit ihrem Trainer. Sie hatte sich gegen Jamaika im Auftaktspiel verletzt und drohte auszufallen.
"Sie ist wichtig für uns", sagte Frankreichs Trainer nach dem Spiel. "Wenn sie nicht dabei ist, ist es nicht dasselbe. Deshalb sind wir froh, dass wir sie heute auf dem Platz hatten." Nach dem Spiel drückte Renard seiner Führungsspielerin sogar einen Kuss auf die Stirn, um sich bei ihr für den Sieg zu bedanken. Eine ergreifende Szene.
Renards Treffer wurde von den französischen Fans genauso frenetisch gefeiert wie wenige Minuten später die Einwechslung von Brasiliens Superstar Marta. Die gilt als beste Spielerin, die der Frauenfußball je gesehen hat, eine Art Messi und Ronaldo in Personalunion. Doch obwohl Marta auf Vereinsebene alles gewonnen hat, fehlt ihr noch der WM-Titel.
Nach dem Match schlich Marta geknickt vom Platz. Mit 37 Jahren bietet sich ihr bei diesem Turnier vermutlich die letzte Gelegenheit. Ihre Hoffnung auf den Titel dürfte nach diesem Spiel jedoch schwinden.
- Eigene Beobachtung vor Ort.